[143] Behandlung. (Zeichnende Künste)
Durch die Behandlung verstehet man die, jedem Künstler besondre, Art, den Pinsel und andre Werkzeuge des Zeichnens zu führen, in so fern sie dem Werk einen eigenen Charakter eindrükt. So kann der Kupferstecher ein Gesicht durch Punkte, oder durch kleine abgesonderte Striche, oder durch Schraffirungen, oder durch gerade herunterlaufende Parallellinien, wie Pitteri thut; oder durch eine einzige im Zirkel herum laufende Linie, nach Mellans und Turneisers Art, herausbringen. Eben so kann der Mahler die mechanische Führung des Pinsels auf vielerley Arten abändern: einer setzet die Farben kühn neben einander, und überläßt der Entfernung, in welcher das Gemählde soll gesehen werden, diese Farben in einander zu schmelzen: ein[143] andrer arbeitet sie mit dem Pinsel so in einander, daß keine besonders kann erkennt werden. Fast jeder Mahler hat seine eigene Art zu verfahren, aus welcher seine Hand kann erkennt werden.
Derselbige Gegenstand kann auf mehr als eine Art gut behandelt werden; doch ist die Behandlung nicht allemal gleichgültig. Eine Hauptbetrachtung verdienet ihre Beziehung auf den Ausdruk. Sie kann etwas charakteristisches in Absicht auf denselben haben, und in so fern muß sie ihm gemäß seyn. Es wär ein großer Fehler, wenn eine Behandlung, die den Charakter der Anmuthigkeit mit sich führet, zu einem Gemählde von strengem heftigem Inhalt gewählt würde; so wie es unschiklich wäre eine kühne Behandlung, die Feuer und Heftigkeit verräth, zu einem Gemählde von sanftem Inhalt zu wählen. Dies ist die vornehmste Betrachtung, die der Künstler zu machen hat. Vollkommene Meister der Kunst müssen ihre Hand jedem Inhalt gemäß regieren, und wie ein großer Kenner von Wille sagt: mit Rigaud Rigaud und mit Netschern Netscher seyn können.1 Auch hierin hat der Künstler die Natur zur Lehrerin anzunehmen, die jedem der beyden Geschlechter ihre eigene Schönheit gegeben, und das ernstere Gesichte des Mannes nie mit den lieblichen Farben der weiblichen Schönheit bestreut. Wie der Dichter seinem Vers Weichlichkeit oder eine strengere Harmonie giebt, nachdem es der Inhalt erfodert, so muß auch der Mahler, und so der Kupferstecher verfahren. Wer nur eine einzige Art der Behandlung in seiner Gewalt hat, muß auch blos Arbeiten von einer Gattung des Inhalts, machen. Ein Mieris oder Gerhard Dow muß keine Schlachten, und ein Bourguignon keine Scenen eines blos lieblichen Inhalts mahlen.
Und so wird auch ein verständiger Kupferstecher, der sich einmal eine Behandlung angewöhnt hat, sich wol hüten Gemählde zu unternehmen, deren Charakter seiner Behandlung zuwider ist. In den schönen Künsten ist nichts mannigfaltigers, als die Behandlungen des Grabstichels und der Radiernadel; dabey sind verschiedene Arten so genau charakteristisch, daß man mit einiger Zuverläßigkeit sagen kann, sie seyen zu gewissen Gattungen des Inhalts die besten. So kann man gewiß sagen, daß die Behandlung des Waterlo zu der Art der Landschaft, die er gewählt hat, die beste, und daß Callots Behandlung zu kleinen Figuren von lebhaftem Charakter, die beste sey.
Diese Materie verdient von einem großen Kenner in ihrer ganzen Ausdehnung bearbeitet zu werden. Diejenigen, die großen Gallerien vorgesezt sind, und große Kupfersammlungen unter Händen haben, könnten die besten Beyträge dazu liefern: die Arten der Behandlung, die in ihrer Gattung vollkommen sind, sollten auf das fleißigste bemerkt und so wol ihr Charakter, als die besondre Art des Ausdruks, dazu er sich schikt, bestimmt werden.
Nächst dem Ausdruk muß die Behandlung auch in Rüksicht auf die äußerlichen Umstände in Erwägung gezogen werden. Was bestimmt ist in der Ferne gesehen zu werden, es sey klein oder groß, muß diesem Umstande gemäß behandelt werden, und so auch nach andern zufälligen Bedingungen. Diese Betrachtung aber ist leichter als die erstere, und fast jeder Kenner, der über die ausübende Mahlerey geschrieben hat, ist über diesen Punkt mit Nutzen nach zu lesen. Man sehe unter andern Richardsons Traitté de la peinture, in dem Abschnitt von der Behandlung; Hagedorns Betrachtungen über die Mahlerey, die 53, 54 und 55 Betrachtung; Lairessens Mahlerbuch und die fürtreflichen Anmerkungen des L. da Vinci, die französisch unter dem Titel Traitté de la peinture herausgekommen sind. In diesen beyden Werken sind die Anmerkungen über die Behandlung sehr zerstreut, aber von so großer Wichtigkeit, daß es sich der Mühe wol lohnet, sie zusammen zu suchen.
Wegen der Kupferstiche kann Florent le Comte in dem 1. Theil; die neue von Cochin besorgte Ausgabe von Abr. Bossens Werk, und die aus dem Englischen übersetzte Abhandlung von Kupferstichen, welche kürzlich (1768.) in Leipzig heraus gekommen ist, nachgelesen werden.