Haeßlich

[503] Haeßlich. (Schöne Künste)

Das Gegentheil des Schönen; folglich die Unvollkommenheit, in so fern sie sinnlich erkennt wird. Wie das Schöne Wolgefallen und Lust es zu geniessen erwekt, so würkt das Häßliche Mißfallen und Ekel. Demnach hat es eine sinnliche zurüktreibende Kraft: derowegen gehört seine nähere Bestimmung und die Vorschrift für den Gebrauch oder Mißbrauch desselben, zur Theorie der schönen Künste.

So wie der Ausdruk schön, ursprünglich von den Formen gebraucht, hernach auf unkörperliche Dinge ausgedähnt worden, so ist es auch mit dem Gegentheil gegangen. Das Häßliche der Form ist demnach die Verwirrung, die Mißstimmung, das Unebenmaaß der Theile eines Ganzen. Es entstehet aus Theilen, welche zu groß oder zu klein sind, in denen etwas zu viel oder zu wenig ist, die nicht in die Art des Ganzen passen, die gezwungen sind, die gegen einander streiten, die der Erwartung des Auges widersprechen. Sie ist nicht blos der Mangel der Schönheit; denn dieser hat keine sinnliche Kraft, er läßt uns gleichgültig; sondern etwas würkliches. Da wir uns aber weitläuftig über die Natur des Schönen erklärt haben, so ist es überflüßig1, hier viel über die Natur des Gegentheils zu sagen, da alles leicht aus jenem herzuleiten ist.

Nothwendiger aber ist die nähere Bestimmung seines Gebrauchs. Diejenigen, welche das Wesen der Künste in der Nachahmung der schönen Natur, und ihren Zwek im Vergnügen setzen, müssen kraft dieser Grundsätze den Gebrauch des Häßlichen ganz verbiethen. Und dieses thun auch in der That die weisten Kunstrichter. Ahmet aber der Künstler, welcher schlechterdings alles Häßliche verwirft, der Natur wahrhaftig nach? Bey der offenbaren Liebe zum Schönen und Angenehmen, hat sie auch viel Dinge wiedrig gemacht. Die meisten giftigen Kräuter verrathen ihre böse Natur entweder durch wiedrigen Geruch oder durch etwas Häßliches in dem Ansehen. Dadurch werden ofte Menschen und Thiere abgehalten, sich Schaden zu thun. [504] Mit demselbigen Geist muß der Künstler vorzüglich durch das Schöne sich den Weg zu den Herzen öfnen, aber auch das Häßliche brauchen, um dem Bösen den Eingang in dasselbe zu verschließen. In dieser Absicht hat Milton der Sünde eine so abscheuliche Gestalt gegeben, ein Muster des Häßlichen; und zu gleichem Zwek hat Bodmer in der Noachide die scheußlichsten Formen zu Bildern verschiedener Sünden gewählt. So hat auch Raphael, der feineste Kenner des Schönen in der Form, den sterbenden Ananias und den Attila häßlich gemacht.

Von den unangenehmen Empfindungen sind Zorn und Schreken nicht die einzigen, welche der Künstler zu erweken hat, sondern auch Abscheu und Ekel2; dazu ist das Häßliche das eigentliche Mittel.

Man verbietet insbesondere den zeichnenden Künsten den Gebrauch des Häßlichen. Aber so widersinnisch der Mahler handelt, der häßliche Gegenstände blos darum wählt, weil sie häßlich sind, oder um seine Kunst daran zu zeigen, so kann man ihm dessen Gebrauch nicht schlechterdings verbieten. Hat er Personen von abscheulichem Charakter vorzustellen, warum soll er nicht die Zeichen der Verwerfung auch ihrer Form einprägen? Allein deswegen wollen wir das Uebertriebene hierin nicht gut heißen. Es kann einer ein nichtswürdiger Mensch seyn, ohne wie eine Carrikatur auszusehen: er kann wolgestaltet seyn, und dennoch durch irgend etwas Widriges in der Form, das Häßliche seiner Natur verrathen.

Der Gebrauch des Häßlichen in den Werken der schönen Künste ist also keinem Zweifel unterworfen. Dieses aber widerstreitet dem Grundsatz, daß der Künstler seinen Gegenstand verschönern soll, gar nicht. Beydes kann sehr wol neben einander bestehen, wenn man nur die Begriffe aus der Natur und dem Wesen der schönen Künste genau bestimmt.

Dieses besteht unstreitig darin, daß sie den Gegenstand, durch welchen sie auf die Gemüther würken wollen, so bearbeiten, daß die Sinnen, oder die Einbildungskraft ihn lebhaft, mit völliger Klarheit und in dem eigentlichen Lichte fassen. Er muß nothwendig so seyn, daß er die Aufmerksamkeit reizet, und sich der Vorstellungskraft schnell und sicher gleichsam einverleibet. Darum muß er weder verworren, noch undeutlich, noch widersinnisch seyn, noch irgend etwas an sich haben, das der Vorstellungskraft den lebhaften Eindruk, den sie davon haben soll, schweer macht; weil in diesem Fall der Zwek verfehlt wird. Jeder Künstler ist als ein Redner anzusehen, der durch seinen Vortrag in den Gemüthern eine gewisse Würkung hervorzubringen hat. Diese mag angenehm oder unangenehm seyn, so müssen die Vorstellungen, wodurch er seinen Zwek erreichen will, durch Klarheit, durch Richtigkeit, durch treffende Kraft, durch Ordnung, tief in die Vorstellungskraft eindringen. Ein verworrener, undeutlicher, langweiliger Vortrag, unbestimmte und confuse Begriffe, sind allemal dem Zwek des Redners entgegen; weil das, was darin liegt, nicht gefaßt wird. Deswegen muß er immer gut, oder, wenn man will, schön reden, auch da, wo er wiedrige Empfindungen erweken will. Dadurch zwinget er uns ihm auch alsdann zu zuhören, wann er uns unangenehme Dinge sagt. Mit einem Wort, er muß auch häßliche Dinge schön sagen, das ist, auch widrigen Vorstellungen die ästhetische Vollkommenheit, die man ofte mit dem Namen der Schönheit belegt, zu geben wissen. So muß jeder Künstler seinen Gegenstand bearbeiten; er muß so wol schöne, als widrige, häßliche Dinge so vor das Aug bringen, daß wir gezwungen werden, sie lebhaft zu fassen.

1S. Schön.
2S. Ekel.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 503-505.
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