Tauernbahn

[271] Tauernbahn, im eigentlichen Sinn die Verbindungslinie von der Station Schwarzach-St. Veit der Linie Salzburg-Innsbruck nach der Station Spittal a.d. Drau der Südbahn (Pustertallinie). Vom Standpunkt des Verkehrs wäre allerdings im weiteren Sinn die Strecke Salzburg-Bischofshofen-Villach als ein einheitliches Ganzes aufzufassen. Die T. durchschneidet das vor ihrer Herstellung eisenbahnlose Gebiet zwischen der Brennerbahn im Westen und der Linie Selzthal-Villach im Osten ungefähr in der Mitte seiner mehr als 200 km langen westöstlichen Ausdehnung; sie verbindet das Salzachtal mit dem Drautal und verkürzt die Verbindung zwischen Salzburg und Villach um etwa 185 km. Die T. ist nicht nur eine wichtige Verbindung der österreichischen Kronländer Salzburg und Kärnten, sondern sie hat auch eine große Bedeutung für den Weltverkehr, indem sie in Verbindung mit der Karawanken- und Wocheiner Bahn die lang ersehnte »zweite Eisenbahnverbindung mit Triest« und dem Orient herstellt (Abb. 273).


Die Notwendigkeit einer solchen zweiten Eisenbahnverbindung mit Triest neben der durch die Südbahn verwirklichten veranlaßte die österreichische Regierung und den Reichsrat schon 1868, sich mit dem Plan ihrer Erbauung zu beschäftigen. In den Jahren 1869, 1870, 1872 und 1875 wurden dem Reichsrat von der Regierung Entwürfe vorgelegt, die auf die Herstellung dieser Verbindung abzielten und in denen die Predillinie (von Tarvis unter dem Predil nach Görz) bevorzugt wurde. Aber keine dieser Vorlagen kam zur Beratung im Haus und die Sache geriet ganz ins Stocken, als sich im Jahre 1876 der Eisenbahnausschuß gegen die Predillinie aussprach. Erst anfangs der Achtzigerjahre kam neues Leben in die Frage und es trat nunmehr die Forderung immer bestimmter auf, daß die Verbindung Triests mit dem Hinterland von Kärnten durch die »Tauern« (östlicher Teil der Zentralalpen) nach Salzburg und Süddeutschland geführt werden müsse; da aber hierfür zahlreiche Möglichkeiten vorlagen, entbrannte ein lebhafter Streit der Beteiligten, ohne daß eine bestimmte Linie unangefochten in den Vordergrund getreten wäre. Dieser Kampf der Meinungen führte aber dazu, daß nunmehr von verschiedenen Seiten, darunter auch von der Staatsverwaltung selbst eingehende Studien über die Möglichkeiten sowie über die Vorteile und Nachteile jeder einzelnen Tauernbahnlinie und der sonst noch in Betracht kommenden Verbindungen mit Triest durchgeführt wurden. 1897 waren die Studien der Regierung so weit gediehen, daß sie einen Gesetzentwurf fertigstellen[271] konnte, der damals wohl nicht zur parlamentarischen Behandlung kam, 1900 aber, erweitert durch die Einfügung der Karawankenbahn, dem Reichsrat zuging. Da auch diese Vorlage infolge Schlusses der Tagung nicht zur Behandlung kam, wurde dem Reichsrat 1901 jene Vorlage unterbreitet, die am 6. Juni desselben Jahres Gesetzeskraft erlangte und den in den Jahren 1901–1909 erfolgten Bau der sog. »neuen Alpenbahnen« ermöglichte. Durch dieses Gesetz wurde die Regierung ermächtigt, auf den bestehenden Staatsbahnen Investitionen für den Betrag von 272 Mill. K vorzunehmen und für fast 200 Mill. K neue Eisenbahnen zu erbauen, darunter: 1. die T., abzweigend von der bestehenden Station Schwarzach-St. Veit der Staatsbahnlinie Bischofshofen-Wörgl über Badgastein und Mallnitz nach der Station Möllbrücken oder Spittal a.d. Drau der Pustertaler-Linie der Südbahn; 2. die Karawanken- und Wocheiner Bahn Klagenfurt-Rosenbachtal-Aßling-Podbrdo-Görz-Triest mit einem Flügel Villach-Rosenbachtal; beide zusammengenommen bilden die lang ersehnte zweite Eisenbahnverbindung mit Triest.

Im Laufe der jahrzehntelangen Studien waren fast 20 verschiedene Linien projektiert und im Gelände abgesteckt worden. Unter den zahlreichen Linien, die die mächtige Gebirgskette der Hohen Tauern in nordsüdlicher Richtung durchqueren sollten, wurde die Gasteiner Linie zur Ausführung gewählt; denn sie vereinigt die Vorzüge, daß sie die kürzeste und billigste Linie ist, den kürzesten Scheiteltunnel besitzt und zwischen Salzburg und Villach eine Wegkürzung von 185 km bei dem geringsten Aufwand von kilometrischen Baukosten bewirkt, während sie bezüglich der Baulänge, der erstiegenen Höhe beider Rampen und der Höhe des Scheitelpunktes den sonst möglichen günstigsten Verhältnissen wenigstens ganz nahe kommt.


Die T. (vgl. Längenschnitt Abb. 274) ist 80·9 km lang. Die Anfangsstation Schwarzach-St. Veit liegt in einer Seehöhe von 591 m, der höchste Punkt im Scheiteltunnel 1226 m, die Endstation Spittal-Millstättersee in der Seehöhe von 543 m; die überwundene Steigung beträgt also auf der Nordseite 635 m, auf der Südseite 683 m. Die T. ist als Hauptbahn ersten Ranges und eingleisig gebaut; nur die Strecke zwischen den Stationen Böckstein und Mallnitz mit dem Scheiteltunnel ist zweigleisig. Die größte Steigung von durchschnittlich 251/2 ist auf der Nordrampe auf 20.729 m = 51% der Länge, auf der Südrampe auf 23.977 m = 59% der Länge und insgesamt auf 44.713 m = 55% der Gesamtlänge, der kleinste Bogenhalbmesser von 250 m auf 12.752 m = 16% der Gesamtlänge zur Anwendung gebracht.

Die T. enthält außer den beiden Anschlußstationen 10 Stationen von zusammen 5563 m Länge, 3 Haltestellen von zusammen 380 m und 2 Betriebsausweichen von zusammen 1009 m Länge; die letzteren dienen auch für den Personen- und beschränkten Güterverkehr.

Der Charakter der Linie ist durch die eigenartige Gestaltung des Gasteinertals einerseits und des Mallnitz- und Mölltals anderseits sowie durch die Bestimmung, daß die T. als Hauptbahn ersten Ranges herzustellen war, festgelegt. Geht man auf der Nordseite von Lend aus dem Lauf der Gasteiner Ache entgegen, so hat man zunächst eine untere, mehr als 200 m hohe Talstufe zu überwinden, die von der Ache in eng gewundener Klamm durchbraust wird, worauf man zu dem sanft geneigten Talboden zwischen der Klamm und dem Ort Badgastein gelangt. Dieser Badeort schmiegt sich der zweiten, fast 250 m hohen Talstufe an, in der die Ache die weltberühmten Gasteiner Wasserfälle bildet. Dann erreicht man den oberen Talboden, der sich bis Böckstein am Zusammenfluß des Anlauf- und Naßfelderbaches in mäßiger Neigung[272] hinzieht. Daselbst wendet sich die Bahn ins steilere Anlauftal, um über die Station Böckstein nach etwa 11/2 km Entfernung von der Talgabelung den Nordeingang des Tauerntunnels zu erreichen. Auf der Nordseite entfallen also etwa 10 km Länge zur Überwindung der untersten Talstufe von 255 m Höhe, etwa 10 km auf den darauffolgenden flachen Talboden mit einer Höhe von 33 m, etwa 10 km zur Überwindung der zweiten oberen Talstufe bei Gastein mit 242 m und endlich etwas über 3 km zur Überwindung der letzten Höhe bis Station Böckstein mit 86 m; es sind also nordseits rd. 23 km Bahnlänge als Gebirgsbahn schwierigsten Charakters und ein etwa 10 km langes Zwischenstück als Talbahn mit mäßigen Schwierigkeiten anzusprechen.

Hinter Böckstein folgt unmittelbar der Nordeingang des Tauerntunnels (s.d.), dessen höchster Punkt 1225·884 m hoch gelegen ist, von dem aus sich die Bahn bis zu der 3 km nach dem südlichen Mundloch gelegenen Station Mallnitz auf 1180 m Seehöhe senkt. Der Mallnitzbach nimmt etwa noch 1 km nach der Station Mallnitz einen flachen Verlauf und bricht sodann mit 2 unmittelbar aufeinanderfolgenden, von zahlreichen Wasserfällen durchsetzten Steilstufen von über 400 m Höhe zum Mölltal nieder, das wieder einen verhältnismäßig flachen, nur von wenigen und kurzen, steileren Gefällen unterbrochenen Verlauf bis zur Einmündung in die Drau nimmt. Zum Abstieg über diese von der Mallnitz gebildete Steilstufe und den weiteren Lauf der flößbaren Möll benutzt die Bahn die östliche und nördliche Lehne des Mallnitz- und Mölltals. Diese Lehnenstrecke gehört zu den großartigsten und schwierigsten Baustrecken dieser Art, die je hergestellt wurden. Bei Station Pusarnitz erreicht die Bahn das bereits im Drautal gelegene Lurnfeld und im weiteren Verlauf ohne Schwierigkeiten die Anschlußstation Spittal a.d. Drau.

Die T. enthält eine große Anzahl von z.T. sehr bedeutenden Kunstbauten, wie aus folgender Zusammenstellung ersichtlich ist:


Tauernbahn

Unter den Eisenbahnbrücken ist besonders erwähnenswert: die wildromantisch zwischen Flußwänden der Klamm eingespannte, gewölbte Klammbrücke km 8·2 von 22 m lichter Weite zwischen den beiden Klammtunneln; die Angertalbrücke, km 25·1, ein eiserner Zweigelenksbogen von 110·2 m lichter Weite, in 80 m Höhe das Tal überspannend (siehe Bogenbrücken, Bd. II, Abb. 223); der Dössenviadukt in km 47·7 mit einer gewölbten Öffnung von 32 m lichter Weite 35 m hoch; der Zwenbergviadukt mit 3 eisernen Öffnungen von zusammen 125 m, 60 m über dem Tal; der Rickenbachviadukt in km 62·8 mit einer eisernen Öffnung von 81 m lichter Weite, 50 m hoch über dem Tal. Außerdem mußten selbstverständlich, dem Charakter einer schwierigen Gebirgsbahn angemessen, zahlreiche Stütz- und Futtermauern, Lehnenschutzbauten, Uferversicherungen u. dgl. m. zur Ausführung gebracht werden.


Der zwischen km 34·636 und km 43·187 gelegene zweigleisige Tauerntunnel ist 8550·6 m lang (s. Tauerntunnel).

Der Bau der T. wurde mit der Auffahrung des Sohlstollens auf der Nordseite des Tauerntunnels im Juli und der des Sohlstollens auf der Südseite im Oktober 1901 begonnen; der Bau der Nordrampe selbst von Schwarzach-St. Veit bis Badgastein wurde im Jahre 1902 der Unionbaugesellschaft in Wien zugeschlagen und der Betrieb auf dieser Strecke am 20. September 1905 eröffnet. Die Ausführung des restlichen Teiles der Nordrampe sowie des ganzen Tauerntunnels und der Südrampe bis[273] zum unteren Kapponigtunnel, km 52·5, wurde von der Bauunternehmung Brüder Redlich & Berger, Wien, am 2. Dezember 1905 und der restliche Teil der Südrampe bis zur Station Spittal a.d. Drau von der Bauunternehmung Doderer, Wien, im Sommer 1906 zur Ausführung übernommen. Die Betriebseröffnung der Strecke Badgastein bis Spittal a.d. Drau erfolgte am 5. Juli 1909 in Anwesenheit des Kaisers Franz Joseph I.

Während des Baues haben sich zahlreiche und bedeutende Schwierigkeiten ergeben. Im September 1903 wurde durch ein außergewöhnliches Hochwasser der Gasteiner Ache der Bau lange gestört und es wurden arge Verwüstungen angerichtet. Die Beschaffung der Baustoffe für die hoch über der Talsohle liegenden Lehnenstrecken der Nord- und besonders aber der Südrampe war mit bedeutenden Kosten verbunden und erforderte die Anwendung maschineller Einrichtungen, wie Seilbahnen und Aufzüge, sowie die Herstellung zahlreicher Lokomotivdienstbahnen von vielen Kilometern Länge; die Arbeiten obertags hatten vielfach unter der Ungunst der winterlichen Verhältnisse im Hochgebirge zu leiden und noch im letzten Baujahr verursachten heftige Lawinenstürze schwere Unglücksfälle, so bei Böckstein, woselbst kurz vor der Fertigstellung der Verlegung des Anlaufbaches durch eine schwere Grundlawine 26 Arbeiter ihr Leben einbüßten.

Von den zahlreichen Wildbächen im Bereich der T. hat sich nach der Betriebseröffnung nur der früher erwähnte Höhkaarbach infolge seiner Lage über dem nördlichen Ende des Tauerntunnels bemerkbar gemacht und eine sehr teuere Verlegung und Versicherung des Baches verursacht.

Unangenehmer waren zahlreiche Lawinengänge und Schneeabrutschungen: Am Thomaseck und am Hochstuhl zwischen Gastein und Böckstein sowie über dem Südportal des Tauerntunnels und an den Hängen des Auernigg nächst der Station Mallnitz mußten zahlreiche und ausgedehnte Lawinenschutzbauten in Höhen von 1200 bis 1900 m ausgeführt werden, die einen Kostenaufwand von über 300.000 K erforderten. Zur Sicherung des Südeingangs des Tauerntunnels gegen Lawinengefahr ist eine Verlängerung der Tunnelröhre um 80 m geplant.

Der Schienenwanderung in den stark geneigten Strecken der beiden Rampen wurde während des Betriebs durch Einbau von Stützklemmen und Stemmwinkeln entgegengearbeitet.

Sehr unangenehm machte sich im Dössentunnel auf der Südrampe der T. die Rauchplage geltend; es wurde daher beim nördlichen Eingang dieses eingleisigen Tunnels eine elektrisch betriebene Lüftungsanlage System Saccardo errichtet.

In der ursprünglichen Gesetzesvorlage vom Jahre 1901 war für den Bau der T. ein Betrag von 60 Mill. K vorgesehen. Für die Durchführung des Baues selbst wurde im Gesetz vom 6. Juni 1901 ein Betrag von 191/2 Mill. K und im Gesetz vom 24. Juli 1905 ein weiterer Betrag von 551/2 Mill. K bewilligt. Wegen der vielen Bauschwierigkeiten sowie mit Rücksicht auf die zur Zeit der Baudurchführung gegenüber den ursprünglichen, weit zurückliegenden Kostenberechnungen stark geänderten Preisverhältnisse haben sich namhafte Überschreitungen ergeben, die die tatsächlichen Baukosten auf einen Betrag von 90·5 Mill. K hinaufbrachten. Über die Kosten des Tauerntunnels selbst s.d.

Der Personenverkehr auf der T. gestaltete sich sehr lebhaft.

Der örtliche Güterverkehr auf der T. kommt nahezu gar nicht in Betracht, da er sich nur auf etwas Holz und Vieh, wenig Baumaterialien und Approvisionierungsartikel beschränkt. Der Hauptanteil des Durchzugsverkehrs entfällt auf die Richtung Böhmen-Triest mit Zucker, Maschinen, Kohle, Glas und Bier, Baumwolle, Südfrüchte, Gemüse, Schwefel, Tabak und Wein.

Der Auslandverkehr geht hauptsächlich in der Richtung nach Süddeutschland und umfaßt ähnliche Artikel wie der böhmische Verkehr. Die Verkehrsbewegung umfaßte 1912 in beiden Richtungen etwa 560.000 t für den böhmischen Verkehr und 110.000 t für den Auslandverkehr. Gegenüber einer Betriebslänge von 81 km weist die T. eine Tariflänge von 105 km auf (s. Längenprofil Abb. 274).

Literatur: Technisch-kommerzieller Bericht über die zweite Eisenbahnverbindung mit Triest. Wien 1901. – Steinermayer, Der Bau der zweiten Eisenbahnverbindung mit Triest. Allg. Bauztg. 1906. – Zuffer, Die offenen Strecken der neuen Alpenbahnen. Ztschr. d. Österr. Ing.-V. 1907. – Dr. techn. R. Schönhöfer, Die Brücke über die Angerschlucht im Zuge der Tauernlinie der zweiten Eisenbahnverbindung mit Triest. Allg. Bauztg. 1909. – Hans Raschka, Steinförderung auf Schlitten beim Bau der neuen Alpenbahnen. Ztschr. d. Österr. Ing.-V. 1909. – Ing. Fritz Hromatka, Vom Bau der Linie Schwarzach-St. Veit-Badgastein. Allg. Bauztg. 1911. – v. Klodic, Reiß u. Schumann, Der Bau des Tauerntunnels. Allg. Bauztg. 1912, 77. Jg., S. 107 u.s.w. – Ing. R. Schumann, Studien an den Lüftungsanlagen des Tauern- und Dössentunnels. K.k. Staatsbahndirektion Villach 1914; Tunnellüftanlagen der Tauernbahn. Ztschr. dt. Ing., 1915, Bd. LIX. – Wessely, Die Südrampe der Tauernbahn. Techn. Blätter, 41. Jg., H. 4. – Zuffer, Trassierung, Unterbau und Brückenbau der zweiten[274] Eisenbahnverbindung mit Triest. Gesch. d. Eisenb. d. öst.-ung. Monarchie, Bd. VI. von Strach.

Enderes-Kleinwächter.

Abb. 273. Lageplan der Tauernbahn.
Abb. 273. Lageplan der Tauernbahn.
Abb. 274. Längenschnitt der Tauernbahn.
Abb. 274. Längenschnitt der Tauernbahn.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 9. Berlin, Wien 1921, S. 271-275.
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