Auftritt

[90] Auftritt. (Schauspiel)

Der Theil der dramatischen Handlung, der ununterbrochen von denselbigen Personen behandelt wird. Ein Auftritt ist zu Ende, und ein neuer fängt an, [90] so bald eine Person von der Bühne geht, oder zu den gegenwärtigen noch eine hinzu kömmt. Daß in den dramatischen Werken alter und neuer Dichter die Handlung in Auftritte abgetheilt wird, und jedem die Namen der darin erscheinenden Personen voran stehen, ist eine Mode der neuern Zeit, und hat weiter nichts auf sich.

Die Anzahl der Auftritte in einem Aufzug oder in dem ganzen Stük, ihre Länge, die Anzahl der Personen, diese Punkte sind keiner andern Regel unterworfen, als der allgemeinen Regel der ganzen Handlung; daß keine Person ohne hinreichenden, in der Handlung liegenden Grund, weder weg gehen noch auftreten soll; und daß vom Anfange eines Aufzuges bis ans Ende die Bühne niemals leer seyn, sondern jeder Auftritt mit dem folgenden in enger Verbindung stehen soll. Beydes erfodert die Natur der Sache. Doch werden diese Regeln, so wie alle andere, vielfältig übertreten. In den englischen Comödien kömmt dieses besonders oft vor, daß zwey Personen abtreten und die Bühne leer lassen, zwey andere hierauf eintreten, die von ganz andern Sachen reden; so daß man lange nicht weiß, wie diese hieher kommen, oder in was für Verbindung sie mit den vorigen stehen. Die Gewohnheit macht alles erträglich, und zuletzt läßt sich für jeden Fehler eine Entschuldigung finden. Gewiß aber ist es, daß dergleichen nicht zusammenhängende Auftritte die Aufmerksamkeit zerstreuen, und daher würkliche Fehler sind.

Aus allzu ängstlicher Beobachtung des Zusammenhanges begehen die französischen und deutschen Dichter einen andern Fehler, der würklich anstössig ist. Sie lassen oft die Ankunft einer neuen Person förmlich ankündigen, wo es gar nicht nöthig wäre; als ob sie befürchteten, man würde den neu auftretenden nicht gewahr werden, oder nicht kennen. Dieses Mißtrauen in die Aufmerksamkeit des Zuschauers beleidiget ihn. Es kann freylich Fälle geben, wo diese Ankündigung nöthig ist; aber sie wird gar zu oft ohne Noth gebraucht.

Eine wichtigere Anmerkung ist die, daß die doppelten Auftritte, da zweyerley handelnde Personen einander nicht gewahr werden, oder da jede Parthey für sich handelt, als wenn die andere sie noch nicht bemerkt hätte, mit der größten Behutsamkeit anzubringen sind. Insgemein sind sie abgeschmakt: Unsere Schaubühnen sind dazu viel zu klein. Die Alten hatten weit größere Bühnen, da giengen die doppelten Auftritte vollkommen an, und waren bisweilen sehr lustig, wovon Plautus in dem zweyten Auftritt des zweyten Aufzugs im Paenulus ein gutes Beyspiel giebt.

Stumme Auftritte, wo gar nichts, oder sehr wenig Worte gesprochen werden, sind nicht im Gebrauch, könnten aber bey gewissen Gelegenheiten sehr gute Würkung thun; wenn nur der Dichter sich auf die Geschiklichkeit der Schauspieler verlassen könnte. In der Oper wären sie leichter zu behandeln; weil die Musik der stummen Handlung zu Hülfe käme. Der besondern Gattung der Auftritte, wo alle Leidenschaften auf das höchste gestiegen sind, ist anderswo gedacht worden. S. Aufführung.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 90-91.
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