Frostig

[406] Frostig. (Schöne Künste)

In dem critischen Werk, das von vielen dem Demetrius Phaleräus zugeschrieben wird, findet man folgende Erklärung des Frostigen, die dem Theophrastus zugeschrieben wird, angeführt. Frostig ist dasjenige, was die eigentliche Beschaffenheit seiner Art überschreitet. Dieses scheinet aber mehr auf das Uebertriebene zu passen, das in der That bisweilen frostig ist. Eigentlich ist dasjenige Frostig, was durch die übertriebene oder falsche Veranstaltung, die Art der Kraft, die man ihm hat geben wollen, ganz verliert; wenn das, was man hat erheben wollen, durch die Mittel, die man dazu braucht, niedrig und platt wird; wenn das, was Schrekhaft seyn sollte, durch die Veranstaltung Lächerlich, das Lächerliche abgeschmakt oder verdrüßlich wird. So wie der, der zu viel beweist, eigentlich gar nichts beweist, so wird auch zu viel falsche, ästhetische Kraft völlig unkräftig, oder Frostig. Ueberhaupt scheinet alles, was unzeitig gegen die Absicht vergrößert, oder verschönert wird, auch alles, was einen falschen Schein hat; aller falsche, übertriebene und unzeitige Witz, ins Frostige zu fallen. Der oben angeführte unbekannte Schriftsteller sagt ganz artig, das Frostige gleiche einem Prahler, der sich rühmet, Dinge zu besitzen, die er nicht hat.

Plutarchus rechnet folgenden übertriebenen Einfall unter das höchst Frostige. Weil der Tempel der Diana zu Ephesus an eben dem Tag abgebrannt war, an welchem Alexander gebohren worden, hatte hernach ein Witzling den Einfall, die Göttin habe den Tempel nicht löschen können, weil sie zu viel mit des Helden Gebuhrt zu thun gehabt habe. Frostig ist bey Shakesspear der Gedanke des Laertes, der auf die Nachricht, daß seine Schwester sich ersäuft habe, sagt: da sie zu viel Wasser habe, wolle er es durch seine Thränen nicht noch vermehren1. Frostig ist dieses, das Seneka dem Theseus in den Mund legt


–– –– si novi Herculem,

Lycus Creonti debitas poenas dabit.

Lentum est, dabit; dat: hoc quoque est

lentum; dedit2.


Das Frostige ist einer der schlimmsten Fehler in den Werken des Geschmaks, weil es sehr beleidiget. Das parturiunt montes, hat immer dabey statt; man wird bös auf den Künstler, und kehrt das Auge von seinem Werke weg. Also ist kaum ein Fehler, vor dem man sich sorgfältiger in Acht zu nehmen habe. Deswegen hat Aristoteles in seiner Rhetorik einen eigenen Abschnitt, um die Ursachen des Frostigen zu untersuchen.

Der allgemeine Grund alles Frostigen ist der Mangel der Beurtheilungskraft, bey der Begierde etwas ausserordentliches und besonders kräftiges hervorzubringen. Was Longinus hierüber sagt, verdient erwogen zu werden3. Dieser allgemeine Mangel der Beurtheilung wird auf verschiedene Weise eine Quelle des Frostigen.

Erstlich, wenn man sich einbildet, durch blos äusserliche Mittel, die den Sachen nicht einmal angemessen sind, ihnen Kraft zu geben, als; wenn man gemeine Gedanken durch hohe Worte, oder durch einen hochtrabenden Ton erheben wollte.

Zweytens, wenn figürliche Redensarten, Tropen und Bilder, wodurch die Sachen lebhafter sollten gemacht werden, da, wo sie gebraucht werden, nicht passen.

Drittens, bey übel angewandtem oder übertriebenem Leidenschaftlichen; wenn man gleichgültigen Dingen einen Anstrich des Ernsthaften, oder Traurigen, oder Lustigen geben will, oder wenn überhaupt dieses Leidenschaftliche blos aus Verstellung, und nicht aus würklicher Empfindung herkömmt. [406] Nicht nur Redner und Dichter, sondern auch andre Künstler, können in alle Arten des Frostigen fallen. Die Schauspieler können bey den schönsten Scenen sehr frostig werden, wenn sie da, wo sie blos Würde zeigen sollen, hochtrabend sind; wenn sie anstatt stiller Größe, einen feurigen Ausbruch der Empfindungen äussern; wenn sie lächerliche Gebährden, und einen lächerlichen Ton annehmen, wo gar keine Ursach zum Lachen ist u. s. f. Nicht selten fallen die Tonsetzer in das Frostige, wenn sie sich zu sehr an einzele Worte binden, und wenn sie, zumal am unrechten Orte, so genannte Mahlereyen anbringen4.

Die sichersten Mittel, sich allezeit vor diesem Fehler zu verwahren, sind: erstlich eine genaue Aufmerksamkeit auf das, was natürlich und schiklich ist; denn jede Art des Frostigen hat etwas unnatürliches: zweytens der Vorsatz, nie mehr auszudrüken, als so viel man selbst fühlt; denn gerade da, wo man andre warm oder lebhaft machen will, da man es selbst nicht ist, entsteht insgemein das Frostige: drittens die genaue Erwägung der Wichtigkeit jeder Sache; weil man fast allezeit Frostig wird, wenn man etwas geringes, als wichtig vorstellen will.

1im Hamlet.
2Hercules fur. vs 642.
3Cap. III.
4S. Mahlerey der Musik.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 406-407.
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