[1043] Wigand, Familie. Der Name Wigand gehört zu den geachtetsten und bekanntesten der großen Buchhandelswelt. Wir treffen ihn schon sehr frühzeitig und in der neueren Entwickelung des Buchhandels an hervorragender Stelle. Die Reihe der Buchhändler Wigand beginnt mit Karl Friedrich Franz Wigand, geboren am 7. Januar 1787 zu Göttingen. Mit 14 Jahren trat er als Buchhandlungslehrling bei Schneider (nach einem anderen Biographen bei Vandenhoeck & Ruprecht, da letzterer sein Pate war) in Göttingen ein, blieb aber dort nicht, da die Behandlung eine zu schlechte war und setzte die Lehre in Helmstädt fort. Seine Wanderjahre führten ihn nach Brünn, 1811 nach Preßburg, wo er als[1043] Gesellschafter in die Lippertsche Buchhandlung eintrat. Dieses Verhältnis löste sich jedoch bald und Wigand begründete in Oedenburg eine Buchhandlung; dazu erkaufte er die Löwesche Buchhandlung in Preßburg (gegr. 1790 bezw. unter anderer Firma im Jahre 1715), die er unter seinem eigenen Namen fortführte; angeblich erwarb er auch die inzwischen in Konkurs geratene Lippertsche Buchhandlung. 1825 kaufte er die Preßburger politische Zeitung, die er zwölf Jahre selbst redigierte und in letzter Zeit in eigener Druckerei herstellen ließ. Als Grundlage für letztere hatte er 1836 die Landerersche Buchdruckerei erworben.
1841 übernahm die Preßburger Sortiments-Buchhandlung sein Sohn Karl Friedrich Wigand (geb. 8. April 1817), während der Vater sich ausschließlich dem Druck und Verlag zuwandte.
Außer Schul- und Erbauungsbüchern verlegte Wigand verschiedene sehr gutgehende Wörterbücher sowie eine Anzahl Werke aus der Jurisprudenz. 1846 begründete Wigand noch eine Schriftgießerei, der er 1848 eine durch Kauf erworbene in Konkurs geratene lithographische Anstalt anschloß. Er starb am 3. Februar 1849, nachdem er schon einige Jahre vorher die Oedenburger Filiale seinem zweiten Sohne Friedrich Wigand (geboren 1818, gestorben 1873) übergeben hatte.
Der Besitzer des Preßburger Geschäftes, Karl Wigand, der das Geschäft bis 1860 allein, von da ab bis 1867 mit seinem Bruder Moritz Adolf Wigand (geb. 11. Dezember 1832) leitete, übernahm 1867 die bis dahin von seinem Bruder geführte Buchdruckerei und besaß von 1847 bis 1861 den Verlag der »Preßburger Zeitung«. Er starb am 2. Dezember 1890. Seit 1873 ist Carl Stempsel Besitzer der ehemaligen Firma C. F. Wigand in Preßburg.
Otto Friedrich Wigand, am 10. August 1795 in Göttingen geboren, kam in seinem 14. Jahre zu dem Buchhändler Dauerlich in die Lehre. Als Gehilfe war er zu Prag und Wien tätig und folgte dann einem Rufe seines Bruders Karl nach Preßburg. Er übernahm für diesen die Geschäftsreisen durch Ungarn und durchzog mit einem Planwagen voll Bücher das ganze Land, besuchte überall die Edelhöfe und Pfarren und nahm Bestellungen entgegen. Wie ein geistiger Pionier streute er über die öden Pußten, wie durch die reizenden Täler der Karpathen, die in dem unwegsamen Lande noch unbekannten Schätze der Literatur und erfreute sich infolge seiner anregenden und lebendigen Persönlichkeit eines ungewöhnlichen Erfolges.
Am 27. Dezember 1816 gründete er eine eigene Sortimentsbuchhandlung in Kaschau, die sich bald zu einer der blühendsten in der österreichischen Monarchie erhob. 1825 ging Wigand nach Preßburg,[1044] um dort mit seinem Bruder Karl Wigand eine große Grenzbuchhandlung zu gründen, die Führung seines Kaschauer Geschäftes überließ er seinem Bruder Georg Wigand. Da der Plan in Preßburg nicht zustande kam, kaufte Otto Wigand 1827 ein altes buchhändlerisches Realrecht in Pest und entwickelte hier als Verleger eine großartige Tätigkeit, die von dem glücklichsten Erfolge begleitet wurde. Sein Hauptunternehmen bestand in der Herausgabe eines ungarischen Konversationslexikons. Die Leipziger Messen hatte er schon von Kaschau aus regelmäßig besucht und als ihm einmal auf einer solchen Reise sein Koffer mit 30000 Gulden gestohlen wurde, brachte ihn auch dies nicht aus der Fassung.
Unangenehme Erfahrungen politischer Natur bewogen Wigand 1832 nach Leipzig überzusiedeln, wo er ein Verlagsgeschäft schuf, das seinen Namen weit und breit berühmt machte. 1834 begründete er mit Dr. Schmidt die bekannten »Jahrbücher der Medizin« und 1838 übernahm er den Verlag der »Halleschen Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst«, die ihm im Verlaufe der Jahre harte Kämpfe brachten. 1843 wurde das Journal sogar in ganz Deutschland und Oesterreich verboten.
Von seinen übrigen zahlreichen und bedeutenden Verlagswerken seien noch genannt: Ludwig Feuerbachs Werke in 10 Bänden, verschiedene Rechts- und kaufmännische Lexika, sowie eins der Nationalliteratur von O. L. B. Wolff, ein 15 bändiges Konversationslexikon, Rammlers bekannter Briefsteller, Sanders deutsches Wörterbuch, Ritters geograph. statistisches Lexikon, deutsche Volksbücher mit Illustrationen von Ludwig Richter, Uebersetzungen französischer Klassiker u.a.m. 1842 gründete Wigand mit seinen Söhnen Walter und Otto Wigand eine Buchdruckerei, die 1852 an die Söhne überging. 1863 zog er sich aus dem Geschäftsleben zurück, nachdem er zuvor das Verlagsgeschäft seinem Sohne Hugo Karl Wigand (geb. 1822, gest. 1873) übergeben hatte, dessen Erben noch heute im Besitze der Handlung sind. Als Otto Wigand am 1. September 1870 starb, widmete ihm Hugo Olbermann im »Leipziger Tageblatt« einen längeren Nachruf, in dem es u. a. heißt:
Ein Bürger ohne Furcht und Tadel,
Ein Pionier im Bücherland,
Und ein Mäcen von innerm Adel
So hat ihn seine Zeit gekannt.
Hugo Wigand hat den Verlag des Vaters eifrig ausgebaut. Den ersten Rang nahmen die Schriften über die religiös-philosophische Aufklärung ein, dann folgte die Kulturgeschichte. Er blieb der[1045] ständige Verleger von Johannes Scherr und bei ihm erschien auch Henne am Rhyns Kulturgeschichte etc.
Der dritte besondere Stern in der Wigandschen Buchhändlerfamilie war Georg Wigand. Am 13. Februar 1808 in Göttingen geboren, mit seinem an Willenskraft ihm ebenbürtigen ältern Bruder Otto aus achtbarem, aber durch die Kriegsjahre verarmten Hause, in entsagungsvoller Jugend aufgewachsen und frühzeitig zur mitschaffenden Sorge um den Unterhalt der Familie angehalten, kam er, ein frühgereifter Knabe, schon in seinem vierzehnten Jahre nach Kaschau in Oberungarn. Dort hatte sein Bruder Otto als Buchhändler, wie oben erzählt, sich selbständig gemacht. Bei ihm fand Georg Obhut und Lehre. Hier schon bewährte sich seine früh geübte Selbstzucht, sein Lerneifer und seine glückliche Begabung, und als sein Bruder Otto, dessen Tatkraft sich in der Kleinstadt durch unüberwindliche Grenzen beengt sah, nach Pest übersiedelte, überließ er sein Kaschauer Geschäft, zu dessen Blüte Georg in redlichem Bemühen das Seinige beigetragen hatte, seinem als treubewährten Mitarbeiter erprobten jüngern Bruder.
Am 1. November 1829 übernahm Georg Wigand diesen Besitz. Aber auch seine hochstrebende und erfolggesegnete Arbeit konnte die Grenzen nicht überschreiten, die die engen örtlichen Verhältnisse und die Zensur ihm steckten. So entschloß er sich zur Rückkehr nach Deutschland, einem großen, nicht unbedenklichen, aber frisch gewagten und in der Folge als richtig erwiesenen Schritt. Seit dem 1. Juli 1834 war Leipzig der Sitz seines Hauses und der wohlgeeignete, dankbare Boden für seine mit großer Lebhaftigkeit einsetzende Verlagstätigkeit. Fast völlig von neuem mußte er beginnen, und seine ersten Leipziger Jahre verliefen nicht ohne Sorgen, denn seine Mittel waren beschränkt. Aber nachdem er mit seiner gut aufgenommenen, wohlfeilen Shakespeare-Ausgabe den ersten glücklichen Griff getan hatte, fand er schnell den Mut zu einem weiteren groß angelegten und über Erwarten erfolgreichen Unternehmen, dem »Malerischen Deutschland«. Bald folgten vortreffliche Bilderwerke, mit denen er für den neu aufstrebenden deutschen Holzschnitt fördernd und bahnbrechend wirkte und seinen Namen weithin bekannt machte.
Einer der klangvollsten Namen in seinem nicht gerade um fangreichen aber sehr gewichtigen Verlagsverzeichnis ist derjenige Ludwig Richters, und die bewundernswert sorgfältige Wiedergabe der Zeichnungen dieses feinsinnigen Künstlers gereicht dem unermüdlich darum besorgten Verleger zur Ehre. Andere bedeutende Künstlernamen schließen sich an Ludwig Richter an, Namen wie[1046] A. J. Carstens, Peter von Cornelius, Schnorr von Carolsfeld, Moritz von Schwind zieren mit großen und schönen Werken den Katalog seiner Firma. Viele andere illustrierte und nicht illustrierte, immer aber mit peinlicher Sorgfalt hergestellte und weit bekannt gewordene Werke zum Teil auch von den Geschäftsnachfolgern des Gründers dem reichen Bestande hinzugefügt dürfen als Zierden dieses Verlags angesprochen werden. Wir erinnern nur an das »Deutsche Balladenbuch«, an Bechsteins »Märchenbuch«, Hebels allemannische Gedichte, an die deutsche Kaiser-Tafel und die Hohenzollerntafel, an Dullers Geschichte des deutschen Volkes, an den Deutschen Jugendkalender, an Clementine Helms Backfischchen und anschließende hübsche Erzählungen, an Zeitschriften wie »Der chemische Ackersmann«, »Polytechnisches Centralblatt«, »Literarisches Centralblatt«, »Quellwasser fürs deutsche Haus.« Die Wissenschaft ist durch Mommsen, Zarncke u.a. vertreten.
Bedeutend sind die Wandlungen in Georg Wigands Geschäftsbestande. Immer Neues schaffend, immer kühn in seinen Unternehmungen und immer persönlich aufs emsigste mitarbeitend, war es ihm oft Bedürfnis, sich wichtiger Teile seines Geschäftsbetriebes zu entäußern, deren Arbeitsanforderungen seinem persönlichen Interesse nicht die Wage hielten und ihm die Uebersicht erschwerten. So ist aus seinem Geschäft eine ganze Reihe von namhaften Firmen des deutschen Buchhandels erwachsen, deren Grundlage Georg Wigands rastlos schaffender Arbeit entstammt. Wir nennen J. Klemann in Hannover, Haendcke & Lehmkuhl in Hamburg, ⇒ Hermann Haessel in Leipzig, Gustav Händel in Leipzig, ⇒ Kirchhoff & Wigand in Leipzig.
Am 9. Februar 1858 machte ein unerwartet früher Tod diesem rastlosen und reichgesegneten Wirken ein Ende.
Unterstützt von Dr. Albrecht Kirchhoff, führte die Witwe das Geschäft weiter, bis 1874 der jüngste Sohn Martin Wigand das Erbe des Vaters übernehmen konnte. Auch Martin Wigand, der sich mit großem Ernst seiner Aufgabe gewidmet hatte, wurde vorzeitig vom Tode ereilt. Seit 1. Februar 1891 ist Ferdinand Lomnitz Inhaber des berühmten Verlages.
Quellen: Chronik der Familie W., Leipzig 1902; Neuer Nekrolog der Deutschen 1849; Börsenbl. f. d. deutschen Buchhandel 1849; Thomälen, Georg, W., Leipzig 1894; Kirchhoff, Georg, W. (in »Männer der Zeit« 1. Serie), Leipzig 1860.
Brockhaus-1809: Die Familie der Polignac's
DamenConvLex-1834: Oranien (Familie) · Orleans (Familie) · Medicis (Familie) · Merovinger (Familie) · Rothschild, Familie · Visconti, die Familie · Plantagenet (Familie) · Romanow (Familie) · Hohenzollern (Familie) · Capitol (Familie) · Este (Familie) · Bonaparte (Familie) · Bourbon (Familie) · Habsburg (Familie) · Hohenstaufen (Familie) · Familie · Farnese (Familie)
Herder-1854: Heilige Familie · Familie
Kirchner-Michaelis-1907: Familie
Meyers-1905: Päpstliche Familie · Heilige Familie · Familie
Pierer-1857: Heilige Familie · Familie · Brüder der Familie
Schmidt-1902: Endter, Familie · Estienne, Familie · DuMont-Schauberg, Familie · Elzevier, Familie · Faber, Familie · Gerold, Familie · Graß, Familie · Fleischer, Familie · Gebauer-Schwetschke, Familie · Bagel, Familie · Birckmann, Familie · Apiarius, Familie · Baedeker, Familie · Boisserée, Familie · Decker, Familie · Didot, Familie · Brandis, Familie · Brügel, Familie
Buchempfehlung
Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«
242 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro