Heymann-Sittenfeld, Familie

[443] Heymann-Sittenfeld. Carl Heymann wurde 1793 zu Großglogau geboren, wo sein Vater ein Antiquarium nebst Leihbibliothek besaß. Er erlebte die kurze Belagerung seiner Vaterstadt durch die Franzosen, welche ihn nach der Uebergabe zum Lazarettdienste heranzogen, dann 1813 die zweite Belagerung durch Preußen und Russen, machte nach der Rückkehr Napoleons aus Elba den Feldzug nach Frankreich als Oberjäger mit und gründetet nach dem Friedensschluß im Jahre 1815 in Glogau eine kleine Buchhandlung nebst Antiquarium und Leihbibliothek. Als Heymann 1821, so erzählte er im intimen Kreise öfter, zum ersten Male die Leipziger Ostermesse besuchte und mit einer Bestellung von 500 Exemplaren der Schillerschen Werke sich zu dem Geschäftsführer der Cottaschen Buchhandlung begab, hoffte er durch eine so glänzende Betätigung seines Eifers für den Verlag dieser Handlung einige besondere Vorteile zu erlangen. Allein er täuschte sich. Jede, auch die kleinste Erhöhung des gewöhnlichen Buchhändler-Rabatts wurde ihm rund abgeschlagen, weil das Buch ohnedies wohlfeil genug sei; und nicht[443] einmal ein einziges Freiexemplar für seine Leihbibliothek konnte er trotz aller dringenden Vorstellungen auf 500 bar bezahlte Exemplare erwerben. Allmählich trat zu der Sortimentsbuchhandlung ein Verlag hinzu, der, namentlich aus belletristischen und populär-rechtswissenschaftlichen Artikeln bestand, unter der Firma Carl Heymanns Verlag geführt und durch Erwerbung aus anderen Verlagsgeschäften schnell vergrößert wurde, namentlich, nachdem das Glogauer Sortiment an H. Prausnitz (es ging dann an A. H. Sörgel, in der Folge an Hugo Wagner über) verkauft und der verbliebene Verlag im Jahre 1836 nach Berlin übergesiedelt war. Heymann erwarb einen Teil des Verlages der Siegertschen Buchhandlung in Liegnitz, den gesamten Buchverlag der Firmen Fröhlich & Comp. und Fr. Maurer in Berlin, den grüßten Teil der Maurerschen Buchhandlung, Natorff & Co. und Fr. Laue in Berlin, sowie den juristischen Verlag der Rengerschen Buchhandlung in Halle (vergl. Artikel Renger) und noch eine Reihe Einzelartikel aus verschiedenen Geschäften.

Ueberblicken wir den Heymannschen Verlag bis zum Jahre 1871, in welchem Jahre alle nichtjuridischen Verlagsartikel ausgeschieden wurden, so finden wir neben der Jurisprudenz auch alle anderen Wissenschaften vertreten. Wir nennen: Arndt, Familien- und Geschäftsbriefsteller, sowie den in vielen Auflagen verbreiteten Schmalzschen Haussekretär, der in aparten Ausgaben für jede Provinz erschien; Fischer-Streits, histor. und geograph. Atlas von Europa, nebst einer großen Anzahl von Plänen, Landkarten, Schulatlanten etc.; Bibliothek für Landwirte, 12 Bde.; die Rechenbücher Ed. D. Bräsickes; schönwissenschaftliche Schriften von Fr. Baron de la Motte Fouqué, H. von Chezi, Freiherr von Gaudy, Fr. Haug, K. Simrock, H. Heine (Gedichte 1822, von Maurer erworben), Karl Immermann (Cardenio und Celinde, 1826, von Laue gekauft), Frz. von Kleist, Fr. Laun, L. Rellstab, Louise Schubar (Gesammelte Schriften, 21 Bde.); Jul. von Soden; St. Schütze (Taschenbuch der Liebe und Freundschaft. Jahrg. 1812-34); W. Wackernagel; die architektonischen Werke von F. W. Holz, H. Carl, L. Runge; Wiebes Archiv für den praktischen Mühlenbau; Fr. Kugler, Kunstschätze von Berlin; J. N. Rohlwes landw. Abhandlungen; Stahlstichsammlungen zu Beckers, Rottecks und Schlossers Weltgeschichte; Vorzeit Preußens, her. von Reiche-Förster. 6 Bde. 1835/38; Die Wanderschen Sprachbücher (darunter auch die Vorstudien zu seinem späteren berühmten Sprichwörterlexikon). Aber schon damals standen in erster Reihe[444] die juridischen Verlagswerke, namentlich große amtliche juristische Unternehmungen, die den Grund zu der späteren Bedeutung des Verlags legten. Nach dem am 22. August 1862 zu Berchtesgaden erfolgten Tode des Firma-Begründers, des Kommerzienrats Carl Heymann, kam das Geschäft an Dr. A. E. Wagner, 1867 an Julius Imme und A. Danz. 1871 erfolgte eine Trennung des Verlags, dergestalt, daß Dr. Otto Loewenstein, ein Enkel des ersten Inhabers, den juristischen Teil des Verlags mit der Firma Carl Heymanns Verlag käuflich erwarb, der übrige unter der Firma Julius Immes Verlag in Berlin weiterbetrieben wurde (1877 ging dieser letztere an E. Bichteler & Co. in Berlin und 1880 an R. Schultz & Co. in Straßburg – vergl. diesen Artikel – über).

Der weitausschauende Blick des neuen Besitzers von Carl Heymanns Verlag und sein kühner Unternehmungsgeist machten sich bald geltend. Immer mehr erweiterte sich der Kreis hervorragender Autoren, neue von Reichs- und Staats-Behörden herausgegebene periodische Unternehmungen traten hinzu. Aber auch der Sozialpolitik, dem Patentrecht, dem Eisenbahnwesen, den kolonialen Bestrebungen, der Heraldik und der freiwilligen Krankenpflege wurde dauernde Aufmerksamkeit gewidmet. Von den 64 Zeitschriften und periodischen Veröffentlichungen des Verlages seien als die gewichtigsten amtlichen Blätter genannt: das »Centralblatt für das deutsche Reich« (seit 1875), das »Patentblatt« (ab 1877) mit den »Auszügen aus den Patentschriften« (ab 1880) und dem »Blatt für Patentwesen« (seit 1894), das »Eisenbahn-Verordnungs-Blatt« (seit 1878), das »Ministerialblatt der Handels- und Gewerbeverwaltung« (seit 1901), die »Nachrichten« (seit 1899) und die »Berichte« (seit 1899) des Reichsamts des Innern über Handel und Industrie, das vom Reichsversicherungsamt herausgegebene »Reichs-Arbeitsblatt« (seit 1903), das Organ des deutschen Handelstages »Handel und Gewerbe« (seit 1901), die »Concordia« als das Organ der Centralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen (seit 1894) und die »Berufsgenossenschaft« als dasjenige des Verbandes der deutschen Berufsgenossenschaften (seit 1887); als amtliche Jahrbücher und Periodika in weiterem Sinne: das vom Reichsamt des Innern herausgegebene »Handbuch für das deutsche Reich« (seit 1876) und der schon im 189. Jahrgang stehende »Adreßkalender« für Berlin, Potsdam und Charlottenburg, redigiert im Bureau des Ministeriums des Innern, das jährlich erscheinende »Verzeichnis der Patente« (seit 1877) und das »Repertorium der technischen Journalliteratur«[445] (seit 1879), die »Statistik der Güterbewegung auf deutschen Eisenbahnen« (seit 1893), die Sammlung der »Entscheidungen des Königlich Preußischen Ober-Verwaltungsgerichts« (seit 1877) und ihre Ergänzung für die »Entscheidungen in Staatssteuersachen« (ab 1893), die »Erhebungen« und die »Verhandlungen« der Kommission für Arbeiterstatistik.

Alten Ruf genießen daneben u. a. das »Archiv für Bürgerliches Recht« (seit 1888), die »Zeitschrift für deutschen Civilprozeß« (seit 1879), das »Juristische Litteraturblatt« (seit 1889), sowie nicht minder das »Wochenblatt der Johanniter-Ordens-Balley Brandenburg« (seit 1861), der »Herold« (seit 1870) und die »Vierteljahrsschrift für Wappen-, Siegel- und Familienkunde« (seit 1881), der »Frauendienst« (seit 1902), die »Burschenschaftlichen Blätter« (seit 1886) und die »Burschenschaftliche Bücherei« (seit 1901). Behördlicher Förderung erfreuen sich die »Zeitschrift für Zollwesen und Reichssteuern« (seit 1901), das »Preußische Verwaltungsblatt« (ab 1879) mit dem »Verwaltungsarchiv« (seit 1893) und das »Technische Gemeindeblatt« (seit 1898), der »Gewerbliche Rechtsschutz« (seit 1896), nebst dem »Jahrbuch der internationalen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz« (seit 1897), Goldheims »Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen« (seit 1895), »Schriften der Centralstelle für Arbeiter-Wohlfahrts-Einrichtungen« (seit 1892), M. von Brauchitschs »Preußische Verwaltungsgesetze« (seit 1876), Präs. B. Fuistings »Steuer-Brauchitsch« (seit 1891), die in Gemeinschaft mit anderen von OVG.-Rat B. v. Kamptz bearbeitete »Rechtsprechung des Kgl. Pr. Oberverwaltungsgerichts in systematischer Darstellung« (seit 1897) und die von L. v. Rönne begründete »Gesetzsammlung für das deutsche Reich und für die Königlich Preußischen Staaten« (begonnen mit dem Jahre 1806 bezw. 1867).

Wie die letztgenannten beiden großen Sammelwerke seit Jahrzehnten Schritt für Schritt dem Gange der Gesetzgebung gefolgt sind, so spiegelt diese mit all ihren Wandlungen sich deutlich in der übrigen Verlagsthätigkeit der Firma wieder, deren Höhepunkte regelmäßig zusammenfielen mit denen der gesetzgeberischen Thätigkeit der Parlamente. Ein letztes Beispiel hierfür lieferte die Verabschiedung des Bürgerlichen Gesetzbuches, zu dem der Verlag wohl die weitaus verbreitetsten aller für Juristenhand bestimmten Textausgaben, das Lehrbuch großen Maßstabes und den umfangreichsten »Gesamt-Kommentar« zur Veröffentlichung brachte.

Einen ziffernmäßigen Ausweis über das Wachstum des[446] Verlages bietet das seit dem Jahre 1871 geführte Verlagsarchiv. Dasselbe hatte, die Zeitschriften nur nach vollen Jahrgängen, die Einzelwerke bandweise gerechnet, schon Mitte 1899 die 3000. Archivnummer zu verzeichnen, im September 1903 war es bis Nummer 3700 gediehen. Wie sich die Produktion auf die Jahre 1871-98 verteilt, ergiebt folgende sehr interessante statistische Übersicht.

Selbständige Bedeutung beansprucht neben dem Buch- und Zeitschriften-Verlage Carl Heymanns Formular-Magazin. 1835 zunächst nur für den Gebrauch der Rechtsanwälte und Notare begründet, ist dasselbe Hand in Hand mit der Entwicklung des amtlichen Verlages im Laufe der Zeit auf die meisten Zweige der[447] allgemeinen Staats- und der kommunalen Verwaltung ausgedehnt worden und zählt gegenwärtig über 2000 Nummern. Der größte Teil derselben entfällt auf die fünf in sich geschlossenen Gruppen der Formulare für Rechtsanwälte und Notare, der Polizei- und Gewerbeaufsichts-Formulare, der Formulare und Plakate für die chemische Industrie, der Gewerbeinspektions- und der berufsgenossenschaftlichen Formulare. –

Die Buchdruckerei Julius Sittenfeld in Berlin wurde 1832 unter sehr bescheidenen Verhältnissen gegründet; ihre Wiege stand in der Leipzigerstraße neben den Kolonnaden. Ihr Begründer, eine in den weitesten Kreisen der Residenz beliebte Persönlichkeit, konnte durch Uebernahme der Druckarbeiten für angesehene Versicherungsgesellschaften, umfassende Werke für den Buchhandel, namentlich der medizinischen Litteratur, und vor allem auch die Arbeiten für die Stadt Berlin den Grundstock für die sich stetig aufwärts bewegende Entwicklung des Geschäftes legen. Die Drucksachen des Herrenhauses werden seit seiner Begründung im Jahre 1850 von der Firma hergestellt, ebenso seit dem Jahre 1867 die des norddeutschen, später deutschen Reichstages. Als historische Erinnerungen seien der Druck der Nationalzeitung und der Aktenstücke des Erfurter Parlaments hier erwähnt.

1875 ging die Druckerei in die Hände Dr. Otto Loewensteins über. Dieser brachte ihr als größten neuen Kunden vor allem den eigenen Verlag und dessen weitverzweigte Formularmagazine ein.

Außer den Bestrebungen, in denen die rein technischen Fortschritte der Druckindustrie zum Ausdruck kommen, pflegt die Offizin auch noch ein mehr künstlerisches Moment in der Ausstattung von Druckwerken, nämlich die mit Hülfe hervorragender Kräfte eigenartig geschmückten Accidenzarbeiten, wie illustrierte Kataloge, Buchumschläge, Adressen, Widmungsblätter, Festschriften u.s.w. Der alljährlich den Freunden des Hauses gewidmete Wandkalender von ersten Künstlern, wie Eckmann, Lechter, Leistikow, Sattler, Kampf, Weiß u. a. entworfen, giebt Zeugnis dafür.

Dr. O. Loewenstein starb am 28. 10. 1896, worauf seine Gattin Ottilie Loewenstein beide Firmen übernahm und mit Hilfe eines Kuratoriums weiterführte.

Statistische Übersicht
Statistische Übersicht

Quellen: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel 1856, 1899; Festschrift 1902; Verlagskatalog 1842, 1847 mit Nachtrag bis 1850, 1875, 1880, 1882, 1887, 1896.

Quelle:
Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Band 3. Berlin/Eberswalde 1905, S. 443-448.
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