Verkehrsteilung

[119] Verkehrsteilung hierunter versteht man die Vereinbarungen zwischen zwei oder mehreren Eisenbahnverwaltungen über die Leitung des Güterverkehrs in Verkehrsverbindungen, in denen für die Verkehrsleitung mehrere Wege in Betracht kommen.

Eine V. kommt nur im Güterverkehr – im weiteren Sinne, einschließlich des Tierverkehrs – vor, da im Personenverkehr und im dazu gehörenden Gepäckverkehr der freie Wille des Reisenden einer Teilung widerstrebt. Auch in demjenigen Güterverkehr, der sich innerhalb des Netzes einer einzelnen Verwaltung bewegt, spricht man nicht von V., obwohl auch hier eine Aufteilung des zwischen bestimmten einzelnen Stationen oder zwischen bestimmten Verkehrsgebieten aufkommenden Güterverkehrs auf mehrere zur Verfügung stehende Wege vorkommen kann und vorkommt, insbesondere bei größeren und ganz großen Netzen. Wie für die Regelung der Verkehrsleitung überhaupt im Binnenverkehr eines einzelnen Eisenbahnnetzes in der Hauptsache betriebs- und beförderungsökonomische Erwägungen maßgebend sind, so bestimmt sich hierbei auch die Verteilung des Verkehrs auf mehrere etwa in Betracht kommende Linien nicht nach kommerziellen Interessen, sondern nach Gesichtspunkten des Betriebs-, Beförderungs- und Wagendienstes: die Verwaltung wird einen bestimmten Verkehr auf ihren Linien in der Weise verteilen, daß sie mit dem geringsten baulichen und betrieblichen Aufwand einerseits, aber unter voller Erfüllung ihrer Verpflichtungen anderseits die Transporte erledigt; dies kann geschehen in möglichster Zusammenfassung auf eine Linie – nicht immer die kürzeste – aber auch durch Verteilung nach bestimmten Gesichtspunkten – Zuscheidung der Wagenladungen auf die eine, des Stückguts auf die andere Linie, Scheidung von Frachtgut und Eilgut, oder unter richtungsweiser oder zeitlicher Verteilung. Alle diese Verfügungen über die Verteilung des Verkehrs auf verschiedene Linien eines einzelnen Netzes sind aber nicht V. im fachmännischtechnischen Sinne.

Solche begreift vielmehr stets eine Vereinbarung über kommerzielle Interessenfragen in sich, wie sie bei der Regelung der Verkehrsleitung zwischen mehreren Eisenbahnen auftauchen. Auch beim Verkehr zwischen zwei oder mehreren Eisenbahnverwaltungen spricht man von V. dann nicht, wenn die Bedienung des Verkehrs zwischen einer Stationsverbindung oder einer Gruppe von Stationsverbindungen oder der ganzen beiderseitigen Netze über eine bestimmte Linie ohne Vorbehalt vereinbart wird, sei es weil die beiderseitigen Interessen auf die Benutzung dieser Linie hinweisen oder weil die Lage der Gebiete eine möglichst einfache Lösung erfordert oder weil der Verzicht auf die Berücksichtigung der noch in Frage kommenden anderen Wege einen geeigneten Ausgleich der entgegenstehenden Interessen darstellt. Unter solchen Gesichtspunkten entstehen z.B. Vereinbarungen zwischen zwei oder mehreren Eisenbahnverwaltungen auf Leitung des Verkehrs zwischen bestimmten Gebieten über die zur Zeit der Vereinbarung kürzesten Wege oder über die jeweils kürzesten Wege oder über je einen Weg für bestimmte Gebietsgruppen; auch für solche kann die Bezeichnung V. noch nicht gebraucht werden.

Dagegen liegt eine V. überall da vor, wo durch Vertrag zwischen zwei oder mehreren Eisenbahnverwaltungen anerkannt wird, daß für die Bedienung des Verkehrs zwischen bestimmten Stationen oder bestimmten Gebieten an sich zwei oder mehrere Wege in Betracht kommen, und zugleich vereinbart wird, ob, inwieweit und unter welchen Bedingungen die hiernach als bedienungsberechtigt anerkannten Wege tatsächlich zur Verkehrsbedienung herangezogen werden.

Der beherrschende Gedanke bei Regelung der Verkehrsleitung im Wechselverkehr mit einer anderen Eisenbahn wird für jede Eisenbahnverwaltung der sein, einen möglichst großen Anteil an der für die ganze Verbindung anfallenden Fracht, die mit der anderen oder den anderen mitbeteiligten Eisenbahnen zu teilen ist, für sich zu erhalten. Da sich der Anteil in der Regel nach dem Verhältnis der Länge des eigenen Weges am Gesamtweg richtet, muß also das Bestreben jeder einzelnen beteiligten Eisenbahn sein, den Verkehr zu einem möglichst langen Teil über die eigenen Strecken zu leiten natürlich stets innerhalb der Grenze, daß die Erfüllung der Verpflichtung aus dem Frachtvertrag dadurch nicht gefährdet wird. Dieses Bestreben jeder einzelnen, nur für einen Teil des Transportweges zuständigen Eisenbahn ergibt vielfach Gegensätze und die V. stellt sich dar als der Ausgleich der entgegenstehenden Interessen der an einem Frachtvertrag beteiligten Eisenbahnen, den Verkehr möglichst weit über die eigenen Strecken zu befördern, unter gleichzeitiger Wahrung der Interessen des Verfrachters an der ordnungsmäßigen Erfüllung des Frachtvertrages.

Dieser Ausgleich wird natürlich nicht für den einzelnen Frachtvertrag abgeschlossen, auch nicht für die Frachtverträge im Verkehr zwischen[119] einzelnen Stationen, sondern für den Verkehr bestimmter Gebiete miteinander.

Der einfachste Fall ist hierbei der des Verkehrs zwischen zwei Eisenbahnen, die ohne wesentliches Dazwischentreten einer dritten aneinandergrenzen. Hier ist der Ausgangspunkt der Teilung der, daß jede der beiden Eisenbahnen – bis zu einer gewissen Grenze, von der noch zu reden ist – die ihr übergegebenen Sendungen erst an dem Grenzpunkt an die andere Bahn weitergibt, der für sie der günstigste ist, d.h. im allgemeinen der, welcher der Versandbahn den möglichst längsten Teil des Gesamtweges bietet und der empfangenden Eisenbahn den möglichst geringsten Anteil am Gesamtweg übrig läßt. Verwickelter wird die Aufgabe der Teilung dann, wenn eine oder mehrere Eisenbahnen zwischen den Verwaltungen des Versandortes und des Empfangsortes eingeschoben sind. Hier ist wieder der Fall zu unterscheiden, daß letztere überhaupt nicht aneinander angrenzen, und der andere Fall, daß sie auf bestimmten Wegen auch ohne eine dritte Zwischenbahn in Verbindung miteinander stehen. Im letzteren Falle haben die beiden Endbahnen ein gemeinsames Interesse daran, daß sie möglichst weitgehend den Verkehr allein bedienen, um die Einnahmen aus dem Frachtvertrag nicht mit einem Dritten teilen zu müssen, und sie haben die Möglichkeit hierzu durch Vereinbarung der Leitung über den Weg, der sie ohne die dritte Bahn verbindet. Indes kann die dritte Bahn durch Tarifmaßnahmen oder sonstige Druckmittel, allenfalls durch Ausgleich in anderen Verkehrsbeziehungen, ihre Verkehrsbeteiligung durchsetzen. Anders liegt die Sache, wenn die beiden Endbahnen überhaupt nicht aneinandergrenzen; hier ist der Zwischenbahn oder den Zwischenbahnen eine sichere Teilnahme an der Verkehrsbedienung und entsprechende Berücksichtigung bei der Teilung derselben ohne weiteres gewährleistet. Sowohl im einen wie im anderen Falle ist auch ein Zusammengehen einer der beiden Endbahnen mit einer oder mehreren Zwischenbahnen gegen die andere Endbahn denkbar, so daß die Interessen der ersteren wie die eines einzigen Netzes erscheinen und der Ausgleich sich wie im oben, an erster Stelle erwähnten Falle – zwischen zwei benachbarten Verwaltungen – abspielt; zwischen den zusammengehenden Bahnen ihrerseits hat dann wiederum eine Teilung stattzufinden, bei der sich der Ausgleich in ähnlicher Weise zu vollziehen hat. So ist eine außerordentliche Vielzahl von Möglichkeiten gegeben, die sich aber alle auf die drei Grundgedanken zurückführen lassen:

daß jede Bahn als Versandbahn das Bestreben hat, den Verkehr möglichst weit auf ihren Linien zu behalten,

jede Empfangsbahn umgekehrt das Bestreben, den Verkehr von der anderen Bahn auf deren kürzestem Wege zu bekommen,

und jede Zwischenbahn endlich das Bestreben, über möglichst lange Strecken ihres Netzes den Verkehr zu leiten.

Indes wurde schon oben gesagt, daß dieses Bestreben gewisse Grenzen hat, u. zw. nach doppelter Richtung: einerseits infolge der Notwendigkeit, die Transporte gemäß den übernommenen Verpflichtungen, insbesondere innerhalb der bedungenen Lieferfrist, durchzuführen, anderseits in dem Zwecke, die möglichst günstige Einnahme zu erzielen. Wenn auch feststeht, daß die Verkehrsleitung über den kürzesten Weg keineswegs immer, nicht einmal in der Regel, die beste ist, so wird doch die Leitung zweifellos unzweckmäßig, wenn der Umweg gewisse Grenzen überschreitet. Diese Grenze ist allerdings nicht starr festzulegen. Eine Eisenbahn hat es weitgehend in der Hand, denjenigen Weg, der ihr für gewisse Verbindungen erwünscht erscheint, also insbesondere lange Strecken, für die sie größere Transporte gewinnen will, so auszugestalten, daß der Wettbewerb gegen kürzere Linien anderer Bahnen bis zu ganz erheblichen Umwegen aufgenommen werden kann. Aber eine Grenze ist doch schließlich immer sowohl in der baulichen und betrieblichen Ausgestaltung wie in der finanziellen Wirkung gezogen.

So mannigfaltig, wie nach vorstehendem die Voraussetzungen und Grundlagen einer V. sind, kann auch diese selbst, d.i. der Inhalt der darüber geschlossenen Abmachungen sein. Indes läßt sich auch dieser auf drei Hauptformen zurückführen: die V. ist entweder eine Naturalteilung oder Naturalteilung mit Geldteilung (»Geldausgleich«) oder reiner Geldausgleich.

Die erste liegt vor, wenn die beteiligten Bahnen sich dahin einigen, den fraglichen Verkehr in näher bestimmter Weise über einige oder sämtliche der zur Verkehrsbedienung in Frage kommenden Linien zu führen unter normaler Verteilung der anfallenden Frachten unter den beteiligten Linien. Es ist dabei angenommen, daß die vereinbarte Teilung des Verkehrs selbst den gewünschten Ausgleich bringt. Diese Verteilung der wirklichen Verkehrsbedienung auf die Linien kann sehr verschiedenartig sein: sie kann – was die nächstliegende und gewissermaßen roheste Form ist – in beiden Richtungen wechseln[120] und in jeder Richtung den Verkehr der der Versandbahn günstigeren Linie zuweisen oder sie kann einen zeitlichen Wechsel zwischen einzelnen Wegen vereinbaren oder sie kann endlich die in Betracht kommenden Gebiete auf einzelne Linien verteilen.

Bei der letzterwähnten Form der V., dem reinen Geldausgleich, sehen die beteiligten Bahnen ganz davon ab, ihre finanziellen Interessen in der Verkehrsleitung selbst zum Ausdruck zu bringen; diese kann vielmehr nach rein betriebswirtschaftlichen oder sonstigen Zweckmäßigkeitsgrundsätzen (z.B. kürzester Weg) eingerichtet werden, während die Bahnen für die dabei etwa entgehenden Frachteinnahmen Barentschädigung vereinbaren. Für die Barentschädigung (Geldausgleich) gibt es wieder verschiedene Formen, entweder Zuweisung eines Teiles der Fracht an den oder die nicht verkehrsbedienenden Wege oder nachträgliche Verteilung des aufgekommenen Verkehrs auf die an sich verkehrsberechtigten Wege oder feste Abfindungen.

In der Mitte zwischen den beiden Systemen liegt die Naturalteilung in Verbindung mit Geldausgleich, bei der zunächst die Abgleichung der Interessen durch Verteilung des Verkehrs auf einzelne Linien angestrebt wird, einzelne Verwaltungen aber noch für die dabei etwa nicht erreichte Befriedigung durch Barzuweisung – in vorstehend angedeuteter Form – gedeckt werden.

Darüber, welche der genannten Hauptformen der V. als die beste erscheint oder welche Einzelregelung innerhalb einer dieser Hauptformen, beispielsweise ob bei Naturalteilung die streckenweise, zeitliche oder gebietliche den Vorzug verdient, läßt sich ein allgemeines Urteil schwer abgeben; es muß nach den außerordentlich wechselnden Tatsachen und Machtverhältnissen die jeweils gangbare Lösung gesucht werden. Betriebswirtschaftlich kann zwar gesagt werden, daß die Teilungen den Vorzug verdienen, bei denen der den Verkehr wirklich bedienende Weg nach beiden Richtungen und zu jeder Zeit möglichst gleichmäßig ausgenutzt ist; indes lassen sich Verhältnisse denken, die diese Erwägungen aus wirtschaftlichen, finanziellen und verkehrspolitischen Gründen zurücktreten lassen.

Denn die Erwägungen, die bei den Verhandlungen über eine V. mitwirken können und das Ergebnis im Einzelfalle beeinflussen, spielen nach allen Richtungen des Eisenbahnwesens und sind so mannigfach wie die Tatsachen selbst, die zu den Verhandlungen veranlassen; es können hier neben Imponderabilien die gesamten Verhältnisse der Bahnen, zwischen denen der Ausgleich zu suchen ist, nach Größe des Netzes, finanzieller und wirtschaftlicher Lage, baulicher und betrieblicher Ausgestaltung, kommerzieller, finanzieller und politischer Leitung, in die Wagschale fallen.

Die V. ist der vertragliche Ausgleich entgegenstehender Interessen der Verkehrsleitung. Ein solcher Vertrag wird unter Umständen nicht bloß durch Verhandlungen erreicht, sondern auch durch Druckmittel; diese liegen in erster Linie auf dem Gebiet der Verkehrsleitung selbst, indem jede der beteiligten Bahnen die Leitung einseitig in ihren Interessen so lange vornehmen kann, bis die daraus entstehenden Nachteile den Weg zu einem Ausgleich ebnen (»Leitungskrieg«); sodann auch auf dem Gebiete der Tarifgebung, indem eine Verwaltung durch die Gestaltung der Tarife den Verkehr in die Wege zu leiten versucht, die ihr die vorteilhaftesten erscheinen (»Tarifkrieg«). Jede ernstgemeinte und die Interessen aller Teile wahrende V. muß aber weitere derartige einseitige Maßnahmen ausschließen.

Die V. ist ein innerer Akt der Eisenbahnverwaltung; er tritt nach außen, den Dienststellen und den Verfrachtern gegenüber, nicht unmittelbar hervor. Diesen gegenüber kann sie möglicherweise, – aber nicht immer – z.B. bei Naturalteilung, in die Erscheinung treten in den Verkehrsleitungsvorschriften.

Morhart.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 10. Berlin, Wien 1923, S. 119-121.
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