Gleisverbindungen

[351] Gleisverbindungen (connections between tracks; changements de voie; communicazioni tra binari), Vorrichtungen, die den Übergang eines Eisenbahnfahrzeuges von einem Gleis auf ein anderes ermöglichten. Die wichtigsten G. sind Weichen, Drehscheiben und Schiebebühnen. Neuerdings wendet man in weitaus den meisten Fällen Weichen als G. an; sie haben gegenüber den Drehscheiben und Schiebebühnen den Vorteil, daß sie die gleichzeitige Bewegung größerer Wagengruppen ohne Unterbrechung gestatten und die Einstellung auf verschiedene Gleise in einfacher Weise ohne Mitbewegung der Last und mit geringem Zeitaufwand ermöglichen. Dagegen werden bei Drehscheiben und Schiebebühnen die Wege z. T. erheblich kürzer; auch kann man erforderlichenfalls einzelne Wagen mitten aus dem Zuge herausnehmen, ohne die anderen mitzubewegen. Endlich ist die Gleisentwicklung in der Regel kürzer als bei Weichen.

Als G. für geschlossene Züge oder Zugteile kommen nur Weichen in Frage. Man wendet auch auf Verschiebebahnhöfen heutzutage im Gegensatz zu früheren Zeiten ausschließlich Weichenverbindungen an. Drehscheiben und Schiebebühnen benutzt man nur dort, wo es sich um die Verteilung einzelner Fahrzeuge handelt und Weichenentwicklungen sehr lang werden würden oder überhaupt nicht ausführbar sind, also z.B. bei Privatanschlüssen, in Werkstätten und Lokomotivschuppen; auch auf Hafenbahnhöfen sind Schiebebühnenverbindungen häufig. Früher wurden in England und Frankreich Drehscheiben und Schiebebühnen zum Rangieren auch auf größeren Güter- und Verschiebebahnhöfen unter Zuhilfenahme mechanischer Kräfte vielfach benutzt. Neuerdings ist man aber auch dort mehr und mehr davon abgekommen. In Amerika, wo die Güterwagen Drehgestelle haben, mithin Bogen und Weichen von sehr kleinem Halbmesser durchfahren können, werden Drehscheiben und Schiebebühnen im Verschubdienst überhaupt nicht verwendet. Im folgenden sollen nur G. mittels Weichen kurz erörtert werden.

In Deutschland und Österreich verwendet man außer den einfachen Weichen auch Doppelweichen, sowie einfache und doppelte Kreuzungsweichen. Anderwärts, z.B. in England, bevorzugt man dagegen die einfachen Weichen und sucht insbesondere Kreuzungsweichen in Hauptgleisen zu vermeiden, trotzdem durch ihre Verwendung die Gleisentwicklungen bedeutend. kürzer werden. Als Nachteile der Kreuzungsweichen betrachtet man dort die scharfen Gleiskrümmungen, die sich bei ihnen nicht vermeiden lassen, solange man Doppelherzstücke mit festen Spitzen benutzt (s.u.), sowie die Schwierigkeit, Druckschienen anzubringen. Auch in Amerika bevorzugt man einfache Weichen. Doppelweichen sind nicht besonders beliebt, ebensowenig Kreuzungsweichen. Doch finden sich auf mehreren bedeutenden amerikanischen Personenbahnhöfen lange kreuzförmige Weichenstraßen mit Kreuzungsweichen (»grand crossing«), die eine Verbindung zwischen jedem Hauptgleis und jedem Bahnsteiggleis herstellen.

Von großer Bedeutung für die Gleisentwicklung ist der Weichenwinkel. Er wird in der Regel durch einen echten Bruch dargestellt. Auf den preußisch-hessischen Bahnen, in Bayern, Sachsen, Österreich, der Schweiz u.s.w. entspricht dieser Bruch der Tangente des Neigungswinkels zwischen den Herzstückschienen, anderwärts dagegen der doppelten Tangente bzw. dem doppelten Sinus des halben Neigungswinkels; doch weichen die drei Werte nur wenig voneinander ab. In Nordamerika (wo man die Neigung durch die doppelte Tangente des halben Winkels mißt) bezeichnet man die Herzstücke mit Nummern, die dem Nenner des Bruches entsprechen, also z.B.

ein Herzstück mit der Neigung 2 tg α/2 = 1/8 als Nr. 8 u.s.w. Es gibt dort als Normalbauarten Herzstücke von Nr. 4 bis Nr. 24, u.zw. je um eine halbe Nummer steigend.

Am häufigsten werden überall die einfachen Weichen angewandt, bei denen sich aus einem geraden Strang, dem Mutterstrang, ein krummer Strang abzweigt. Hierbei ergeben sich Schwierigkeiten, falls eine derartige Weiche in ein gekrümmtes Gleis eingelegt werden soll. Man muß dann unter Anwendung schärferer Krümmungen eine Gerade in den Bogen einschalten, die etwas länger ist als die zu verlegende Weiche. Dadurch entsteht eine Unstetigkeit in der Führung des Gleises, die bei schnellfahrenden Zügen einen unregelmäßigen[351] Gang hervorruft; außerdem werden die Gleisentwicklungen unbequem. Man kann diese Nachteile mildern oder vermeiden, wenn man den Mutterstrang krümmt.

Bei Weichen gleicher Anordnung wird der Halbmesser des krummen Stranges um so größer, je kleiner der Herzstückwinkel ist. Weichen mit großen Halbmessern werden für G. in erster Linie dort angewandt, wo schnellfahrende Züge aus der geraden Richtung abgelenkt werden sollen (s. Abzweigung auf freier Strecke), Weichen mit kleineren Halbmessern kommen dagegen dort in Frage, wo es auf eine kurze Gleisentwicklung ankommt, also z.B. bei Aufstellgleisen, Verschiebegleisen u.s.w. Bei Kreuzungen und Kreuzungsweichen gewöhnlicher Bauart darf der Herzstückwinkel nicht unter ein gewisses Maß (1 : 10, besser 1 : 9) herabgehen, weil andernfalls die »führungslose Stelle« zu lang wird. Wo man Kreuzungen mit beweglichen Schienen (statt fester Herzstücke) anwendet, kann man den Winkel noch spitzer machen.

Auf den preußisch-hessischen Staatsbahnen verwendet man im allgemeinen Weichen 1 : 9, ausnahmsweise für Nebengleise solche 1 : 7. Zur Abspaltung von Personengleisen dienen Weichen 1 : 14. In Bayern wird ebenfalls im allgemeinen das Herzstückverhältnis 1 : 9, an solchen Stellen jedoch, wo im regelmäßigen Betriebe Züge abgelenkt werden, das Verhältnis 1 : 10 angewandt. Weichen, die nur beim Rangieren in der Ablenkung befahren werden, erhalten die Neigung 1 : 8. In Ablaufanlagen verwendet man Neigungen 1 : 8 oder 1 : 7. Auf den badischen Staatsbahnen sind Herzstücke 1 : 8, 1 : 10 und 1 : 10∙747 üblich, wobei die Neigung durch den doppelten Sinus des halben Winkels ausgedrückt ist.

In Österreich verwendet man auf den StB. Weichen mit der Neigung 1 : 9∙5, auf der Südbahn solche mit der Neigung 1 : 16.

In der Schweiz benutzt man in der Regel Weichen mit der Neigung 1 : 9 und 1 : 8, doch kommen auch solche 1 : 11, 1 : 10 und 1 : 7 vor. In Frankreich, wo die Neigung vielfach durch den doppelten Sinus des halben Winkels ausgedrückt wird, ist das Herzstückverhältnis 1 : 14, 1 : 11, 1 : 9 oder 1 : 71/2.

In England ist die Weichenneigung für Personenzuggleise gewöhnlich 1 : 9 oder 1 : 10; zugelassen ist noch 1 : 8. Für Bogenweichen eines Krümmungssinnes (Innenbogenweichen) werden in Ausnahmefällen Neigungen von 1 : 20 angewandt, in der Regel geht man aber auch bei solchen Weichen nicht über 1 : 16 hinaus. Einfache Herzstücke sollen im allgemeinen nicht flacher als 1 : 12, doppelte Herzstücke (bei Kreuzungen) nicht flacher als 1 : 9 sein. In Gütergleisen, die nicht von Lokomotiven befahren werden, liegen häufig Weichen 1 : 6, ausnahmsweise auch 1 : 5∙5. Auf den nordamerikanischen Eisenbahnen schwankt der Weichenwinkel etwa zwischen 1 : 4 und 1 : 24. Für die Abzweigung von Weichenstraßen aus Hauptgleisen verwendet man Weichen 1 : 10 bis 1 : 12, zum Anschluß der Nebengleise dagegen Weichen 1 : 7 bis 1 : 9. Es sei hier erwähnt, daß in Amerika Kreuzungen und Kreuzungsweichen mit festen Herzstücken wegen der ausschließlichen Verwendung von Drehgestellwagen nur bei Neigungen angewandt werden, die nicht kleiner sind als 1 : 7. Auf dem neuen Bahnhof der Grand Central Lines in New York ist die Grenze auf 1 : 61/2 festgesetzt. Manche amerikanische Autoren empfehlen sogar, nicht unter 1 : 6 herabzugehen. Bei kleineren Kreuzungswinkeln verwendet man bewegliche Herzstücke (s. Drehscheiben, Gegenkrümmungen, Kreuzungen, Schiebebühnen, Weichen).

Literatur: E. Deharme, Chemins de fer, Superstructure, Paris 1890. – Hb. d. Ing. W. V, 3 sowie V, 4, 1, und V, 4, 2, Leipzig 1907/1913. – Eis. T. d. G. II, 2, Wiesbaden 1908. – J. Frahm, Das englische Eisenbahnwesen, Berlin 1911. – Droege, Freight Terminal and Trains, New York 1912.

Oder.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 5. Berlin, Wien 1914, S. 351-352.
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