[44] Allgemein. (Schöne Künste)
Was allen Dingen, die zu einer Gattung gehören, gemein ist. Es wird dem besondern entgegen gesetzt, welches nur einzeln zu einer Gattung gehörigen Dingen zukömmt. Die Betrachtung des Allgemeinen und des Besondern gehört deswegen zur Theorie der schönen Künste, weil es in gar viel Fällen nothwendig ist, das Allgemeine durch das Besondere auszudrüken. Hierauf scheinet Horaz in der Anmerkung: difficile est proprie communia dicere,1 zu zielen. Das Allgemeine ist aus zweyerley Gründen unästhetisch: weil es durch abgezogene und also von der Sinnlichkeit entfernte Begriffe vorgetragen wird; und denn auch, weil es oft zu gemein ist, und deshalb die Vorstellungskraft nicht genug reizt.
Das Allgemeine befindet sich blos in dem Verstande; die Sinnen werden nur von einzeln Dingen gerühret: daher kann das Allgemeine niemal sinnlich vorgetragen werden, als wenn es in dem Besondern gesagt wird. Hieraus entstehen so mancherley Kunstgriffe, das Allgemeine besonders zu sagen; dergleichen sind die Bilder, die Beyspiele, die Gleichnisse, die Allegorie, wo das Allgemeine der anschauenden Erkenntniß in dem Besondern vorgelegt wird. Dabey ist denn überhaupt zu merken, daß das Allgemeine sich um so viel gewisser eindrükt, je neuer und reizender das Besondere ist, aus dem es erkennt wird.
Ein andrer weniger gemeiner Kunstgriff, das Allgemeine besonders zu sagen, besteht darin, daß das Besondere durch einen nothwendigen Schluß auf das Allgemeine führe, wie in diesem Ausdruk:
Ach! ich sahe der Tugenden letzte vom Erdreich geflohen2
Wobey man nothwendig das Allgemeine denken muß: nun war gar keine Tugend mehr auf Erden.
Es ist kaum nöthig zu erinnern, daß beyde Kunstgriffe, das Allgemeine besonders zu sagen, eben nicht bey jedem gemeinen Gedanken, sondern nur bey solchen zu brauchen seyn, die ihrer Wichtigkeit halber einen stärkern Eindruk machen müssen.