Gebälk

[424] Gebälk. (Baukunst)

Ist der oberste Theil einer Säulenordnung, nämlich das, was von den Säulen unterstützt und getragen wird. Der deutsche Name dieser Sache ist sehr schiklich; weil er ein aus verschiedenen Balken zusammengesetztes Werk andeutet, und ein solches Werk wird auch durch das Gebälk, wenn es gleich von Stein ist, würklich vorgestellt. Man kann sich von dem Ursprung und der Beschaffenheit des Gebälkes aus der hier stehenden Zeichnung einen ganz deutlichen Begriff machen.

Gebälk

Man stelle sich vor, daß ein verständiger Mensch, ehe noch irgend das Bauen zu einer Kunst worden, eine Deke, oder einen Boden habe auf Säulen setzen wollen. Nachdem er seine Säulen gesetzt hatte, gab ihm der geringste Grad der Ueberlegung ein, daß er, so wol von vornen als von hinten, über seine Säulen zuerst einen Balken legen müsse, der hier mit a b bezeichnet ist, welcher nicht nur die, in einer Reyhe stehenden, Säulen zusammen verbände, sondern auch zugleich die Unterlage zu den Hauptbalken abgäbe. Nun mußte ihm natürlicher Weise einfallen, auf diese Balken diejenigen Balken zu legen, die von der Vorderseite des Gebäudes, bis auf die Hinterseite reichen, und die die eigentliche Grundlage der Deke, oder des obern Bodens machten. Hierüber mußten, um den Boden zu vollenden, queer über diese Balken dikke Bretter, so wie die Figur es anzeiget, gelegt werden. Diese Bretter mußten, zu besserer Bedekung der Balken, auf [424] allen Seiten etwas herausstehen. In der Figur ist das voderste Brett weggelassen, damit man die Köpfe der Hauptbalken sehen könne, die von dem über sie herauslaufenden Brette wären bedekt worden. Dieses ist also der Ursprung der Gebälke.

Es ist hieraus zu sehen, daß das Gebälk drey nothwendige oder wesentliche Theile habe. 1. Den Queerbalken, der die Säulen zusammen verbindet, und den Hauptbalken zur Unterlage dienet. Er wird deßwegen im Deutschen der Unterbalken genennt. 2. Die Hauptbalken, deren Köpfe auf dem Unterbalken ruhen. Der Raum, den diese Balkenköpfe, nebst dem dazwischen gelassenen leeren Raum, an der Voderseite, zwischen dem Unterbalken und den obersten hervortretenden Brettern einnehmen, wird der Fries genennt, und ist also der zweyte Haupttheil des Gebälkes. 3. Den dritten machen die über die Balken hervortretenden Bretter oder Bohlen aus, die darum, weil sie um das ganze Gebäude herum einen herausstehenden Kranz machen, der Kranz genennt werden. Dieses ist also der Ursprung des Gebälkes, und der Benennung seiner verschiedenen Theile.

Als man hernach in den Gebäuden auf die Schönheit zu sehen angefangen, sind diese Theile verschiedentlich verziert worden, und man hat ihnen in verschiedenen Säulenordnungen ihre besondern Verzierungen und Verhältnisse gegeben. Auch in steinernen Gebäuden, so gar in denen, die würklich keine Boden oder Deken haben, die von den Säulen getragen werden, hat man von außen des Ansehens halber die Gebälke beybehalten. Sie dienen in der That, dem Gebäude oder einer Säulenordnung von oben seine Begränzung oder Vollendung zu geben, so wie der Knauff die Säule vollendet1. Auch überall, wo Säulen angebracht werden, selbst da, wo sie würklich nichts tragen, muß nothwendig ein Gebälk darüber stehen, weil sonst die Säulen als ganz müßige Theile da stehen würden. Mithin ist das Gebälk ein wesentlicher Theil jeder Säulenordnung.

Aber auch da, wo so wol die Säulen, als das Gebälke nur zur Verzierung dienen, wie in den Gebäuden, da die Säulen halb in die Mauer hineintreten, muß man den Ursprung des Gebälkes nie aus dem Gesichte verliehren, weil man sonst in ganz ungereimte Fehler fällt, die das Aug' eines Kenners sehr beleidigen. Man sieht aus diesem Ursprung daß der Unterbalken seiner Natur nach in gerader Linie über alle Säulen weglaufen müsse, weil er einen würklichen Balken vorstellt, der über die Säulen gelegt ist. Daher denn die Baumeister, so berühmt sie sonst auch seyn mögen, sehr grob fehlen, die den Unterbalken durch Verkröpfungen zerbrechen; so wie die, welche ihn bisweilen zwischen ein Paar Säulen, um ein Fenster etwas höher machen zu können, gar weglassen oder ausschneiden, so daß die Hauptbalken an denselben Stellen keine Unterlage zu haben scheinen. Dergleichen Fehler sind an dem königlichen Schloß in Berlin, das sonst sehr große architektonische Schönheiten hat, häufig. Diese Fehler haben die Alten, in der schönen Zeit der Kunst, nie begangen; alle Gebälke der alten griechischen Gebäude sind vollständig, und laufen gerade und ohne alle Brechung über den Säulen weg. Aber an den Gebäuden, die aus den Zeiten der späthern römischen Kayser übrig geblieben sind, findet man die unschiklichen Verkröpfungen der Gebälke.

Selbst in Gebäuden, die weder Säulen noch Pfeiler haben, ist das Gebälk nothwendig. Man macht an dem obern Ende der Mauren einen Streifen, der den Unterbalken vorstellt, und da die Hauptbalken würklich da aufliegen, so deutet man auch den Fries an; endlich läßt man auch, so wol zum Abtrüpfen des Regens von den Dächern, als um das ganze Gebäude zu begränzen, einen Kranz von verschiedenen Gliedern herum gehen. Also hat jedes, auch sonst schlecht gebauete Haus, sein Gebälk, welches, zumal wenn keine Säulen angebracht sind, auch blos das Hauptgesims genennt wird.

So ein kleiner Theil des ganzen Gebäudes das Gebälk ist, so sehr kann es ihm ein gutes Ansehen geben oder benehmen. Ein niedriges Gebälk mit wenig hervorstehendem Kranz giebt einem großen Haus ein gar elendes und mageres Ansehen, als wenn ein sehr kleiner Kopf auf einem großen Körper säße. Ist aber das Gebälk gar zu groß und stark, so scheinet es das Gebäude einzudrüken. Hier kömmt es also vorzüglich auf ein richtiges Aug an, das die guten Verhältnisse zu treffen vermöge.2 Wir haben also hier noch diese Verhältnisse und auch die Verzierung des Gebälkes zu betrachten. [425] Um alles deutlicher zu machen, ist die Zeichnung eines jonischen Gebälkes im Profil beygefüget.

Gebälk

Die Linie g h bezeichnet den Durchschnitt des Gebäudes, der von oben bis unten mitten durch den Säulenstamm durchgeht. Demnach zeiget die Figur die Auslaufungen3 und die Höhen der zum Gebälke gehörigen Theile. Die ganze Höhe des Gebälkes a b wird von verschiedenen Baumeistern und in jeder Ordnung verschiedentlich genommen. Goldman, dem wir in diesem Werk in Ansehung der Verhältnisse überall folgen, macht jedes Gebälk, in jeder Ordnung, von vier Modeln, und dieses ist das Verhältniß des hier gezeichneten Gebälkes. Selten findet man, daß gute Baumeister diese Höhe bis auf drey Model vermindern; hingegen haben einige als Barozei und Cataneo das Gebälk der corinthischen und römischen Ordnungen bis auf fünf Model erhöhet. Eben so verschieden sind die Baumeister auch so wol in den Höhen, als in den Auslaufungen der einzeln Theile und in den Verzierungen.

Die Höhe des Unterbalkens d e, des Frieses e f, und des Kranzes c b macht Goldman in den niedrigen Ordnungen gleich, nämlich jede von 1 1/3 Model; in den höhern Ordnungen aber giebt er dem Unterbalken 1 1/3 Model, dem Fries 1 1/15 und dem Kranz 1 3/5 Model.

Die Auslaufungen sind an dem Unterbalken und an dem Fries geringer, als die Höhen, hingegen hat der Kranz natürlicher Weise eine sehr starke Ausladung, von 21/2 bis 2 2/3 Model, so wol, weil er das ganze Gebäude begränzt, als weil er zugleich dienet das ablaufende Wasser von dem Gebäude abzuhalten.

Der Unterbalken wird in den meisten Ordnungen in zwey oder drey Streifen abgetheilet, und oben mit einen oder zwey kleinen Gliedern verziert. Der Fries kann glatt bleiben, oder mit Balkenköpfen, auch allerhand Schnizwerk verziert werden;4 an seinem obersten Ende werden ebenfalls ein Paar kleine Glieder angebracht. Am meisten aber gehen die verschiedenen Baumeister in Ansehung des Kranzes von einander ab, und es würde ins unendliche fallen, alle Verändrungen mit demselben zu beschreiben.5

1S. Ganz.
2S. Ganz.
3S. Auslauf.
4S. Fries.
5S. Kranz.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 424-426.
Lizenz:
Faksimiles:
424 | 425 | 426
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon