[777] Pustet. Die ursprüngliche Heimat der Familie Pustet ist auf italienischem Boden zu suchen. Im 17. und 18. Jahrhundert scheinen die Pustets in Baiern eingewandert zu sein. In Hals bei Passau erblickte der Gründer der Regensburger Firma, Friedrich Pustet als Sohn der Buchbinderseheleute Anton und Anna Maria Pustet am 25. Februar 1798 das Licht der Welt.
Neben der Buchbinderei, die wenig abwarf, betrieb Anton Pustet seit dem Jahre 1784 den Handel »mit alten und neuen, gebundenen und ungebundenen Büchern«, auch übertrug ihm in diesem Jahre das kurfürstliche Generalschul- und Studiendirektorium in München den Verschleiß der deutschen Schulbücher. Allmählich erweiterte er den Handel auf die ganze Gegend; er mietete sich in der außerhalb Passau befindlichen Hofmark St. Nikola ein eigenes Zimmer nebst Buchladen. Hier lag er mit des Klosters, als der Vogt- und Grundherrschaft, Erlaubnis seinem Gewerbe ob und erbaute sich mit Einwilligung des Prälaten und Konvents 1799 ein Haus, nachdem er sein in Hals gelegenes Anwesen seinem Bruder überlassen hatte. Zur Buchbinderei und zum Buchhandel fügte er eine Leihbibliothek. Ueberdies wurde ihm unterm 29. Oktober 1802 von der kurfürstlich-bairischen Landesdirektion das Privileg eingeräumt, bildende Volksschriften herausgeben zu dürfen.
Friedrich Pustat zählte bei des Vaters Tod, 1805, erst fünf Jahre. Er besuchte die Pfarrschule in St. Nikola, wo er den ersten deutschen Sprachunterricht erhielt, es war der einzige öffentliche Unterricht seines ganzen Lebens.
Unterm 17. August 1805 desselben Jahres wurde der »Buchführerswitwe Anna Pustet« gestattet, auch ferner, wie ihr Mann auf Grund seines Privilegs, bildende Volksschriften zu verlegen und andere ungebundene Bücher zu verkaufen. Des Buchhändler Palms[777] Beschwerdeführung wegen Gewerbsbeeinträchtigung wurde abschlägig beschieden.
Für Passau besaß Anna Pustet eine Filiale des Kgl. Hauptschulbücher-Verlages in München. Von diesem bezog sie die normalmäßigen Schulbücher gegen vierteljährliche Abrechnung und Bezahlung. Der Zentralschulbücher-Verlag glaubte jedoch in dieser Einrichtung keine genügende Sicherheit zu sehen, weshalb er die Witwe Pustet zur Hinterlegung einer Kaution von 300 Gulden aufforderte; ohne eine solche müßten inskünftig alle Schulbücher und Verlagsartikel sogleich bei der Bestellung bar bezahlt werden. Auch wurden keine Remittenden gestattet.
Frau Anna erlegte die 300 Gulden in Form einer Passauer Domkapitelschen Schuldobligation, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, und bemerkte in ihrem Schreiben an den Zentralschulbücher-Verlag, wie schwer ihr die Aufbringung der Kaution geworden sein und daß wiederholte Unglücksfälle sie hart heimgesucht hätten; sie habe ihr Haus durch Demolition verloren, durch Diebstahl sei ihr ein beträchtlicher Bücher- und Papiervorrat entwendet worden und unlängst sei ihr Haus in Hals abgebrannt. Jetzt besäße sie nur noch geringe Barschaft.
In München aber verschloß man sich gegen die Klagen der Witwe. Man wies sogar ihre Obligation zurück, weil diese nur einem realen Wert von 160 Gulden gleichkam.
Trotz seiner großen Jugend begriff Friedrich Pustet die Notwendigkeit, so rasch als möglich für die Familie eine Besserung der Lage zu bewirken, sollte sie nicht dem Verderben anheimfallen. Es regte sich in ihm bereits jene Energie, die seinem ganzen späteren Schaffen und Streben ihr charakteristisches Gepräge verlieh, und jener frische Wagemut der Jugend, der vor Schwierigkeiten nicht zurückschreckt, weil er sie nicht mit kühlem Verstand überschaut.
Zunächst glückte es ihm, als Lotterieschreiber Verwendung zu finden. 1812 schloß Friedrich, der kaum 15 Jahre zählte, mit dem Kgl. Rechnungskommissär Stubeus einen Kontrakt ab, der ihm die Lieferung aller neuen Steuerbücher für den Unterdonaukreis übertrug. Dies war sein erstes Buchhandelsgeschäft. Im Jahre 1817 begann Pustet einen Papierhandel, wozu ein Passauer Bürger, namens Rothbauer, ihn mit Kapital unterstützte. Pustet hatte die Freude, aus seinem Handel einen hübschn Gewinn zu erzielen. 1821 erwarb Pustet aus dem Selbstverlage des Halloberbeamten Fürst zu Straubing die von diesem 1818 begründete »Bauernzeitung«. Dieselbe erfreute sich hoher Unterstützung und es währte nicht lange, so hatte ihr Abonnentenstand die ansehnliche Zahl 9000 erreicht. Ihre Verbreitung erstreckte sich über das ganze Königreich Bayern, die[778] Rheinpfalz mit inbegriffen. Das Geheimnis seines Erfolges hat Pustet selbst mit den einfachen Worten erklärt: »Der Volksschriftsteller muß mit dem Bildungsgrad der Volksklassen, für die er schreibt, genau bekannt sein und sich in seinen Darstellungen zu den Begriffen derselben herabzulassen wissen.«
Als Organ der praktischen Gartenbaugesellschaft gaben Fürst und Pustet, nachdem letzterer inzwischen eine eigene Druckerei eingerichtet hatte, mit dem Jahre 1823 eine »Allgemeine deutsche Gartenzeitung« heraus, deren Abonnentenstand im ersten Jahrgange die beträchtliche Zahl 13000 aufwies.
1826 siedelte Pustet unter gänzlicher Verzichtleistung auf alles Erworbene nach Regensburg über. Gleich das erste Werk, dessen Verlag er hier unternahm, war des mecklenburgischen Legationsrates Chr. G. Gumpelzhaimer »Regensburgs Geschichte, Sagen und Merkwürdigkeiten« in 4 Bänden. Dazwischen hinein druckte Pustet einige entomologische Bücher, auch übernahm er den buchhändlerischen Vertrieb der von der kgl. botanischen Gesellschaft in Regensburg herausgegebenen Fachzeitschrift »Flora« 1832-50). Für das Ansehen, dessen die junge Verlagsfirma sich anderwärts bereits erfreute, spricht der Umstand, daß der bayerische Minister Eduard von Schenk, bekannt als Dichter, vier Jahrgänge seines Musenalmanachs »Charitas« (1834-38) bei Pustet herausgab. Wissenschaftlich die gehaltvollsten Werke, die der Erstlingskatalog zu Beginn der dreißiger Jahre aufweist, sind unbestritten die von dem gelehrten Exjesuiten Jos. Ferd. Damberger entworfene und von Serz und Spieß gestochene »Fürstentafel der Staatengeschichte«. (731-1830) und das von demselben Verfasser herrührende »Fürstenbuch zur Fürstentafel der europäischen Staatengeschichte«.
Den Druck seiner Verlagswerke besorgte Pustet selbst. Bereits 1833 hatte er sich ein eigenes Haus erworben und darin eine der ersten Schnellpressen aufgestellt. Drei Jahre später vermehrte er sein erblühendes Geschäft mit einem neuen Industriezweig, der Papierfabrikation. Veranlaßt wurde er hierzu durch die damals herrschende Not an Druckpapier. Zwei Stunden von Regensburg, bei dem Orte Alling, errichtete er eine Papiermühle.
Was der berühmte Antwerpener Drucker Plantin und sein Nachfolger durch die Herausgabe ihrer liturgischen Bücher für das 16. und 17. Jahrhundert gewesen waren, das sollte Friedrich Pustet und sein ältester Sohn Friedrich für das 19. und 20. Jahrhundert werden. Die Tätigkeit dieser beiden Männer auf dem erwähnten Gebiete nahm, indem sie neue Pfade öffnete, einen epochalen Charakter an, sie trug den Namen, Regensburgs in die entferntesten Weltteile.[779]
Allerdings war Friedrich Pustet nicht der erste liturgische Typograph Regensburgs. Nicht lange nach Erfindung der Buchdruckerkunst ließ im Jahre 1480 der Fürstbischof Heinrich von Absberg durch einen wandernden Buchdrucker eine korrekte Ausgabe des Breviers herstellen. Fünf Jahre später verlegten auf Anregung desselben Kirchenfürsten die Drucker Johann Sensenschmidt von Bamberg und Johann Benkenhaupt von Mainz ihre Offizin dauernd nach Regensburg, um hier das erste größere liturgische Werk, ein Missale (Liber missalis secundum breviarum chori eccles. Ratisbon.) zu drucken.
Pustets Anschauungen von dem Einflusse der katholischen Kirche in allen ihren Lebensäußerungen entsprach es, dem Verlage von kirchenmusikalischen Artikeln schon früh große Aufmerksamkeit zuzuwenden. So entstand in demselben das Fundamentalwerk Musica divina von Carl Proske und das Enchiridion chorale von Mettenleiter, Werke, deren Ausführungen an der Domkirche zu Regensburg Aufsehen und Bewunderung in der ganzen Welt erregten.
Vom 1. Januar 1866 an gab der eigentliche Bahnbrecher auf dem Gebiete der katholischen Kirchenmusik Dr. Witt die »Fliegenden Blätter für katholische Kirchenmusik« im Pustetschen Verlage heraus, denen er im gleichen Verlage von 1868 an die Zeitschrift Musica sacra folgen ließ. Beide Fachblätter erwarben sich rasch Freunde und es gab Jahre, in denen ihr Abonnentenstand die Zahl 3000 erreichte.
Zu welch großartiger Ausgestaltung der Pustetsche Verlag unter dem Einflusse der von Dr. Witt durchgeführten Reformbestrebungen auf kirchenmusikalischem Gebiete gedieh, das zeigt am klarsten ein Vergleich der Pustetschen Verlagskataloge. Während der älteste, die Jahre 1830 bis 1851 umfassende Katalog, nur eine einzige Tondichtung kirchlichen Charakters anführt, setzt sich das neueste, bis zum Jahre 1903 reichende Verzeichnis musikalischer Werke aus nicht weniger als 82 Oktavseiten zusammen. Die klangvollsten Namen katholischer Kirchenkomponisten der Neuzeit finden sich dort vertreten, davon seien erwähnt: Dr. Witt, der die meisten seiner zahlreichen und großartigen Tonschöpfungen: Messen, Litaneien, Gradualien bei Fr. Pustet verlegte, Dr. Frz. X. Haberl, Michael Haller, Jos. Hanisch, der große Meister des Orgelspiels, C. Greith, Stehle, Singenberger, Mitterer, Oberhoffer, Könen, Bernh. Kothe, Jos. Renner, der sich neben seinen kirchlichen Kompositionen durch Herausgabe seiner methodisch vortrefflichen »Zwölf Wandtafeln zum Gesangunterrichte«, durch seine gediegenen Sammlungen: »Mutter Donau«, »Regensburger Oberquartette« und nicht zum wenigsten durch seine »Auswahl deutscher Madrigale« Orlandos di Lasso,[780] Haslers und anderer großer Meister des 16. Jahrhunderts, auch um die Pflege des weltlichen Gesanges bleibende Verdienste erworben hat.
Im Jahre 1860 erachtete es Pustet an der Zeit, den Weg in seinem Geschäftsleben für jüngere Kräfte frei zu machen, weshalb er seine Buchhandlung nebst Verlag und Druckerei in Regensburg sowie die Papierfabrik in Alling an seine Söhne abtrat. Friedrich Pustet widmete sich den Aufgaben des liturgischen Faches, Klemens Pustet übernahm die Leitung des Papiergeschäftes, Karl Pustet stellte seine Arbeitskraft im allgemeinen zur Verfügung. Für sich behielt der Vater die einige Jahre früher erworbene J. E. v. Seidelsche Buchhandlung in Sulzbach. 1862 verkaufte er jedoch sein Anwsen in Sulzbach und siedelte alsdann nach München über, wo er den Königlich Bayerischen Zentral-Schulbücher-Verlag erwarb, mit dem er eine eigene Druckerei verband, in großem Stile die illustrierte Unterhaltungszeitschrift: Deutscher Heimgarten gründete, die er jedoch nicht auf der Höhe der Zeit zu halten vermocht hat, weshalb das Unternehmen nach nur zweijährigem Bestehen aufgegeben werden mußte.
Am 6. März 1882 schied der Gründer der großen Pustetschen Firma im hohen Alter von 84 Jahren, aber im Vollbesitze seiner geistigen Kräfte, in München aus dem Zeitlichen.
Friedrich Pustet (II), geboren am 25. Juli 1831 in Regensburg, gestorben am 4. August 1902 ebenda, wurde für seinen Beruf von Jugend auf erzogen, besuchte die Volksschule, dann das Gymnasium und begann darauf im väterlichen Geschäfte seine buchhändlerische Lehre. Zwei weitere Jahre verbrachte der junge Pustet in der Fehrschen Buchhandlung in St. Gallen. 1856 rief ihn der Vater nach Hause und betraute ihn alsobald mit einer wichtigen geschäftlichen Sendung, mit einer Reise nach Rom, wo er dem Papste Pius IX. das erste Regensburger Missale des väterlichen Verlages überreichte. 1860 trat er mit seinem Bruder Karl an die Spitze des Geschäftes.
1868 erhielt Friedrich Pustet aus Rom den Brief einer gewissen Alfieri, die ihm mitteilte, daß ihr kürzlich verstorbener Bruder das Manuskript eines Graduale und Antiphonarium Romanum hinterlassen habe, das nächstens von der S. Rit. Congr. approbiert und für die ganze Kirche vorgeschrieben werde. Das Manuskript bot die Briefschreiberin um 60000 Franks zum Kaufe an. Pustet wandte sich um nähere Auskunft an einen zuverlässigen Fachmann in Rom. Nähere Nachforschungen ergaben jedoch die gänzliche Unbrauchbarkeit des angebotenen Manuskripts, welches Monsignore Alfieri auch der[781] Ritenkongregation vorgelegt gehabt hatte, das aber von dieser abgelehnt worden war.
Den Absichten der Kirche entsprach jedoch die Herausgabe von Choralbüchern, durch welche Einheit im Kirchengesange für die ganze katholische Welt hergestellt werden sollte, und es wurde auf Anordnung Papst Pius IX. eine Kommission ernannt, welche die Manuskripte anzufertigen und die Herausgabe zu überwachen hatte. Ein Verleger dafür, der das Unternehmen ganz auf eigene Kosten übernehmen sollte, fand sich nicht gar leicht. Pustet aber hatte den Mut dazu und hatte es auch nicht zu bereuen, obwohl die ursprüngliche Absicht der allgemeinen Einführung dieser Choralbücher Roms großen Hindernissen begegnete und nicht ausführbar war.
Auf Grund eines 30jährigen Privilegs entstand nun im Pustetschen Verlage eine Reihe von liturgischen Gesangbüchern, deren schöne Ausstattung großen Beifall fand. Mehrere davon wurden in großen Auflagen gedruckt und verbreitet. Papst Pius IX. ehrte den Verleger mit dem Titel: Typographus Sacrorum Rituum Congregationis und ein Jahr darauf zur Zeit des Konzils mit zwei goldenen Medaillen.
Die typographischen Erzeugnisse der Pustetschen Firma errangen auf allen Ausstellungen, wo sie sich zeigten, die ersten Preise, die in goldenen oder silbernen Medaillen und Diplomen bestanden. Überall erregte die Pracht und Eleganz der Pustetschen Bücher, die Feinheit ihrer künstlerischen Ausführung, die tadellose Sauberkeit des Druckes Bewunderung, so daß sich der Ruf von der außerordentlichen Leistungsfähigkeit des Hauses immer weiter verbreitete.
Im Jahre 1880 ging aus der Pustetschen Offizin ein liturgisches Werk hervor, mit dem sich kein anderes Erzeugnis der Typographie in dieser Art messen konnte und das daher buchstäblich second to none war: Der große Canon Missae ad usum Episcoporum ac Praelatorum, eine Prachtleistung ersten Ranges, oder wie die offizielle Approbation der Ritengongregation sich ausdrückte: »Nitidissima editio solerti studio elaborata«. Angefangen von der prächtigen Schrift, deren kleinste Buchstaben 9 Millimeter messen, und den 10 Millimeter breiten Randeinfassungen Kleins bis zu dem ebenfalls von Klein gezeichneten Titel- und Kanonbild und dem wunderbaren Einband, griff alles ineinander, um ein Werk von seltenster Schönheit zu schaffen.
Vereine, gemeinnützige Stiftungen, Kirchen, Klöster und Missionen besaßen an Pustet einen unermüdlichen Gönner. Die Wohltätigkeitsstiftungen Regensburgs hätten keinen opferfähigeren Freund besitzen können als Friedrich Pustet. Insbesondere lag ihm[782] der Marienverein, eine Versorgungsanstalt für alte, gebrechliche Dienstboten weiblichen Geschlechts, sehr am Herzen. Aus eigenen Mitteln bewerkstelligte er ferner Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Wiederherstellung eines der interessantesten Baudenkmäler Regensburgs, der im 12. Jahrhundert erbauten Kirche St. Leonhard.
Durch Ankauf, An- und Umbau hatten sich die Geschäftsgebäude fortwährend erweitert und ausgedehnt, so daß sie heute einen sehr ansehnlichen Flächenraum umspannen. Die Einrichtungen sind mustergiltig. In den Maschinensäsen, Setzereien, in der Buchbinderei, Stereotypie, Galvanoplastik, Kupferdruckerei und chromoxylographischen Anstalt herrscht bei voller Ausnützung aller neueren praktischen Hilfsmittel der rührigste Betrieb, dem, abgesehen von dem in den Verlagsabteilungen beschäftigten Personal, 280 Arbeitskräfte dienen.
Friedrich Pustet starb am 4. August 1902, nachgefolgt von dem jetzigen Mitbesitzer der Firma, seinem Sohne Friedrich (III).
Quellen: Denk, Friedr. Pustet, Vater und Sohn, Regensburg 1904.
Brockhaus-1809: Die Familie der Polignac's
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