Die Folge der Töne, die den Gesang eines Tonstüks ausmachen, in so fern er von der ihn begleitenden Harmonie unterschieden ist. Sie ist das Wesentliche des Tonstüks; die begleitenden Stimmen dienen ihr blos zur Unterstüzung. Die Musik hat den Gesang, als ihr eigentliches Werk, zu ihrem Ziehl, und alle Künste der Harmonie haben blos den schönen Gesang zum lezten Endzwek. Darum ist es eine eitele Frage, ob in einem Tonstük die Melodie, oder die Harmonie das vornehmste sey: Ohne Zweifel ist das Mittel dem Endzwek untergeordnet.
Wichtiger ist es für den Tonsezer, daß er die wesentlichen Eigenschaften einer guten Melodie beständig vor Augen habe, und den Mitteln, wodurch sie zu erreichen sind, in so fern sie von der Kunst abhangen, fleißig nachdenke. Da dieses Werk nicht blos für den Künstler, sondern fürnehmlich für den philosophischen Liebhaber geschrieben ist, der sich nicht begnügt zu fühlen, was für Eigenschaften jedes Werk der Kunst in seiner Art haben müsse, sondern die Gründe der Sachen, so weit es möglich ist, sie zu erkennen, wissen will; so ist nöthig, daß wir hier die verschiedenen Eigenschaften des Gesanges, oder der Melodie aus ihrem Wesen herleiten.
Es ist bereits in einem andern Artikel1 gezeiget worden, und wird in der Folge noch deutlicher entwikelt werden2, wie der Gesang aus der Fülle einer angenehmen leidenschaftlichen Empfindung, der man mit Lust nachhängt, entstehet. Der natürliche, unüberlegte und ungekünstelte Gesang ist eine Folge leidenschaftlicher Töne, deren jeder für sich schon das Gepräg der Empfindung, die ihn hervorbringet, hat. Die Kunst ahmet diese Aeußerung der Leidenschaft auch durch Töne nach, die einzeln völlig gleichgültig sind, und nichts von Empfindung anzeigen. Es wird Niemand sagen können, daß er bey Anschlagung eines einzelen Tones der Orgel, oder des Clavieres etwas leidenschaftliches empfinde, und doch kann aus solchen unbedeutenden Tönen ein das Herz stark angreifender Gesang zusammengesezt werden. Es ist wol einer Untersuchung werth, wie dieses zugehe.
Die Musik bedienet sich zwar auch leidenschaftlicher Töne, die an sich, ohne die Kunst des Tonsezers, schmerzhaft, traurig, zärtlich oder freudig sind. Aber sie entstehen durch die Kunst des Sängers, und gehören zum Vortrag; hier, wo von Verfertigung einer guten Melodie die Rede ist, kommen sie nicht in Betrachtung, als in so fern der Tonsezer dem Sänger, oder Spiehler einen Wink geben kann, wie er die vorgeschriebenen Töne leidenschaftlich vortragen soll.
Das Wesen der Melodie besteht in dem Ausdruk. Sie muß allemal irgend eine leidenschaftliche Empfindung, oder eine Laune schildern. Jeder, der sie hört muß sich einbilden er höre die Sprach eines Menschen, der von einer gewissen Empfindung durchdrungen, sie dadurch an den Tag leget. In so fern sie aber ein Werk der Kunst und des Geschmaks ist, muß diese leidenschaftliche Rede, wie jedes andere Werk der Kunst ein Ganzes ausmachen, darin Einheit mit Mannigfaltigkeit verbunden ist; dieses Ganze muß eine gefällige Form haben, und sowol überhaupt, als in einzelen Theilen so beschaffen seyn, daß das Ohr des Zuhörers beständig zur Aufmerksamkeit gereizt werde, und ohne Anstoß, ohne Zerstreuung, den Eindrüken, die es empfängt, sich mit Lust überlasse. Jeder Gesang, der diese doppelte Eigenschaft hat, ist gut; der, dem sie im Ganzen fehlen, ist völlig schlecht, und der, dem sie in einzelen Theilen fehlen, ist fehlerhaft. Hieraus nun müssen die verschiedenen besondern Eigenschaften der Melodie bestimmt werden.
Zuerst ist es schlechterdings nothwendig, daß ein Hauptton darin herrsche, der durch eine gute, dem Ausdruk angemessene Modulation seine verschiedenen Schattirungen bekomme. Zweytens muß ein vernehmliches Metrum, eine richtige und wol abgemessene Eintheilung in kleinere und grössere Glieder sich darin zeigen. Drittens muß durchaus Wahrheit des Ausdruks, bemerkt werden. Viertens muß jeder einzele Ton, und jedes Glied, nach Beschaffenheit des Inhalts, leicht und vernehmlich seyn. Ist die Melodie für Worte, oder einen so genannten Text bestimmt, so muß noch fünftens die Eigenschaft hinzukommen, daß alles mit der richtigsten [748] Declamation der Worte, und mit den verschiedenen Gliedern des Textes übereinstimme. Jeder Artikel verdienet eine nähere Betrachtung.
I. Daß in der Melodie ein Hauptton herrsche, das ist, daß die auf einander folgenden Töne aus einer bestimmten Tonleiter müssen hergenommen seyn, ist darum nothwendig, weil sonst unter den einzelen Tönen kein Zusammenhang wäre. Man nehme die schönste Melodie, wie sie in Noten geschrieben ist, und hebe die Tonart darin auf; so wird man den Gesang sogleich unerträglich finden. Man versuche z.B. folgenden Saz:
wenn man kann, so zu singen:
man wird es, wegen Mangel des Zusammenhanges unter den Tönen, unmöglich finden, und wenn man ihn auch auf einem Instrument so spielte, so giebt er dem Gehör nichts vernehmliches. Die in jeder Tonleiter liegende Harmonie giebt den aus derselben genommenen Tönen den nöthigen Zusammenhang.3 Darum hat schon jede Folge von Tönen, wenn sie nur aus derselben Tonleiter genommen sind, sie folgen sonst auf- oder absteigend wie sie wollen, (wenn nur nicht der Natur der Leittöne zuwieder fortgeschritten wird)4 etwas angenehmes; weil man Zusammenhang und Harmonie darin empfindet.
Der Ton aber muß dem Charakter des Stüks gemäß gewählt werden. Denn bald jede Tonart hat einen ihr eigenen Charakter, wie an seinem Orte deutlich wird gezeiget werden.5 Je feiner das Ohr des Tonsezers ist, um den eigenthümlichen Charakter jeder Tonleiter zu empfinden, je glüklicher wird er in besondern Fällen in der Wahl des Haupttones seyn, die mehr, als mancher denkt, zum richtigen Ausdruk beyträgt.
Weil es gut ist, daß das Gehör sogleich von Anfang der Melodie von der Tonart eingenommen werde, so thut der Sezer wol, wenn er gleich im Anfang die sogenannten wesentlichen Sayten des Tones, Terz, Quint und Octave hören läßt. In Melodien von ganz geringem Umfang der Stimme, wird deswegen, auch ohne Baß, die Tonart leichter durch die untere oder harmonische Hälfte der Octave, von der Prime bis zur Quinte, als durch die obere Hälfte von der Quinte zur Octave, bestimmt. In dieser kann die Melodie so seyn, daß man, wo die begleitende Harmonie fehlet, lange singen kann, ohne zu wissen, aus welchem Ton das Stük geht. So kann man bey folgendem Saze:
gar nicht sagen, ob man aus C dur oder G dur singe.
In ganz kurzen Melodien, die blos aus ein paar Hauptsäzen bestehen, kann man durchaus bey dem Haupttone bleiben, oder allenfalls in seine Dominante moduliren: aber längere Stüke erfodern Abwechslung des Tones, damit der leidenschaftliche Ausdruk auch in Absicht auf das Harmonische seine Schattirung und Mannigfaltigkeit bekomme. Deswegen ist eine gute und gefällige, nach der Länge der Melodie und der verschiedenen Wendungen der Empfindung, mehr oder weniger ausgedähnte, schneller oder langsamer abwechselnde, sanftere, oder härtere Modulation, ebenfalls eine nothwendige Eigenschaft einer guten Melodie. Was aber zur guten Behandlung der Modulation gehöret, ist in dem besondern Artikel darüber in nähere Erwägung genommen worden.
Durch Einheit des Tones, harmonische Fortschreitung der Töne, und gute Modulation wird schon ein angenehmer, oder wenigstens gefälliger Gesang gemacht: aber er drükt darum noch nichts aus, und kann höchstens dienen ein Lied choralmäßig und doch noch sehr unvollkommen, herzulallen.
II. Darum ist zum guten Gesang eine gefällige Abmessung der Theile, wie in allen Dingen, die durch ihre Form gefallen sollen6, unumgänglich nothwendig. Jeder Gesang erweket durch die einzelen Töne, welche der Zeit nach auf einander folgen, den Begriff der Bewegung. Jeder Ton ist als eine kleine Rükung, deren eine bestimmte Anzahl einen Schritt ausmachen, anzusehen. Man kann sich diese Bewegung, als den Gang eines Menschen vorstellen; es scheinet eine so natürliche Aehnlichkeit zwischen dem Gang und der Bewegung des Gesanges zu seyn, daß überall, auch bey den rohesten [749] Völkern, die ersten Gesänge, die unter ihnen entstanden, unzertrennlich mit dem Gang des Körpers, oder mit Tanz verbunden waren. Und noch überall, wird der Takt durch Bewegungen des Körpers, besonders der Füße, angedeutet.
Jede Bewegung, in welcher gar keine Ordnung und Regelmäßigkeit ist, da kein Schritt dem andern gleichet, ist, selbst zum bloßen Anschauen, schon ermüdend; also würde eine Folge von Tönen, so harmonisch und richtig man auch damit fortschritte, wenn jeder eine ihm eigene Länge oder Dauer, eine ihm besonders eigene Stärke hätte, ohne irgend eine abgemessene Ordnung in dieser Abwechslung, unsre Aufmerksamkeit keinen Augenblik unterhalten, sondern uns vielmehr verwirren: wie wenn z.B. der vorherangeführte melodische Saz so gesungen würde.
Kein Mensch würde gehen können, wenn keiner seiner Schritte dem andern an Länge und Geschwindigkeit gleich seyn sollte. Ein solcher Gang ist völlig unmöglich. Wenn Töne uns ihn empfinden ließen, so wären sie höchst beschwerlich. Darum muß in der Bewegung Einförmigkeit seyn; sie muß in gleichen Schritten fortgehen,7 und die Folge der Töne muß in gleiche Zeiten, oder Schritte, die in der Musik Takte genennt werden, eingetheilt seyn.
Diese Schritte, müssen, wenn sie aus mehrern kleinen Rükungen bestehen, dadurch fühlbar gemacht werden, daß jeder Schritt, auf der ersten Rükung stärker, als auf den übrigen angegeben wird, oder einen Accent hat. Alsdenn fühlet das Gehör, die Eintheilung der Töne in Takte, so wie vermittelst der Accente der Wörter, ob sie gleich nicht, wie im Gesange immer auf dieselbe Stelle fallen, die Wörter selbst von einander abgesondert werden.8
Denn die Gleichheit der Schritte, ohne alle andre Abwechslung darin, , wenn auch gleich die Töne durch Höhe und Tiefe von einander verschieden wären, würde ebenfalls gar bald ermüden. So gar schon in der Rede, würde das schönste Gedicht, wenn man uns in immer gleichen Nachdruk, Sylbe vor Sylbe gleichsam vorzählen wollte, alle Kraft verliehren; die schönsten Gedanken, wären nicht hinreichend es angenehm zu machen. Darum müssen die gleich langen Schritte, oder Takte, in gefälliger Abwechslung auf einander folgen. Es ist deswegen nöthig, daß die Dauer des Takts in kleinere Zeiten, nach gerader oder ungerader Zahl, eingetheilt werde; daß die verschiedenen Zeiten, durch Accente, durch veränderten Nachdruk, oder auch noch durch abgeänderte Rükungen einzeler Töne, sich von einander unterscheiden. Also müssen in jedem Gesang Takte von mehrern Tönen seyn, deren Dauer zusammengenommen, das Zeitmaaß des Taktes genau erfüllet. Hiedurch entstehen nun wieder neue Arten von Einförmigkeit und Mannigfaltigkeit, die den Gesang angenehm machen. Man kann den Takt durchaus in zwey, oder in drey Zeiten, oder Theile eintheilen, so daß die Takte nicht nur gleich lang, sondern auch in gleiche kleinere Zeiten eingetheilt sind. Dieses dienet zur Einförmigkeit. Denn kann der ganze Takt, durch alle Theile seiner Zeiten, bald einen, bald zwey, bald mehrere Töne haben, und diese können durch Accente, durch Höhe und Tiefe, durch verschiedene Dauer sich von einander auszeichnen. Hieraus entstehet eine unerschöpfliche Mannigfaltigkeit, bey beständiger Einförmigkeit, davon an einem andern Orte das mehrere nachzusehen ist.9 Daher läßt sich begreifen, wie ein Gesang, vermittelst dieser Veranstaltungen, wenn er auch sonst gar nichts ausdrükt, sehr unterhaltend seyn könne. So gar ohne alle Abwechslung des Tones, in Höhe und Tiefe, kann durch die Einförmigkeit des Taks, und die Verschiedenheit in seinen Zeiten ein unterhaltendes Geräusch entstehen, wovon das Trommelschlagen ein Beyspiel ist:
Würden aber ganz verschiedene Takte in einem fort hinter einander folgen, so wäre doch diese mit Abwechslung verbundene Einförmigkeit nicht lang unterhaltend. Ein Ganzes, das aus lauter kleinen, gleichgroßen, aber sonst verschiedentlich gebildeten Gliedern besteht, ist nicht faßlich genug; die Menge der Theile verwirrt. Darum müssen mehrere kleine Glieder in größere gruppirt, und aus kleinen Gruppen große Hauptgruppen zusammengesezt werden. Dieses ist für alle Werke des Geschmaks, die aus viel kleinen Theilen zusammengesezt sind, eine nothwendige [750] Foderung.10 In der Melodie also, müssen aus mehreren Takten, größere Glieder, oder Einschnitte, und aus mehreren Einschnitten, Hauptglieder, oder Perioden gebildet werden.11 Wird dieses alles richtig nach einem guten Ebenmaaß beobachtet, so ist die Melodie allemal angenehm und unterhaltend.
III. Bis hieher haben wir das metrische und rhythmische der Melodie, als etwas, das zur Annehmlichkeit des Gesanges gehört, betrachtet. Aber noch wichtiger ist es, durch die darin liegende Kraft zum leidenschaftlichen Ausdruk. Dieser ist die dritte, aber weit die wichtigste Eigenschaft der Melodie. Ohne sie ist der Gesang blos ein wolgeordnetes, aber auf nichts abzielendes Geräusch; durch sie wird er zu einer Sprache, die sich des Herzens ungleich schneller, sicherer und kräftiger bemächtiget, als durch die Wortsprache geschehen kann.
Der leidenschaftliche Ausdruk hängt zwar zum Theil auch, wie vorher schon angemerkt worden, von dem Ton und andern zur Harmonie gehörigen Dingen ab; aber das, was durch Metrum und Rhythmus kann bewürkt werden, ist dazu ungleich kräftiger. Wir müssen aber hier, um nicht undeutlich zu werden, die verschiedenen von der Bewegung herkommenden, oder damit verbundenen Eigenschaften der Melodie sorgfältig unterscheiden. Zuerst kommt die Bewegung an sich, in so fern sie langsam oder geschwind ist, in Betrachtung; hernach ihre Art, nach der sie bey einerley Geschwindigkeit sanft fließend, oder hüpfend, das ist nachdem die Töne geschleift, oder, stark oder schwächer sind; drittens die größeren oder kleinern, consonirenden, oder dissonirenden Intervalle. Viertens die Gattung des Takts, ob er gerade oder ungerad sey, und die daher entstehenden Accente; fünftens seine besondere Art, oder die Anzahl seiner Theile; sechstens die Austheilung der Töne in dem Takt, nach ihrer Länge und Kürze; siebendes das Verhältnis der Einschnitte und Abschnitte gegen einander. Jeder dieser Punkt trägt das seinige zum Ausdruk bey.
Da es aber völlig unmöglich ist, auch zum Theil unnüz wäre, weitläuftig zu untersuchen, wie dieses zugeht; so begnügen wir uns die Wahrheit der Sache selbst an Beyspielen zu zeigen; blos in der Absicht, daß junge Tonsezer, denen die Natur die zum guten Ausdruk erfoderliche Empfindsamkeit des Gehörs und des Herzens gegeben hat, dadurch sorgfältig werden, keines der zum Ausdruk dienlichen Mittel zu verabsäumen.
1. Daß das schnelle und langsame der Bewegung schon an sich mit den Aeußerungen der Leidenschaften genau verbunden sey, därf hier kaum wiederholt werden. Man kennet die Leidenschaften, die sich durch schnelle und lebhafte Würkungen äußern, und die, welche langsam, auch wol gar mit Trägheit fortschleichend sind. Der Tonsezer muß ihre Natur kennen; dieses wird hier vorausgesezt. Aber um den eigentlichen Grad der Geschwindigkeit der Bewegung für jede Leidenschaft, so gar für jeden Grad derselben zu treffen, muß er sehr fleißig den Einflus der Bewegung auf den Charakter der melodischen Säze, erforschen, und zu dem Ende einerley Saz, nach verschiedenen Bewegungen singen, und darauf lauschen, was dadurch in dem Charakter verändert wird. Wir wollen Beyspiele davon anführen. Folgender melodischer Saz
in mäßiger Bewegung vorgetragen, schiket sich sehr wol zum Ausdruk der Ruh und Zufriedenheit; ist die Bewegung etwas geschwinde, so verlieret sich dieser Ausdruk ganz, und wird fröhlich: ganz langsam, würde diese Stelle gar nichts mehr sagen. Folgendes ist der Anfang einer höchst zärtlichen und rührenden Melodie von Graun:
Man singe es geschwinde, so wird es vollkommen tändelnd. So sehr kann die Bewegung den Ausdruk ändern.
Man ist gewohnt, jeder Melodie eine durchaus gleiche Bewegung zu geben, und hält es deswegen für einen Fehler, wenn Sänger oder Spiehler allmählig darin nachlassen, oder, welches noch öfterer geschieht, schneller werden. Aber wie wenn der Ausdruk es erfoderte, daß die Leidenschaft allmählig nachließe, oder stiege? Wären da nicht jene Abänderungen in der Bewegung nothwendig? Vielleicht [751] hat man es nur deswegen nicht versucht, weil es den Spiehlern gar zu schweer seyn würde, aus Ueberlegung das zu treffen, was aus Mangel der gehörigen Aufmerksamkeit von selbst kömmt. Aber dieses würde ich für ein Meisterstük halten, wenn der Tonsezer seine Melodie so einzurichten wüßte, daß die Spiehler von selbst verleitet würden, in der Bewegung, wo es der Ausdruk erfodert, etwas nachzulassen, oder damit zu eilen.
2. Das zweyte worauf bey der Melodie, wegen des Charakters und des Ausdruks zu sehen ist, betrift die Art des Vortrages, die bey einerley Bewegung sehr verschieden seyn kann. Auch hier kommt es auf eine genaue Kenntnis der Leidenschaften an. Einige stoßen die Töne einzeln und abgebrochen, andre schleifen sie und spinnen gleichsam einen aus dem andern heraus; einige reden stark, oder gar heftig, andre geben nur schwache Töne von sich. Einige äußern sich in hohen, andre in tiefen Tönen. Dies alles muß der Tonsezer genau überlegen. Es sind verschiedene Zeichen eingeführt, wodurch der Tonsezer die Art des Vortrages andeutet. Er muß, so viel ihm möglich ist, hierin genau und sorgfältig seyn. Denn manche Melodie, wobey der Tonsezer starke Töne gedacht hat, verliehrt ihren Charakter völlig, wenn sie schwach vorgetragen wird. Jeder Mensch empfindet, daß geschleifte Töne zu sanften, kurz abgestoßene zu heftigen Leidenschaften sich schiken. Werden die in den Niederschlag fallende Töne schwach, und die in Aufschlag kommende stark angegeben, als:
so empfindet man etwas wildes, oder tobendes dabey, und wenn durch Bindungen zugleich der natürliche Gang des Takts verkehrt wird, so kann dieses Gefühl sehr weit getrieben werden. Auch andre Abwechslungen, dergleichen die Bebungen, Triller, die Vor- und Nachschläge sind, können dem Ausdruk sehr aufhelfen. Alle diese Kleinigkeiten muß der Tonsezer zu nuzen wissen. In Ansehung der Höhe muß er bedenken, daß heftige Leidenschaften sich in hohen, sanfte, auch finstere, in tiefen Tönen sprechen. Dieses leitet ihn, wenn es die übrigen Umstände zulassen, für den Affekt die schiklichste Höhe im ganzen Umfang der singbaren Töne zu nehmen. So wie es lächerlich wäre einen prächtigen Marsch für Violine zu sezen, so würde es auch ungereimt seyn, einen höchst freudigen Gesang in den tiefsten Baßtönen hören zu lassen, oder etwas recht finsteres in dem höchsten Discant. Dieses betrift die Höhe des ganzen Stüks. Aber auch in einer Melodie, wozu eine der vier Stimmen schon bestimmt worden, müssen die Töne da, wo die Leidenschaft heftiger wird, höher; wo sie nachläßt, tiefer genommen werden.
3. Drittens kommt bey dem Ausdruk auch viel auf die Harmonie der Intervalle an, durch welche man fortschreitet. Die Fortschreitung durch diatonische Stufen hat etwas leichtes und gefälliges; die chromatische Fortschreitung durch halbe Töne etwas schmerzhaftes, auch bisweilen etwas fürchterliches. Wir haben anderswo schon einige hieher gehörige Beobachtungen angeführt.12 Daß die vollkommen consonirenden Intervalle im Aufsteigen überhaupt sich zu lebhaftern, die weniger consonirenden und dissonirenden aufsteigend, zu zärtlichen, auch traurigen und finstern Empfindungen schiken, ist bekannt. Daß überhaupt kleinere Intervalle ruhige, große unruhige, oder lebhafte Empfindungen ausdrüken, und die öftere Abwechslung der großen und kleinen unruhige, verdienet ebenfalls bemerkt zu werden.
In dem auf der vorhergehenden Seite aus einer Arie von dem Capellmeister Graun angeführten Beyspiele, kommt das sehr Rührende größtentheils daher, daß gleich im Anfange dieser Arie eine Dissonanz vorkommt, die durch den Sprung einer kleinen Terz, die aber nicht die Mediante, sondern die Septime des Haupttones ist, verursachet wird.
4. Viertens hat der Tonsezer zur Wahrheit des Ausdruks nöthig, den verschiedenen Charakter der beyden Gattungen des Takts, in Erwägung zu ziehen. Der gerade Takt schiket sich zum gesezten, ernsthaften und pathetischen Ausdruk; der ungerade hat etwas leichtes, das nach Beschaffenheit der andern Umstände, zum frölichem, oder tändelnden, oder auch wol zum leichteren zärtlichen kann gebraucht werden. Aber er kann wegen der Ungleichheit seiner Theile auch zu heftigen, gleichsam durch Stöße sich äußernden Leidenschaften dienen. Man findet zwar Melodien von einerley Charakter, sowol in geradem, als ungeradem Takt; und dieses könnte leicht auf den Irrthum verleiten, daß die Gattung des Taktes wenig zum Ausdruk beytrage. Allein man wird finden, daß in solchen Fällen der Fehler, in der Wahl des Taktes, da z.B. der ungerade, [752] anstatt des geraden genommen worden ist, durch andre Mittel nur unvollkommen verbessert worden, und daß daher dem Gesange doch noch eine merkliche Unvollkommenheit anklebt. Sollte es einem in allen Künsten des Sazes erfahrnen Tonsezer gelingen, in 3/8 Takt, der seiner Natur nach fröhlich ist, den traurigen Ausdruk zu erreichen; so wird ein feines Ohr den Zwang wol merken, und der Ausdruk wird immer schwächer seyn, als wenn ein gerader Takt wäre gewählt worden. Erst wenn alles übrige, was zum metrischen des Gesanges gehöret, mit der Gattung des Takts übereinstimmt, thut dieser seine rechte Würkung.
5. Allerdings aber thut die besondere Art des Taktes, welches der fünfte Punkt ist, der hier in Betrachtung kommt, noch mehr zum Ausdruk. Es macht in dem Gang eines Menschen einen großen Unterschied, wenn seine Schritte durch mehr, oder durch weniger kleine Rükungen geschehen. Von den geraden Takten ist der von 2/4 sanfter und ruhiger, als der von 4/4, der, nach Beschaffenheit der Bewegung mehr Ernsthaftigkeit und auch mehr Fröhlichkeit ausdruken kann, als jener. Von ungeraden Takten kann der von 3/4 zu mancherley Ausdruk, vom edlen Anstand sanfter, bis zum Ungestühm heftiger Leidenschaften gebraucht werden, nachdem die übrigen Umstände besonders die Rükungen, die Längen und die Accente der Töne, damit verbunden werden. Der von 3/8 ist der größten Fröhlichkeit fähig, und hat allezeit etwas lustiges. Deswegen sind auch die meisten fröhlichen Tänze aller Völker in dieser Taktart gesezt. Der von 6/8 schiket sich vorzüglich zum Ausdruk eines sanften unschuldigen Vergnügens, weil er in das Lustige des 3/8 Takts durch Verdoppelung der Anzahl der kleineren Rükungen auf jedem Schritt, wieder etwas von dem Ernst des geraden Takts einmischt.
6. Die größte Kraft aber scheinet doch in dem rhythmischen des Taktes zu liegen, wodurch er bey derselben Anzahl der kleinen Haupttheile, vermittelst der verschiedenen Stellung der langen und kurzen, der nachdrüklichen und leichten Töne, und der untergemischten kleinern Eintheilungen, eine erstaunliche Mannigfaltigkeit bekommt, und wodurch ein und eben dieselbe Taktart in ihren Füßen eine große Ungleichheit der Charakter erhält, welches der sechste von den zum Ausdruke nöthigen Punkte ist. Was für beträchtliche Veränderungen des Charakters daher entstehen, sieht man am deutlichsten, wenn man die verschiedenen Tanzmelodien von 3/4 Takt mit einander vergleicht. Darum ist dem Tonsezer zur Wahrheit des Ausdruks nichts so wesentlich nöthig, als das feine Gefühl von der Würkung der rhythmischen Veränderungen des Taktes. Hier wären sehr viele Beobachtungen zu machen; wir wollen nur wenige zum Beyspiele anführen, die uns von einem Meister in der Kunst mitgetheilt worden sind. Gleiche Takttheile, wie: , da der erste allezeit seinen natürlichen Accent, der andere seine Leichtigkeit behält, unterscheiden sich durch mehr Ernst und Würde, als ungleiche, wie: oder: . Dieser Schritt ist lebhaft; aber noch weit mehr dieser: und wenn drey oder gar vier kurze Töne zwischen längern stehen, so hat der Schritt großen Nachdruk zur Fröhlichkeit, wie diese: , oder . Eine oder zwey kurze und leichte Töne, vor einem langen und durch den Accent nachdrüklichen, als: oder , drüken etwas wildes und ungestühmes aus; sehr schwerfällig aber ist diese Eintheilung . Wenn wesentlich kurze Töne sehr lang gemacht werden, wie hier: so giebt dieses dem Gang etwas wiederspenstiges, und anfahrendes. Es ist sehr zu wünschen, daß ein Tonsezer, der, bey recht feinem Gefühl, eine weniger ausschweifende Phantasie besizet, als Voßius, sich die Mühe gebe die besten Melodien in der Absicht zu untersuchen, seine Beobachtungen über die Kraft des Rhythmus bekannt zu machen.
7. Endlich kommt in Absicht auf den Ausdruk auch der siebende Punkt, oder die Behandlung der rhythmischen Einschnitte in Betrachtung. Das Wesentlichste, was in Absicht auf die Schönheit hierüber zu sagen ist, kann aus dem, was in dem Art. ⇒ Glied angemerkt worden, hergeleitet werden. Wir überlassen dem, der sich vorgenommen hat, den Melodiensaz nach ächten Grundsäzen zu studiren, die Anwendung jener Anmerkungen, auf den Gesang zu machen. Sie wird ihm, bey dem gehörigen Nachdenken nicht schweer werden. Hier merken wir nur noch überhaupt an, daß ganz kleine Glieder, oder Einschnitte, sich besser zu leichten und tändelnden, [753] auch nach Beschaffenheit der übrigen Umstände zu ungestühmen, heftigen Leidenschaften, grössere zu ernsthaften, schiken. Alles was pathetisch, ernsthaft, betrachtend und andächtig ist, erfodert lange, und wol in einander geschlungenen Glieder, oder Einschnitte. Sowol das Lustige, als das Tobende sehr kurze, und merklicher von einander Abgesonderte. Es ist ein sehr wichtiger Fehler, wenn Tonsezer, durch den Beyfall, den unerfahrne und ungeübte Ohren, gewissen sehr gefälligen so genannten Gallanteriestüken geben, verführet, auch bey ernsthaften Sachen und so gar in Kirchenstüken, eine in so kleine, mehr niedliche, als schöne Säze zerschnittenen Gesang hören lassen. Hingegen wär es auch allemal ein Fehler, wann die Einschnitte so weit gedähnt wären, daß sie unvernehmlich würden; oder wenn gar der ganze Gesang, ohne merkliche Einschnitte, wie ein ununterbrochener Strohm wegflöße. Dieses geht nur in besondern Fällen an, da der Gesang mehr ein fortrauschendes Geschrey, als einen würklichen Gesang vorstellen soll. Uebrigens werden wir noch an einem andern Orte Gelegenheit haben, verschiedene Beobachtungen über diesen Punkt, besonders über das Ebenmaaß der Glieder zu machen.13
Dieses aber muß in Absicht auf den Ausdruk noch gemerkt werden, daß durch Abwechslung längerer und kürzerer Einschnitte sehr merklich könne gemacht werden, wie eine Leidenschaft allmählig heftiger und ungestühmer wird, oder wenn sie mit Ungestühm anfängt, nach und nach sinket. Wir wollen hier nur noch einige besondere Beyspiele anführen, an denen man fühlen wird, wie ein und eben dieselbe Folge von Tönen, durch Verschiedenheit des metrischen und rhythmischen, ganz verschiedene Charaktere annihmt. Man versuche, den schon oben angeführten melodischen Saz auf die verschiedenen nachstehenden Arten abgeändert, zu singen:
Hiebey gebe man bey jeder Veränderung auf den Charakter dieses Sazes genau Achtung; so wird man ohne Weitläuftigkeit und ohne alle Zweydeutigkeit empfinden, was für große Veränderungen in dem Charakter und Ausdruk bey einerley Folge von Tönen, die Veränderung des metrischen und rhythmischen verursachet, und begreifen, daß dieses das meiste zum Ausdruk beytrage.
Uebrigens würde es ein lächerliches Unternehmen seyn, dem Tonsezer besondere Formeln, oder kleine melodische Säze vorschreiben zu wollen, die für jede [754] Empfindung den wahren Ausdruk haben, oder gar zu sagen, wie er solche erfinden soll. Wem die Natur das Gefühl dazu versagt hat, der lernt es nie. Aber wer Gefühl hat, dem werden bey fleißiger Uebung im Singen und Spiehlen, beym Phantasieren, bey Hörung guter Sachen und guter Sänger, welches alles nicht zu ofte geschehen kann, einzele melodische Säze von sehr bestimmten und schönen Ausdruk genug vorkommen. Diese muß er fleißig sammlen, und zu erforschen suchen, woher ihre Kraft kommt. Er kann zu dem Ende sich üben verschiedene Veränderungen in Versezungen, im Metrischen und Rhythmischen damit zu machen, und denn Achtung geben, in wie weit der Ausdruk dadurch verliehrt, oder gar seine Natur verändert. Durch dergleichen Uebungen wird sich sein Genie zur Erfindung guter Sachen allmählig entwikeln.
Bevor ich diesen Hauptpunkt der guten Melodie verlasse, kann ich mich nicht enthalten gegen einen sehr gewöhnlichen Mißbrauch, von dem sich leider auch die besten Sezer zu unsern Zeiten hinreissen lassen, ernstliche Erinnerungen zu thun. Man trift nur gar zu ofte unter richtigen und schönen Säzen, andre an, die außer dem Charakter des Tonstüks liegen, und gar nichts ausdrüken, sondern blos da sind, daß der Sänger die Fertigkeit seiner Kehle, der Spiehler die Flüchtigkeit seiner Finger zeigen könne. Und denn giebt es Tonsezer, die sich von solchen Säzen gar nicht wieder loswikeln können, ehe sie dieselben durch alle Versezungen durchgeführet, izt in der Höhe, denn in der Tiefe, izt stark und dann schwach, bald mit geschleiften und denn mit gestoßenen Tönen haben hören lassen. Ein wahrer Unsinn, wodurch alles, was uns die guten Sachen haben empfinden lassen, völlig ausgelöscht und zerstöhrt, und wodurch der Sänger aus einen Gefühlvollen und Empfindung-erwekenden Virtuosen in einem Luftspringer verwandelt wird. Nichts beweiset den frevelvollen Geschmak unsrer Zeit so unwiedersprechlich, als der allgemeine Beyfall, den eine so abgeschmakte Sache, wie diese, gefunden hat, wodurch auch die besten Meister sich in solche Kindereyen haben hinreissen lassen.
Nicht viel besser, als dieses, sind die übel angebrachten Mahlereyen natürlicher Dinge aus der körperlichen Welt, davon wir aber schon in einem eigenen Artikel das Nöthige erinnert haben.
IV. Ueber alles, was bereits von den Eigenschaften der Melodie gesagt worden, muß auch noch dieses hinzukommen, daß sie singbar, oder spielbar, und, nach Beschaffenheit ihrer Art, leicht und ins Gehör fallend sey: wo diese Eigenschaft fehlet, da werden die andern verdunkelt. Dazu wird erfodert, daß der Tonsezer selbst ein Sänger sey, oder daß er es gewesen sey, und daß er einige Uebung in den meisten Instrumenten habe, um zu wissen, was in jeder Stimme leicht oder schweer sey. Denn außerdem, daß gewisse Sachen an sich, des starken Dissonirens halber, jeder Stimm und jedem Instrument schweer sind, werden es andere, weil die Tonsezer die Natur des Instruments, wofür sie gesezt sind, oder die Art, wie man darauf spielt, nicht genug gekannt, oder überlegt hat.
Die Leichtigkeit, das Gefällige und Fließende des Gesanges kommt gar ofte von der Art der Fortschreitung her, und hierüber hat ein Meister der Kunst14 mir mancherley Beobachtungen mitgetheilet, davon ich die vornehmsten jungen Tonsezern zu gefallen hier einrüken will.
Leicht und faßlich wird eine Melodie vornehmlich schon dadurch, daß man bey der Tonleiter des angenommenen Tones, so lange man nicht ausweichen will, bleibet, und nirgend einen durch oder b. erhöhten oder erniedrigten Ton anbringet. Denn die diatonische Tonleiter ist in jedem Intervall, jedem Ohr faßlich. Es versteht sich von selbst, daß dieses nur von den Fällen gelte, wo der Ausdruk nicht nothwendig das Gegentheil erfodert. Die Regel dienet zur Warnung der Unerfahrnen, die kaum ihren Ton angegeben haben, da sie schon Töne einer andern Tonart hören lassen; vermuthlich, weil sie sich einbilden, es sey gelehrter, wenn sie oft etwas fremdes einmischen.
Aber auch dabey muß man sich in Acht nehmen, daß man nicht auf gewissen Tönen, die wir Leittöne genennt haben15, stehen bleibe, oder von da gegen ihre Natur fortschreite. So kann man z.B. wenn man in der großen Tonart Stufenweise von dem Grundton, oder von der Quinte aus auf die große Septime der Tonica gekommen ist, nicht stehen bleiben, noch davon rükwärts gehen; die Octave muß nothwendig darauf folgen. Ist man in der weichen Tonart vom Hauptton Stufenweis bis auf die Sexte gekommen, so muß man nothwendig von da wieder einen Grad zurüktreten, welches [755] auch von der kleinen Septime der Dominante gilt, auf die man so gekommen ist; ingleichen muß man in der harten Tonart, wenn man von der Sexte noch um einen halben Ton steiget, von da wieder in den nächsten halben Ton unter sich zurük.
Hiernächst sind in Absicht auf das Leichte und Gefällige des Gesanges die Würkungen der verschiedenen Arten gleichförmiger Fortschreitungen in Erwegung zu ziehen. Diesen Namen geben wir den Fortschreitungen, die eine Zeitlang durch gleichnahmige Intervalle, nämlich durch Secunden, Terzen, Quarten u.s.f. geschehen. Diese sind allemal leichter, als die ungleichförmigen, oder springenden, da man jeden Schritt durch ein anderes Intervall thut.
Die Fortschreitung durch diatonische Stuffen giebt dem Gesange die größte Faßlichkeit, und ist jedem Ohr angenehm. Sie hat auch für die Fugen besonders den Vortheil, daß der Hauptsaz dadurch von einem Gegensaz sich leicht auszeichnet, wie z.B.
Nur wird das herauf und herunter Rauschen von einen Ton bis in seine Octave, und von dieser zur Prime, als:
worin viele eine Schönheit zu suchen scheinen, zum Ekel. Aber Octavenläufe, die Stuffenweis wiederholt werden, gefallen, wie z.B.
Nach der Stufenweis gehenden Fortschreitung kommt die, da die zweyte Stuffe wiederholt wird, als:
Auch dieses findet jeder Liebhaber gefällig. Aus solchen Secundenweis gehenden Fortschreitungen, die man auf unzählige Weisen verändern kann, entstehen tausenderley Arten von gefälligen Melodien, davon wir nur wenige Fälle anführen wollen.
Aber Stufenweis chromatisch fortzuschreiten, hat für bloße Liebhaber etwas mißfälliges, und muß nur da angebracht werden, wo der Ausdruk etwas finsteres, oder gar schmerzhaftes erfodert: in Stüken von vergnügtem Charakter muß dieses gänzlich vermieden werden. Hingegen zum Poßirlichen in comischen Stüken, kann eine solche Fortschreitung, unter angenehme vermischt, gute Würkung thun.
Nach den Secunden sind die Terzenfortschreitungen angenehm und leicht, auch zur schnellen Bestimmung der Tonart, wenn man von der Tonica eine Terz steigt, oder von ihrer Dominante eine Terz fällt, sehr dienlich. Man kann eine ganze [756] Folge von Terzensprüngen Stufenweise herauf oder heruntergehend anbringen, wie hier:
Aber zwey große Terzen nach einander sind nicht nur unangenehm, sondern auch kaum zu singen. Auch Terzensprünge wodurch man allmählig heruntersteiget, sind auf folgende Art sehr unangenehm und zum Singen unbequäm.
Gut aber sind sie auf nachstehende Weise:
Der hier durch einen Queerstrich angezeigte Tritonus hat im Absteigen nichts Wiedriges. Man därf nur beyde Arten nach einander singen, um die Richtigkeit dieser Bemerkung zu empfinden.
Auch übereinander in eine Reyhe gesezte Terzen sind angenehm und leicht, nur müssen sie alle aus der Harmonie des Baßtones seyn. Z.B.
Ueberhaupt kann man die Fortschreitung durch Terzen unter die leichtesten und gefälligsten rechnen.
Man hat schöne Melodien, in welchen keine größere Fortschreitungen, als durch Secunden und Terzen vorkommen, und die dennoch Abwechslung und Mannigfaltigkeit genug haben.
Bey Fortschreitungen durch größere Intervalle hat man immer darauf zu sehen, daß sie mit dem Baßton consoniren, damit sie im Singen leicht zu treffen seyen. Man kann sie alsdenn wie Stuffen brauchen, durch die man mit Leichtigkeit auf sehr schweere Intervalle herabsteiget. Nämlich die Terz, die Quinte, die Sexte, die Septime und die Octave dienen die die die die und die große Septime zu treffen, deren jede, als das Subsemitonium einer von jenen Consonanzen ist, folglich durch das Absteigen von ihr leicht getroffen wird. Nur die None wird als Secunde der Octav angesehen, und auf diese Weise vom Sänger gefunden. Dieses wird durch folgende Beyspiele erläutert.
Quartensprünge, die Stufenweis höher steigen, können auf folgende Weise angebracht werden.
Aber durch eine Folge von Quarten herunterzusteigen, oder eine Stuffenweis höher gehende Folge von fallenden Quarten, ist selten gut. Darüber kann folgendes zur Lehre dienen.
Ohne Unterbrechung durch Quarten zu steigen, geht auch an; aber der Tritonus muß nicht dabey vorkommen. Folgendes ist gut:
Aber rükwerts herunter giengen diese zwey Quarten nicht an.
[757] Zwey kleine Quinten können nicht unmittelbar auf einander folgen, es sey denn, daß einmal die übermäßige Quarte dazwischen liege, wie in folgendem Beyspiel:
Von kleinen Sexten können nicht über zwey nach einander folgen, ohne daß die Tonart dadurch verlezt würde. Aber große Sexten können viel nach einander folgen, zumal bey öfterer Abänderung der Modulation. Z. E.
Aber folgende Sexten hintereinander wären gar nicht zu singen.
Mehrere Septimen aber können nicht unmittelbar auf einander folgen; doch geht es an, wenn consonirende Sprünge dazwischen kommen.
In Ansehung der gefälligen Fortschreitung verdienet auch noch angemerkt zu werden, daß die kleinern Intervalle den Gesang angenehmer machen, als die grössern: sie müssen also, wenn nicht der Ausdruk das Gegentheil erfodert, am öftersten gebraucht werden. Dadurch erhält man auch den Vortheil, daß die seltenen vorkommenden grössern Sprünge eine desto bessere Würkung thun. Aber aus dem was wir schon anderswo angemerkt haben,16 ist auch begreiflich, warum für den tiefsten Baßgesang grössere Intervalle den kleinen vorzuziehen sind. Wo der Gesang vielstimmig ist, da gehöret es wesentlich zur Faßlichkeit des Ganzen, daß die Stimmen nicht gegen ihre Natur mit Tönen überladen werden. Es geht nicht allezeit an, daß man hierin das beste und leichteste Verhältnis beobachte, welches darin bestünde, daß wenn der Baß durch halbe Takte fortrüket, der Tenor Viertel, der Alt Achtel, und der Discant Sechszehntel hätte. Aber gut ist es, wenn der Tonsezer, wenigstens so weit es die Umstände erlauben, sich diesen Verhältnissen zu nähern sucht. Es ist offenbar, daß hohe Töne weniger Nachklang haben, als tiefe, und daß sie eben deswegen weniger Nachdruk und Schattirungen, wodurch der Ausdruk unterstüzt wird, fähig sind. Dieses muß also durch Abänderung der Töne in hohen Stimmen erreicht werden. Und eben des Nachklanges halber, verträgt der Baß Brechungen, oder sogenannte Diminutionen einzeler Töne in der tiefern Octave gar nicht, weil sie ein unverständliches Gewirre verursachen. Je höher aber eine Stimme ist, je mehr verträgt sie solche, besonders schaden die daher im Durchgang entstehenden Dissonanzen der höchsten Stimme gar nichts.
Auch dieses ist zur Vernehmlichkeit sehr gut, und ofte nothwendig, daß wenigstens eine Stimme blos durch ganze Takttheile vorschreitet, durch Viertel in Vierteltakt, und durch Achtel im Achteltakt.
Zulezt möchte es, besonders in unsern Tagen, da die Melodien gar zu sehr mit unnüzen Tönen überladen werden, nicht undienlich seyn, auf Einfalt des Gesanges zu dringen. Aber es ist zu befürchten, daß die Tonsezer wenig darauf achten. Mancher scheinet in der Meinung zu stehen, daß er um einen so viel geschiktern Tonsezer werde gehalten werden, je mehr Töne er in einen Takt hereinzwingt. Es wär übertrieben, wenn man darauf dringen wollte, daß jede Sylbe des Textes, oder jeder Takttheil nur einen Ton haben sollte. Aber dieses ist gewiß nicht übertrieben, wenn man behauptet, daß ein Ton auf jeder Sylbe und auf jedem Takttheil, sich besonders auszeichnen müsse; daß die ganze Kraft der Melodie allemal auf diesen Haupttönen beruhe, und daß alle, durch die sogenannte Diminution, oder Brechung dieses Tones, hineingekommene Töne, als bloße Ausziehrungen dieses Haupttones anzusehen sind. Da nun alles, was mit Zierrathen überladen ist, den guten Geschmak [758] beleidiget, so ist auch von der mit Nebentönen überladenen Melodie dasselbe Urtheil zu fällen.
Zu der Einfalt der Melodie rechnen wir auch noch dieses, daß dieselbe durch die begleitenden Stimmen nicht verdunkelt werde. Man wird finden, daß jeder Tänzer lieber und leichter nach einer Melodie tanzt, die nicht durch mehrere Mittelstimmen verdunkelt wird. Dieses beweiset, daß die Mittelstimmen dem Gesang seine Faßlichkeit benehmen können. Daher trift man in ältern Werken, wie z.B. in Händels Opern viel Arien an, die keine andre Begleitung, als den Baß haben. Diese nehmen sich unstreitig am besten aus: aber der Sänger muß seiner Kunst alsdenn gewiß seyn. Es giebt freylich Fälle, wo, selbst rauschende Mittelstimmen, nothwendig sind, wie z.B. wenn der Ausdruk wild und rauschend seyn muß, die Melodie aber in einem hohen Discant steht: da thun sehr geschwind rauschende Töne der Violinen in den begleitenden Stimmen die Würkung, die von der dünnen Stimme des Sängers nicht konnte erwartet werden.
Aber darin muß der Tonsezer auch die Einfalt der Melodie nicht suchen, daß er die Singestimme im Unisonus von Flöten, Violinen oder andern Instrumenten begleiten läßt. Dieses ist vermuthlich schwacher Sänger halber aufgekommen, welche ohne solche Hülfe die Melodie nicht treffen würden. Auch will man durch Empfehlung der Einfalt eben nicht sagen, daß man etliche Takte nach einander ganz einförmig seyn, oder allezeit nur die Töne sezen soll, die schlechterdings wesentlich sind. Es würde auf diese Weise dem Gesang an der so nöthigen Abwechslung und Mannigfaltigkeit fehlen: wiewol man auch in Tonstüken großer Meister bisweilen Folgen von Takten antrift, da dieselben Töne wiederholt werden. Alsdenn aber wird durch die Mannigfaltigkeit der Harmonie und viel schöne Modulationen, die Abwechslung die der Melodie zu fehlen scheinet, hervorgebracht, welches auch bey lange aushaltenden Tönen zu beobachten ist.
V. Nun bleibet uns noch übrig von der fünften Eigenschaft einer guten Melodie zu sprechen, wenn sie würklich zum Singen, oder wie man sich ausdrükt, über einen Text gemacht wird.
Daß der Ausdruk des Gesanges mit dem, der in dem Text herrschet übereinkommen müsse, verstehet sich von selbst. Deswegen ist das erste, was der Tonsezer zu thun hat, dieses, daß er die eigentliche Art der Empfindung, die im Texte liegt, und so viel möglich den Grad derselben bestimmt fühle; daß er suche sich gerade in die Empfindung zu sezen, die den Dichter beherrscht hat, da er schrieb. Er muß zu dem Ende bisweilen den Text ofte lesen, und die Gelegenheit, wozu er gemacht ist, sich so bestimmt als möglich ist, vorstellen. Ist er sicher die eigentliche Gemüthsfassung, die der Text erfodert, getroffen zu haben, so versuche er ihn auf das richtigste und nachdrüklichste zu declamiren. Eine schweere Kunst17 die dem Tonsezer höchst nöthig ist. Alsdenn suche er vor allen Dingen in der Melodie die vollkommenste Declamation zu treffen. Denn Fehler gegen den Vortrag der Wörter gehören unter die wichtigsten Fehler des Sazes. Er bemerke genau die Worte und Sylben, wo die Empfindung so eindringend wird, daß man sich etwas dabey zu verweilen wünschet. Dort ist die Gelegenheit, die rührendsten Manieren, auch allenfalls kurze Läufe, (denn lange sollten gar nicht gemacht werden) anzubringen. Hat er Gefühl und Uebung im Saz, so werden ihm Bewegung und Takt, wie sie sich schiken, ohne langes Suchen einfallen. Aber den schiklichsten Rhythmus und die besten Einschnitte zu treffen, wird ihm, wo der Dichter nicht vollkommen musicalisch gewesen ist, ofte sehr schweer werden.
Es bedarf kaum der Erinnerung, daß die Einschnitte und Perioden, mit denen die im Texte sind übereinkommen müssen. Aber wenn diese gegen das Ebenmaaß der Musik streiten? Alsdenn muß der Sezer sich mit Wiederholungen, und mit Versezungen einzeler Wörter zu helfen suchen. Höchst ungereimt sind die Schilderungen körperlicher Dinge in der Melodie, welche der Dichter nur dem Verstand, nicht der Empfindung vorlegt. Davon aber ist schon anderswo das Nöthige erinnert worden.18 Noch unverzeihlicher und würklich. abgeschmakt sind Schilderungen einzeler Worte nach ihrem leidenschaftlichen Sinn, der dem Ausdruk des Textes völlig entgegen ist. Wie wenn der Dichter sagte: weinet nicht, und der Tonsezer wollte auf dem ersten Worte weinerlich thun. Und doch trift man solche Ungereimtheiten nur zu ofte an.
Endlich ist auch noch anzumerken, daß gewisse Fehler gegen die Natur des Taktes, die Melodien höchst unangenehm und wiedrig machen. Dergleichen Fehler sind die, da die Dissonanzen auf Takttheilen, die sie nicht vertragen, angebracht werden. [759] Im 3/4 Takt, wo die Rükungen durch Viertel geschehen, können die Vorhalte oder zufälligen Dissonanzen nur auf dem ersten Viertel angebracht werden; geschehen aber in diesem Takt die Rükungen durch Achtel, so können diese Dissonanzen auf dem ersten, dritten und fünften Achtel stehen: hingegen im 6/8 Takt, fallen sie auf das erste und vierte Achtel, und werden mit dem zweyten, oder dritten, fünften oder sechsten vorbereitet. Dieses sind sehr wesentliche Regeln, die man ohne Beleidigung des Gehöres nicht übertreten kann.
1 | S. ⇒ Gesang. |
2 | Art. ⇒ Musik. |
3 | S. ⇒ Ton, ⇒ Tonart. |
4 | S. ⇒ Leitton. |
5 | ⇒ Ton, ⇒ Tonart. |
6 | S. ⇒ Metrum. |
7 | S. ⇒ Einförmigkeit. |
8 | S. ⇒ Accent. |
9 | S. ⇒ Takt. |
10 | ⇒ Glied; ⇒ Gruppe; ⇒ Anordnung, in welchen Artikeln dieses deutlich bewiesen worden. |
11 | S. ⇒ Einschnitt Periode. |
12 | Im Art. Lied. S. 716. |
13 | S. ⇒ Rhythmus. |
14 | Hr. Kirnberger. |
15 | S. ⇒ Leitton. |
16 | S. ⇒ Eng. |
17 | S. ⇒ Vortrag in redenden Künsten. |
18 | S. ⇒ Mahlerey in der Musik. |
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