Bebung

[136] Bebung. (Musik)

Die Bebung eines Tones ist eine überaus schnelle Abwechslung der Höhe und Tiefe, wie auch der Stärke und Schwäche desselben, während seiner Dauer, wodurch er, ohne seine Natur zu verlieren, etwas mannigfaltiges bekommt. Daß ein Ton derselbe bleibe, wenn er in seiner Dauer oder Aushaltung wechselsweise etwas stärker oder schwächer wird, ist eine bekannte Sache. Daß er aber auch eine ähnliche Abwechslung der Höhe und Tiefe leiden könne, ohne seine Natur zu verändern, möchte zweifelhaft scheinen. Wenn man aber bedenkt, daß ein Intervall, z. E. eine Quinte um ein merkliches von dem reinen Verhältniß 2:3. abweichen, und dennoch die Stelle einer reinen Quinte vertreten könne; so wird man auch leicht begreifen, daß jeder Ton, ohne seinen Namen zu verlieren, etwas höher und tiefer werden könne; zumal wenn diese Abwechslung so schnell geschieht, daß man seine reine vollkommene Höhe nie aus dem Gehör verliert.

Bey der Bebung der Töne wechselt das stärkere und schwächere, das höhere und tiefere mit solcher Schnelligkeit ab, daß die Abwechslung selbst nicht deutlich wird, und dieses giebt dem Tone etwas sanftes, und gleichsam wellenförmiges. Der bebende Ton ist von dem mit der größten Genauigkeit in einerley Höhe und Stärke fortdaurenden eben so unterschieden, wie ein sanfter Umriß im Gemählde von einem harten, der nach dem Lineal oder mit dem Zirkel gezogen wäre. Wie in der Mahlerey solche Umrisse der ganzen Vorstellung eine Härtigkeit geben, sanfte und bey nahe ungewiß scheinende aber, alles weich und natürlich machen, so ist es auch in dem Gesange. Jeder etwas anhaltende Ton wird steif und hart, wenn ihm nicht die Bebung ein sanfteres Wesen giebt. Dieses ist eine der Ursachen, warum eine Melodie auf einem Clavier, dessen Sayten durch Federn geschnellt werden, niemal so sanft kann gespielt werden, als auf der Violin oder auf der Flöte, welche den Tönen die Bebung geben kann.

Die menschliche Stimme hat den Vorzug, den sie so offenbar vor allen andern Instrumenten hat, größtentheils den sanften Bebungen zu danken, die sie allen anhaltenden Tönen giebt. Es ist ein wesentliches Stük des guten Singens und Spielens, daß man lerne jeden Ton mit solcher Bebung aushalten. Im Singen ist es am leichtesten, weil die Natur selbst die Werkzeuge der Stimme so gebildet hat, daß sie bey keinem anhaltenden Ton in derselben steifen Spannung bleiben. Auf Instrumenten aber erfodert die Bebung weit mehr Kunst. Am leichtesten scheint sie auf der Violin durch das schnelle hin und her wälzen des die Sayte niederdrükenden Fingers erhalten zu werden.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 136.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: