[147] Eisenbahnverträge, Eisenbahnkonventionen, Vereinbarungen, die zwischen Eisenbahngesellschaften oder vom Staat mit Privatbahnen innerhalb seines Gebiets oder endlich von Staaten untereinander in betreff der Anlage, des Betriebs von Anschlußstrecken und Anschlußbahnhöfen oder zur Regelung sonstiger Eisenbahnverhältnisse abgeschlossen werden.
1. Verträge von Eisenbahngesellschaften untereinander. Hierher gehören: Pachtverträge, Mitbetriebsverträge, Anschlußverträge, Betriebsüberlassungsverträge, Fusionsverträge, ferner Tarifvereinbarungen, Vereinbarungen betreff sonstiger gemeinsamer Einrichtungen und Vorkehrungen einer Gruppe von Bahnen, insbesondere Vereinbarungen zur Einrichtung des direkten Verkehrs und Wagenübergangs, Fahrkartenverbände, Transportschadenverbände u.s.w.
2. Verträge eines einzelnen Staates mit Privatbahnen seines Gebietes. Hierher gehören beispielsweise Verträge, durch die in Abänderung oder Ergänzung der Konzessionsurkunde die Beziehungen des Staates zu den Eisenbahngesellschaften geregelt werden, Subventions- und Garantieverträge, Vereinbarungen über die Regelung der Verhältnisse zur Militär-, Post-, Zollverwaltung u.s.w., Verträge, durch die der Staat den Betrieb der ihm eigentümlichen Bahnen an Privatgesellschaften überläßt und endlich die zahlreichen Verstaatlichungsverträge, auf Grund deren der Betrieb oder das Eigentum von Privatbahnen an den Staat übergeht.
3. Internationale Eisenbahnverträge, die zwischen zwei oder mehreren Staaten abgeschlossen werden.
Meili (Internationale Eisenbahnverträge, Hamburg 1887) teilt diese Verträge in mehrere Hauptgruppen, gibt indessen selbst zu, das die Gruppen nicht scharf gegeneinander abgegrenzt werden können. Er unterscheidet:
1. Gruppe. Verträge über den Bau und Betrieb von internationalen Eisenbahnlinien.
Hierher gehören:
a) Verträge, die den Bau einer internationalen Grenzverbindung sichern;
b) Verträge, die die Herstellung einer gemeinschaftlichen internationalen Eisenbahnstation bezwecken; in neuerer Zeit kommt die Herstellung einer solchen Station nur mehr selten vor, und wird in der Regel beim Bau von Grenzlinien in dem Gebiet jedes der beiden Staaten eine besondere Station hergestellt;
c) Verträge über die staatliche Übernahme der Verwaltung einer Eisenbahn in einem fremden Staatsgebiet;
d) Verträge über den Betrieb einer in verschiedenen Staaten gelegenen Eisenbahn;
e) Verträge über die gemeinsame Herstellung von Grenzbrücken, Grenztunnel u. dgl.;
f) Verträge, die sich auf die Regelung sonstiger Eisenbahnverhältnisse angrenzender Staaten beziehen.
2. Gruppe. Verträge über die finanzielle Unterstützung einer für den internationalen Verkehr bedeutenden Eisenbahnlinie (z.B. Gotthardbahnvertrag, Simplonvertrag).
3. Gruppe. Verträge über die technische Einheit der internationalen Eisenbahnlinien.
4. Gruppe. Verträge über das internationale Eisenbahntransportrecht.
5. Gruppe. Verträge über den strafrechtlichen internationalen Schutz der Eisenbahnen (hierher zählt Meili insbesondere die Bestimmungen der Auslieferungsverträge über Ver brechen an Eisenbahnen).
Außerdem können zu den E. gezählt werden die die Behandlung des Eisenbahnmaterials im Kriegsfall betreffenden Beschlüsse der Haager Konferenz, ferner die die Eisenbahnen berührenden Maßnahmen der Sanitätskonvention (Paris, 3. Dezember 1903).
Die internationalen E. im eigentlichen Sinne treten in Form von Staatsverträgen auf, abgeschlossen zwischen zwei Staaten kraft und in Ausübung ihres Hoheitsrechtes.
Sie sind den allgemeinen Rechtsgrundsätzen Über den Abschluß, die Erfüllung und Auslegung von Staatsverträgen unterworfen und sind mannigfachen Inhaltes.
Es werden hierbei nach der nicht völlig einwandfreien Auffassung einzelner Fachschriftsteller verschiedenartige völkerrechtliche Rechtsverhältnisse begründet, so z.B. internationales[147] Miteigentum (an gemeinsamen Anschlußbahnhöfen), internationale Pacht- und Mietverhältnisse, Staatsservituten, wenn ein Staat dem anderen das Recht einräumt, auf fremdem Staatsgebiete Stationsgebäude, Lagerhäuser, Amtsgebäude u.s.w. zu erbauen oder eine Eisenbahnstrecke anzulegen und zu betreiben; im letzteren Falle wird regelrecht eine besondere Konzessionserteilung (an die fremde Staatsregierung oder eine ausländische Privatunternehmung) erforderlich; auch der Übergang einer Eisenbahn, die im inländischen Grenzgebiet von einer ausländischen Privatgesellschaft als Teil einer ausländischen Eisenbahn betrieben wird, in das Eigentum des Auslandsstaates (durch Einlösung oder Heimfall), erfordert eine Vereinbarung mit dem Inlandsstaate. Häufig enthalten die internationalen E. bloße pacta de contrahendo oder Zusagen einer Konzession, der tarifarischen Gleichbehandlung u.s.w.
Von hervorragender praktischer Bedeutung sind insbesonders die internationalen E. der Gruppe 1.
Was die Verträge über den Bau und Betrieb von internationalen Anschlußstrecken oder Anschlußstationen betrifft, so übernehmen die Vertragsstaaten mit solchen E. die Verpflichtung zur Herstellung bestimmter Eisenbahnverbindungen auf Staatskosten oder im Wege der Konzessionserteilung unter Festsetzung des Grenzübergangspunktes, der Spurweite, der Bestimmungen über die Aufstellung der Bau- und Betriebskosten von gemeinsamen Grenz- und Betriebswechselstationen, und wenn jeder der kontrahierenden Staaten eine solche Station errichtet, über den Betrieb der Zwischenstrecke, über die Entschädigungen aus diesem Titel, die Verteilung der Einnahmen von der Zwischenstrecke, über den Unterhalt der letzteren u.s.w. Außerdem enthalten derartige E. Bestimmungen über die Wahrung der Landeshoheit, über die Handhabung der Bahnpolizei durch die Bahnbeamten, über die Zuständigkeit der Behörden des Nachbarstaates bezüglich der in einer Grenzstation des anderen Staates oder sonst im Bereich derselben stationierten Angehörigen, in öffentlich-, zivil- und strafrechtlicher Beziehung, über den Schutz dieser Angehörigen, über ihre Behandlung hinsichtlich der Steuerleistung u.s.w.
Die Disziplinargewalt über die Angestellten wird teils der Anstellungsbehörde, teils der Behörde des Heimatsstaates übertragen. Die Lokalbeamten sind möglichst den Angehörigen des betreffenden Staates zu entnehmen.
In einzelnen Verträgen ist eine Bestimmung getroffen über die Wappen- und Landesfarben in einer internationalen Station; über die Annahme der beiderseitigen Geldwährung; in einem Vertrage ist festgesetzt, daß eine Grenzbrücke nicht zu Militärtransporten benutzt und nicht befestigt werden dürfe.
Soweit Neubauten in Frage kommen, sind Fristen festgesetzt für Beginn und Vollendung der Bauarbeiten u.s.w. Es finden sich ferner Bestimmungen, betreffend die Erteilung des Enteignungsrechtes an und die Ausübung des staatlichen Rückkaufsrechtes gegenüber Privatgesellschaften, ferner darüber, daß die Bahn dem internationalen Übereinkommen über den Frachtverkehr zu unterstellen sei, daß auch bei Änderung der Eigentumsverhältnisse an der Bahn der Vertrag seine Gültigkeit behalte.
(In den von Preußen abgeschlossenen Verträgen wird meistens die Übertragung des Vertrages an das Reich vorbehalten.)
Weitere Bestimmungen betreffen die Feststellung oder Genehmigung der Pläne der zu bauenden Bahnlinie durch jede der beteiligten Regierungen; die Gleichmäßigkeit des Baues der Bahn und der Betriebsmittel, namentlich des Rollmaterials; letzteres soll, wenn es in einem der Vertragsstaaten genehmigt ist, ohne weitere Prüfung auf das Gebiet des anderen Vertragsstaates übertreten dürfen.
(Manche einschlägige Bestimmungen sind infolge des erwähnten Übereinkommens über die technische Einheit gegenstandslos geworden.)
Die Festsetzung der Tarife und Fahrpläne soll in beidseitigem Einverständnisse erfolgen. In einzelnen Verträgen ist bestimmt, daß die Festsetzung der Fahrpläne demjenigen Staate überlassen werde, in dem die Bahnverwaltung ihren Sitz hat, daß für das Ineinandergreifen mit den Fahrplänen der Anschlußbahnen zu sorgen sei. Es finden sich überdies Bestimmungen betreffend direkte Abfertigung und Einrichtung eines durchgehenden Verkehrs überhaupt.
Der Bahn sollen keine höheren Abgaben auferlegt werden als den Bahnen des eigenen Landes.
Bei Streitigkeiten über Schadensfälle gelten Gesetz- und Gerichtsbarkeit des Landes der Schadenszufügung. Über die Tragung der Folgen von Schäden, die am Rollmaterial entstehen, finden sich in manchen Verträgen materielle Bestimmungen.
Für das Paßwesen und den Polizeidienst wird teils auf die besonderen bezüglichen Verträge verwiesen, teils werden selbständige Bestimmungen getroffen, ebenso für den Post- und Telegraphendienst. Besondere Bestimmungen finden sich ferner über die Zollformalitäten und über die für plombierte Wagen, sowie für das Reisegepäck zu gewährenden Erleichterungen;[148] über den Anschluß und die Benützung des Bahntelegraphen; über die Erstellung von Zoll-, Post- und Telegraphengebäuden an der Grenze und die Kostentragung. In einer Reihe von Verträgen ist ausdrücklich festgesetzt, daß die Zollbeamten des einen Landes die Güter bis zu einer Station des andern Landes zu begleiten das Recht haben.
Von großer Bedeutung, insbesondere hinsichtlich der Tarife sind die auf Eisenbahnen Bezug habenden Bestimmungen der Handelsverträge. Es wird darin zumeist entweder die Parität (Gleichstellung des Auslands mit dem Inland) oder die Meistbegünstigung (die Gleichstellung des Auslandes mit dem dritten jeweils bestgestellten Auslandsstaate) festgesetzt. Den Vertragsstaaten bleibt demnach das Recht, die Tarife nach eigenem Ermessen und Bedürfnis zu regeln, gewahrt und nur die ungünstigere Behandlung der ausländischen Personen- und Gütertransporte gegenüber den einheimischen oder meistbegünstigten fremden Transporten ist ausgeschlossen. Außerdem finden sich in den Handelsverträgen vielfach Bestimmungen über die Zusicherung der Herstellung neuer Anschlüsse, über die Einrichtung direkten Verkehrs u.s.w.
Literatur: Meili, Internationale E. Hamburg 1887. Seidler-Freud, Die Eisenbahntarife in ihren Beziehungen zur Handelspolitik. Leipzig 1904. Mischler-Ulbrich, Österr. Staatswörterbuch. Wien 1905.
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