Etzel

[410] Etzel, Karl v., einer der hervorragendsten Eisenbahningenieure, 1812 zu Heilbronn in Württemberg als Sohn des trefflichen Eberhard v. E. geboren, dem Württemberg sein ausgezeichnetes Straßennetz verdankt. Er absolvierte das Gymnasium zu Stuttgart und das Seminar zu Blaubeuern, nicht jedoch, ohne nebenbei seine Lieblingsfächer, Naturwissenschaften und Mathematik, sorgfältig zu pflegen.

Nach beendeten Gymnasialstudien widmete er sich eifrig den technischen Studien, insbesondere dem der Architektur, nach deren Beendigung er sich zu seiner praktischen Ausbildung 1835 nach Paris begab und zunächst bei einem Architekten als Zeichner eintrat. Als 1836 der Bau der Eisenbahn nach St. Germain unter Clapeyrons Leitung begann, trat E. in die Architekturabteilung der Bauleitung ein, wo er durch Pläne für die Seinebrücke bei Asnières die besondere Aufmerksamkeit Clapeyrons erregte. Sein Entwurf wurde als der vorzüglichste für die Ausführung bestimmt und letztere ihm übertragen.

Nachdem er im Winter 1836/37 eine Studienreise nach England unternommen hatte, trat er als Ingenieur I. Klasse zum Bau der Versailler Bahn, rive gauche, über. Um diese Zeit erschien zu Paris in französischer Sprache sein erstes Werk über die Erdarbeiten »sur les grands chantiers de terrassements« u.s.w., das später ins Deutsche übersetzt wurde. Zugleich war er als Korrespondent der Försterschen Bauzeitung tätig. 1838 kehrte er nach Württemberg zurück, wo man vergeblich versuchte, ihn für den Staatsdienst zu gewinnen. 1839 entschloß er sich, zum Architekten Förster, mit dem er in Paris Verbindungen angeknüpft hatte, nach Wien zu gehen. Hier führte er, zuerst mit Förster, dann allein, verschiedene Hochbauten aus. Während seines Wiener Aufenthalts (August 1840) machte E. über Veranlassung der italienischen Behörden eine Reise in die Lombardei zum Studium der Eisenbahntrasse von Mailand nach Monza.

1843 trat E. als Oberbaurat in den württembergischen Staatsdienst. Seine erste Arbeit, der selbständige Entwurf des Eisenbahnnetzes für Württemberg, begleitet von einem Vorschlag für die Organisation des Baudienstes und die festzuhaltenden technischen Grundsätze fand den Beifall der Regierung und E. vertrat darauf auch mit besonderem Geschick und Glück als Regierungskommissär die betreffende Vorlage vor der Kammer. Hier und bei der nun folgenden Ausführung seiner Pläne erwies er sich als zielbewußter energischer Organisator, der es insbesondere verstand, für die einzelnen Posten die richtigen Leute zu wählen. Den Bau der Linie Plochingen-Stuttgart-Heilbronn hat er persönlich geleitet.

Als die Ereignisse des Jahres 1848 E. Tätigkeit in der Heimat unterbrachen, wandte er sich wieder nach Wien, wo er die Einrichtung und Leitung einer Maschinenfabrik übernehmen sollte. Der baldige Verkauf der betreffenden Fabrik und die Wiederaufnahme der Eisenbahnbauten in Württemberg führten ihn indessen dahin zurück. Er übernahm den Bau der Linie Bietigheim-Bruchsal. Sein Werk ist der großartige Enzviadukt bei Bietigheim. Das vollständige Gelingen des Albübergangs, sowie der gute Ruf der württembergischen Bahnbauten im allgemeinen hatten im Jahr 1852 E. Berufung nach Basel zur Folge, wo er die Leitung der Bauten für die schweizerische Zentralbahngesellschaft übernahm.

Über die großartigen Kunstbauten, die unter E. Leitung dort entstanden (Sillbrücke in St. Gallen, Aarerücken bei Olten und Bern, der Hauensteintunnel u.s.w. vgl. die Brücken und Talübergänge der schweizerischen Zentralbahn von Karl v. E.; Der Bau des Hauensteintunnels von Preßel und Kauffmann.) E. folgte sodann abermals einem Ruf nach Wien als Direktor der neugegründeten Franz-Joseph-Orientbahngesellschaft, um nach deren Vereinigung mit der Südbahngesellschaft als Baudirektor der letzteren den Baudienst der außeritalienischen Linien des großen gesellschaftlichen Netzes zu leiten. Während des[410] italienischen Feldzugs 1859 übernahm E. auf Veranlassung der Regierung für kurze Zeit an Stelle Lapeyrieres interimistisch die Gesamtleitung der Südbahn. Unter seiner Leitung wurden teils vollendet, teils neugebaut die Linien Ofen-Pragerhof, Alba-Uj-Szöny, Steinbrück-Sissek, Agram-Karlstadt, Marburg-Villach, Ödenburg-Kanizsa; auch wurden die meisten Brücken und Stationen der Linie Wien-Triest umgebaut. Die Vollendung seines größten und liebsten Werks, der Brennerbahn (s.d.), das er wohl selbst als Schlußstein seines Wirkens im praktischen Eisenbahndienst betrachtet hatte, sollte er nicht erleben. Immerhin wird E. Name mit diesem großartigen Denkmal der Ingenieurkunst, das in seinem Geist von seinen getreuesten und hervorragendsten Schülern zu Ende geführt wurde, stets verknüpft bleiben. Eben waren die ersten Lieferungen seines Werks »Österreichische Eisenbahnen, entworfen und ausgeführt in den Jahren 1857–1865 von Karl v. E.« erschienen, als den kräftigen Mann am 13. November 1864 ein Schlaganfall traf, der am 2. Mai 1865 seinem Leben ein Ziel setzte.

E. hatte über 1500 km Eisenbahnen selbständig gebaut und nebst den erwähnten größeren auch zahlreiche kleinere literarische Arbeiten verfaßt. Im Jahr 1844 redigierte er mit Oberbaurat Klein die in Stuttgart erschienene Eisenbahnzeitung und verfaßte für diese zahlreiche Aufsätze. E. war ein Meister des Stils. Die von ihm hinausgegebenen Instruktionen sind von einer unübertrefflichen Kürze.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 4. Berlin, Wien 1913, S. 410-411.
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