Luftperspektiv

[723] Luftperspektiv. (Mahlerey)

In der eigentlichen Perspektiv wird unter andern auch gelehret, wie jeder Gegenstand durch allmählige Entfernung vom Auge kleiner wird, und wie dabey seine kleinern Theile allmählig völlig unmerkbar, folglich seine Form und Gestalt undeutlicher werden. Eine ähnliche Veränderung leiden die natürlichen Farben der körperlichen Gegenstände durch die Entfernung. Je entfernter ein Körper von uns ist, je mehr verliehrt seine Farb an Lebhaftigkeit; die kleinern Tinten und die Schatten werden allmählig unmerklicher, und verliehren sich endlich ganz, daß der Körper einfärbig und flach wird; in großer Entfernung aber verliehrt sich seine natürliche Farbe ganz, und alle Gegenstände, so verschieden sie sonst an Farbe sind, nehmen die allgemeine Luftfarb an. Die genaue Kenntniß dieser Sache und die Wissenschaft der Regeln, nach welchen alles, was zum Licht und Schatten, und zur Färbung der Gegenstände gehört, nach Maaßgebung ihrer Entfernung vom Auge, muß abgeändert werden, wird die Luftperspektiv genennt. Weil man kein bestimmtes Maaß hat, nach welchem man die Grade des Lichts und der Schatten, oder die Lebhaftigkeit der Farben abmessen, noch ein Farbenregister nach welchem man die durch Entfernung allmählig sich abändernden Farben richtig benennen könnte; so ist es bis izt nicht möglich, die Luftperspektiv, so wie die Perspektiv der Größen, in Form einer Wissenschaft abzuhandeln. Zu vermuthen ist aber, daß es mit der Zeit wol geschehen könnte; da Hr. Lambert, der sich bereits um die gemeine Perspektiv sehr verdient gemacht hat, auch einen guten Anfang gemacht, Licht und Schatten auszumessen, auch den Meyerischen Versuch zum Farbenregister1 schon einigermaaßen ausgeführt hat.2 Inzwischen müssen sich die Mahler in Ansehung der Luftperspektiv mit einigen allgemeinen Beobachtungen und etwas unbestimmten Regeln behelfen.

Das Wichtigste davon hat der Herr von Hagedorn mit seiner gewöhnlichen Gründlichkeit in sehr wenig Worte zusammengefaßt.3 Wir wollen hier die Hauptpunkte der Sache berühren, damit jeder Mahler überzeuget werde, daß es nicht möglich sey, diesem Theil der Kunst ohne genaues Nachdenken Genüge zu leisten.

Zuerst kommt also die Schwächung der Farben, durch die Entfernung des Gegenstandes in Betrachtung.

Luftperspektiv

Man stelle sich also vor, A B sey eine nahe an der Oberfläche der Erde gezogene gerade Linie; D C eine in der Luft der vorigen parallel laufende Linie, in einer Höhe, über welche die Dünste der Erde nicht heraufsteigen. In A stehe ein Beobachter nach der Gegend B C gekehrt.

Nun muß man zuerst bedenken, daß nahe am Erdboden sich die meisten und gröbsten Dünste aufhalten, so daß man in einer grössern Höhe nicht nur weniger, sondern auch subtilere und die Luft weniger verdunkelnde Dünste antrift. Man stelle sich also vor, daß aus dem Punkt K eine krumme Linie KHI dergestalt gezogen sey, daß die aus jedem Punkt der Höhe A oder G, oder wo man sonst will, auf A D in rechtem Winkel gezogene Linie A I oder G H [723] die Dichtigkeit der Dünste auf derselben Höhe anzeige. Ferner sey B der äusserste Punkt des Horizonts.

Nun stelle man sich vor, daß ein wol erleuchteter Körper, von welcher Farbe man will, in E, ein anderer von eben der Farbe und Erleuchtung in C gesehen werde, ein dritter aber in F, und man wolle wissen, wie viel jeder dieser Gegenstände von der Lebhaftigkeit seiner natürlichen Farbe verlieren werde. Weil blos die Menge der Dünste, durch welche die Lichtstrahlen fallen, die Ursache dieser verminderten Lebhaftigkeit ist, so därf man nur für jeden Stand F, E und C diese Menge bestimmen. Man sieht aber sogleich, daß sie in jedem Stande von zwey Größen abhängt, nämlich von der Entfernung A F, A E, A C, und denn von der Höhe N F, B E, B C, aber mit dem Unterschied, daß die Entfernung zur Vermehrung, die Höhe aber zur Vermindrung derselben beyträgt.

Dieses genau und geometrisch zu bestimmen, würde eine ziemlich schweere Rechnung erfodern: ohngefähr aber erkennet man, wie die Schwächung der Farbe, in so fern sie in jeder horizontalen Entfernung von der Höhe abhängt, könnte berechnet werden. Für die Höhe E oder G würde man ohngefehr die Linie L M nehmen müssen, wenn L der Mittelpunkt der Schweere der Figur A G H I wäre; für die Höhe C aber, Linie l m, wenn l der Mittelpunkt der Schweere der ganzen Figur A D K I wäre. Diesem zufolge müßte die Vermindrung der Lebhaftigkeit der Farbe für den Ort F durch A F x L M; für den Ort E, durch A E x L M und für den Ort C durch A C x l m ausgedrukt werden, das ist, für jeden Ort müßte die Entfernung durch die für seine Höhe sich passende Linie L M multiplicirt werden. Doch könnte diese Regel nicht auf die nahe am Scheitelpunkt stehenden Gegenstände angewendet werden. Aber dergleichen kommen auch in Gemählden nicht vor.

Es läßt sich absehen, daß nach einer genauen Berechnung der Sache, endlich für den Mahler leicht zufassende Regeln für diesen Punkt der Luftperspektiv, aus der Theorie würden können gezogen werden. Niemand würde dieses besser thun können, als Herr Lambert; daher zu wünschen ist, daß er sich dieser Arbeit unterziehen möchte. Diese Regeln würden also dem Mahler anzeigen, wie viel graues er der natürlichen Farbe jedes Gegenstandes beymischen müßte, um die Farbe so heraus zu bringen, wie sie sich in jedem Abstand des Körpers zeiget. Mit dem Gebrauch des Farbenregisters verbunden, würden sie dem Mahler auch zeigen, in was für einer Entfernung vom Auge, jeder Körper seine Farbe verliehrt und die Luftfarbe, die blaulich grau ist, annihmt.

Von dieser Schwächung der Farben hängt auch die, in gleichem Maaße abnehmende, Schwächung des Lichts und der Schatten ab, welches der zweyte Hauptpunkt der Luftperspektiv ist, der einen großen Einfluß auf die körperliche Gestalt der Dinge hat. Um dieses deutlich zu begreifen, bedenke man nur, daß die körperliche, oder stereometrische Rundung einer Kugel in einer gewissen Entfernung sich völlig verliehrt, und daß die Kugel dem Aug daselbst blos wie ein runder Teller vorkommt. Man seze in der vorhergehenden Figur ein Aug in a, dem die Kugel bey b in ihrer völligen Rundung erscheinet; so würde dieselbe Kugel bey c schon flacher, bey d noch flacher, bey e noch flacher und bey f ganz flach erscheinen. Dieses geschieht, so bald die aus der Figur der Kugel entstehenden Schattirungen ihrer Farbe unmerklich werden. Eben dieses wiederfährt jedem Körper, und jeder Gruppe, und die nahen Gegenstände eines Gemähldes müssen mehr herausstehende Höhe (Relief) haben, als die entferntern. Dieses ist ein sehr wichtiger Punkt der Luftperspektiv, den nicht blos der Landschaftmahler, sondern auch Historien- und der Portraitmahler genau studiren müssen. Vergeblich würde man die Regeln der Linienperspektiv beobachten, wenn man diese versäumte: was die Zeichnung in die Ferne setzte, würde die Erhabenheit der Figuren und die Lebhaftigkeit der Farben, wieder nahe bringen, und entfernte Menschen würden in der Landschaft, wie nahe Zwerge aussehen.

Endlich ist auch die Würkung der Entfernung auf die Mittelfarben und Wiederscheine in Betrachtung zu ziehen. Da wo die Hauptfarben schon merklich geschwächt werden, müssen die Tinten der Mittelfarben und die Wiederscheine schon ganz wegfallen.

Dieses kann hinlänglich seyn, um jeden zu überzeugen, wie wichtig das Studium der Luftperspektiv für jeden Mahler sey, und wie viel zu bearbeiten wäre, um diesen Theil der Kunst so vollkommen zu machen, als die Linienperspektiv ist. Man [724] muß sich wundern, daß ungeachtet Leonhardo da Vinci schon verschiedene einzele Punkte dieser Wissenschaft mit der Genauigkeit eines Meßkünstlers behandelt hat4, sich bis izt niemand gefunden, der sie in ihrem Umfang methodisch vorzutragen unternommen hätte. Man kann aus einer Stelle des Philostratus schließen, daß auch die Alten schon gute Bemerkungen über die Luftperspektiv gemacht haben.5

1S. Farben.
2Von Ausmessung des Lichts und der Schatten handelt das nicht nach Verdienst bekannte Werk, welches er unter dem Namen Photometria 1760 in Augsburg herausgegeben. Und zum Farbenregister hat er einen guten Anfang geliefert, in einem Werk das kürzlich unter dem Titel: Beschreibung einer mit dem Calauischen Wachs ausgemahlten Farbenpyramide in Berlin herausgekommen ist.
3Betracht. über Mahlerey. S. § 55. f. f.
4Man sehe unter anderm in dieses großen Mannes fürtreflichen Anmerkungen über die Mahlerey das 107, 134, und das 164 Capitel, in welchem lezten er Versuche vorschlägt, wodurch man unmittelbar praktische Regeln abnehmen könnte.
5Philostr. Icones. L. I. Piscatores
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 723-725.
Lizenz:
Faksimiles:
723 | 724 | 725
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon