Farben (Mahlerey)

[369] Farben. (Mahlerey)

In der Mahlerey müssen die Farben, aus deren Zusammensetzung das Gemählde entsteht, in einem doppelten Gesichtspunkt betrachtet werden; als Materien, deren körperliches Wesen auf die Würkung und Dauer des Gemähldes einen beträchtlichen Einfluß hat; und dann als blosses Licht, das durch die Mannigfaltigkeit seiner Färbung den Künstler in Stand sezt, die Farben eines jeden sichtbaren Gegenstandes nachzuahmen.

In dem ersten Gesichtspunkt betrachtet, sind die Farben zum Gemählde, was die Materialien, Holz, Stein und Kalk dem Gebäude sind. Die Mahler schreiben auch ihren Farben mehr oder weniger Körper zu, nachdem sie mehr oder weniger davon nehmen müssen, um eine gewisse Würkung davon zu erhalten. Weil man z. B. mit sehr wenig Bleyweiß mehr ausrichtet, als mit viel Kreide, so sagt man, jenes habe mehr Körper.

Der Mahler hat also eine gute Kenntnis des Körperlichen der Farben nöthig; eines Theils, damit er so wol in der Arbeit besser fortkomme, und die Würkung der Farben leichter erhalte, als auch um andern Theils seiner Arbeit eine längere Dauer zu geben. Es giebt Farben, womit man mit einem Pinselstrich mehr ausrichtet, als mit öfterer Ueberarbeitung durch andre Farben; und so giebt es auch Farben, die in den Gemählden sehr lange beynahe dieselbe Kraft behalten, die sie von Anfang gehabt haben, da andre sich gar bald ändern, es sey, daß sie ausblaßen, oder daß sie dunkler werden. Zwar kömmt ein Theil dieser verschiedenen Würkungen von der Behandlung des Mahlers her; viel aber kömmt auf die körperliche Natur der Farben an. [369] Der angehende Mahler, der das Glük hat, seine Kunst von einem guten und aufrichtigen Meister zu lernen, kömmt ohne große Mühe zur Kenntnis der körperlichen Eigenschaften der Farben. Aber mancher Lehrer ist zurükhaltend, auch wol neidisch, und manch fürtrefliches Genie fällt einem schlechten Lehrmeister in die Hände; und in diesem Fall muß seine eigene Beobachtung sein Lehrer seyn. Es ist überhaupt gut, daß der Mahler seine ältesten Arbeiten sehr oft wieder ansehe, um die darin allmählig sich äussernden Veränderungen der Farben zu beobachten. Er kann sich auch dadurch etwas helfen, daß er Probegemählde macht, und sie an die Sonne, und an die offene Luft setzet, um das Veränderliche der Farben kennen zu lernen. Großen Vortheil wird ihm, wenn er nur die Gelegenheit dazu hat, eine fleissige Beobachtung der Werke der besten alten Meister geben, deren Arbeiten schon ein, oder ein Paar Jahrhunderte hinter sich haben. Vorzüglich können blos angelegte Gemählde alter Meister hierin lehrreich seyn, weil man mit ziemlicher Gewißheit die eigentlichen Farben, die sie gebraucht haben, noch erkennen kann. Auf diese Weise kann der Mahler zur Kenntnis des Festen und Dauerhaften der Farben kommen.

Ihren Werth, in Absicht auf die Bearbeitung selbst, das mehr oder weniger Körperliche in ihnen, die Eigenschaft, durch ihre Einmischung in andre, diesen aufzuhelfen, oder sie zu verderben, ihre Stärke durch andre Farben durchzudringen, oder nur als schwache, durchsichtige Decken andrer Farben nüzlich zu seyn, wird der Künstler nie anders, als durch genaues Nachdenken und Beobachten, währender Arbeit selbst kennen lernen. Der scharfsinnigste und nachdenkendste Kopf kömmt hierin natürlicher Weise am weitesten. Der Mahler muß das Genie eines Naturforschers haben, um jede körperliche Veränderung wahrzunehmen, und mit Scharfsinnigkeit ihre Ursache zu entdeken. Ohne dieses Genie ist es nicht wol möglich, ein guter Coloriste zu werden.

In Ansehung der Bestandtheile sind die Farben entweder Erdfarben, oder Gattungen gefärbter, von der Natur erzeugter Erden, wie der Ocher, die grüne, braune, rothe Erden; und diese sind gemeiniglich, wiewol mit Unterschied, die beständigsten, und die auch am meisten Körper haben; oder chimische Farben, die durch die Chymie aus metallischen Materien verfertiget worden. Diesen ist nicht allemal zu trauen, weil sie nicht nur ofte selbst etwas scharfes, beißendes an sich haben, wodurch sie andern Farben, mit denen sie vermischt werden, schädlich sind, sondern auch selbst von den in der Luft befindlichen mineralischen Ausdünstungen angegriffen werden, wiewol es auch sehr schöne und höchst dauerhafte Farben dieser Art giebt. Endlich hat man auch Farben, die durch Zubereitung aus den animalischen und vegetabilischen Körpern verfertigt werden. Allein eine umständliche Beschreibung dieser Gegenstände gehöret nicht hieher. Wer ausführlichere Nachrichten über die Farben sucht, der wird sie unter andern in Dom Pernetys am Rand angezeigten Werke finden.1.

Weit wesentlicher zur Kunst dienet die Betrachtung der Farben, in so fern man sie als gefärbtes Licht ansieht, womit man jedem gezeichneten Gegenstand das Ansehen eines in der Natur vorhandenen Körpers geben kann. Die Farben selbst, womit die Natur die Körper bemahlt hat, sind von unendlicher Mannigfaltigkeit, und es ist völlig unmöglich, sie alle zu nennen, oder auch nur zu zählen. Dann verursachen die verschiedenen Grade der Stärke des auffallenden Lichts, die Entfernung vom Auge, der Ton der Luft, und die Wiederscheine bey jeder Farbe, wieder mannigfaltige Abänderungen. Dem ersten Anscheine nach ist gar keine Hofnung vorhanden, daß die Kunst des Colorits auch nur einigermaaßen in Regeln zu fassen seyn könnte. Dennoch haben wir Gemählde, darin die Natur bis auf einen hohen Grad der Täuschung nachgeahmt ist. Man muß also die Hofnung nicht aufgeben, diesem Theil der Kunst durch bestimmte und sichere Vorschriften weiter aufzuhelfen.

Den Anfang dazu muß man nothwendig von einem Verzeichnis aller Farben machen, damit jede zu nennen sey, und von der Bestimmung der verschiedenen Modificationen, denen ein und eben dieselbe Farbe unterworfen ist, ohne ihre eigentliche [370] Färbung zu ändern. Ausser den ersten Versuchen, die da Vinci zu einer solchen Theorie gemacht hat, und die binnen zwey hundert Jahren von keinem Mahler fortgesetzt oder erweitert worden, haben zwey scharfsinnige Philosophen und Naturforscher seit kurzem den Weg dazu etwas genauer gebahnt. Wir wollen die noch wenig bekannten Versuche über diese Sache hier anzeigen.

Es ist also zuerst die Frage, in wie weit es möglich sey, alle in der Natur vorkommenden Farben natürlicher Körper in ein Verzeichnis zu bringen, und gleichsam dem Mahler auf seine Platte zu legen, damit er allemal die rechte wählen könne? Den ersten Versuch zur Auflösung dieser Aufgabe hat da Vinci gemacht2; der berühmte Astronomus Mayer in Göttingen aber, der vor einigen Jahren zu großem Schaden der Wissenschaften verstorben ist, viel weiter fortgesezt. Doch ist zu bedauren, daß die Abhandlung von dieser Sache, die er der göttingischen Gesellschaft der Wissenschaften vorgelesen, bis izt ungedrukt geblieben ist. Folgendes wird einen Begriff von der Mayerischen Methode geben.

Er nihmt drey Grundfarben an, aus welchen er alle übrigen heraus zu bringen sucht. Diese Grundfarben sind das Rothe, das Gelbe und das Blaue, jedes von der Art, wie sie in dem Regenbogen erscheinen, oder in dem durch ein Prisma gebrochenen Bild der Sonne. Zu Folge einiger Versuche sezt er zum voraus, daß der Unterschied zweyer Farben von derselben Gattung, die um weniger, als den zwölften Theil des Zusazes, von dem die Verändrung herkömmt, unterschieden sind, für unser Auge nicht mehr merklich sey. Dieses ist so zu verstehen. Man mische unter das reine Roth, das eine der drey Grundfarben ist, den zwölften Theil Gelb, so entsteht daher eine Farbe, die sich von der Grundfarbe etwas entfernt. Mischt man etwas mehr, als den zwölften Theil gelbes darunter, so entsteht eine andre rothe Farbe. Nun nihmt man an, daß die auf einander folgenden, aus roth und gelb gemischten Farben, nicht merklich von einander abweichen, als wenn der Unterschied von einer gegen die andre einen zwölften Theil gelber Farbe betrift.

Durch diese Voraussezung wird auf einmal die Anzahl der Farben beynahe völlig bestimmt, und man kann alle würklich verschieden scheinenden Gattungen der Farben in ein Dreyek bringen, wovon folgendes zur Probe dienen kann.

Farben (Mahlerey)

u. s. f.

Man stelle sich vor, daß hier in dem obersten kleinen Vierek, das mit r12 bezeichnet ist, die ursprüngliche hauptrothe Farb stehe, die nach und nach mit einem, zwey, drey Theilen des ursprünglichen Blauen versezt werde, und daß die aus diesen Mischungen entstehenden Farben, in die unter einander stehenden Viereke aufgetragen würden, so daß das zweyte Vierek mit der Farbe bemahlt wäre, die aus eilf Theilen roth und einem Theil blau gemischt ist; das dritte Vierek mit der Farbe, die aus 10 Theilen roth und zwey Theilen blau besteht u. s. f. Das vorlezte Vierek in dieser Reyhe würde demnach r1 b11 und das lezte b12 seyn.

Dadurch erhält er 91 verschiedene Mischungen dieser drey Farben, die alle, weil weder weiß noch schwarz darunter gemischt ist, einerley Grad des Lichts und der Lebhaftigkeit haben. Hierauf schlägt er vor, mit jeder dieser 91 Mischungen, dem Weissen und dem Schwarzen wieder so zu verfahren, wie mit den drey Hauptfarben. Auf diese Weise würde man 91 dreyekigte Tafeln bekommen, jede Tafel in 91 Viereke eingetheilt, und jedes Vierek mit einer besondern Farbe bemahlt, welche Farben zusammen alle möglichen, unserm Aug zu unterscheidenden Haupt- und Mittelfarben wie in einem Verzeichniß enthielten.

Herr Lambert3 merkt aber sehr wol an, daß in dieser Sache noch einige Ungewißheiten übrig sind; die eins Theils daher kommen, daß man nicht weiß, ob der zwölfte Theil der Farbe nach Maaß oder nach Gewicht zu bestimmen ist; andern Theils, weil [371] es noch zweifelhaft scheinet, ob die Stärke der Farben allemal genau durch das Verhältniß der Theile der Grundfarben bestimmt werde. Ferner merkt er an, daß auch noch unausgemacht ist, ob die Farben, in Ansehung des Hellen und Dunkeln, sich auch nur durch 12 merkliche Grade unterscheiden, oder ob man deren mehr machen müsse.

Ohne Zweifel würde die Mahlerey durch die Mayerischen Dreyeke viel gewinnen, und die großen Coloristen würden dadurch auch in den Stand gesetzt werden, andern ihr Verfahren bey der Farbengebung leichter und bestimmter zu beschreiben. Indessen würde man doch zu viel davon erwarten, wenn man glaubte, daß alsdenn alle Regeln des Colorits ganz bestimmt, wie die Regeln der perspektivischen Zeichnung, würden angegeben werden können. Man könnte alle mögliche Farben vor sich haben, und doch sehr ins Trokene oder auch ins Kalte fallen; denn das Saftige und Warme des Colorits kömmt von verschiedenen Ursachen her, auf welche die Dreyeke keinen Einfluß haben, wie z. B. von den durchscheinenden, oder überlaßirten Farben, von den, auch im stärksten Schatten angebrachten ganzen Farben, von einem geschikten Tokkiren. Denn das schönste Colorit wird gar ofte nicht durch die, würklich auf den Gegenständen liegenden natürlichen Farben, sondern durch ganz andere erhalten. Endlich haben auch einige Farben, in dem vollkommenen Colorit, gewisse Eigenschaften, die mit den verschiedenen Mischungen der drey Hauptfarben, und des Weißen und Schwarzen, keine Verbindung zu haben scheinen, und über deren Erreichung man noch kein Licht haben würde, wenn man gleich die Mayerischen Dreyeke in der größten Vollkommenheit vor sich hätte. Also würden diese Dreyeke alle mögliche Farben, in allen möglichen Graden des Hellen und Dunkeln darstellen: aber in Ansehung des Tones des ganzen Colorits und andrer sehr wesentlichen Eigenschaften desselben, würden sie dem Künstler keine Dienste thun.

Man würde also die 91 Dreyeke vielleicht noch 91 mal verändern, und jedem noch einen besondern Ton geben müssen; und doch ist die Mischung der Farben schon vorher erschöpft worden! Hieraus erhellet nun ganz offenbar, daß das Colorit Eigenschaften habe, die keinesweges von der Mischung der Farben, noch von dem Zusatz des Hellen und Dunkeln herkommen. Ohne Zweifel entstehen sie aus der Behandlung, so daß in dieser die größten Geheimnisse der Farbengebung liegen mögen.

Hieraus läßt sich einigermaaßen abnehmen, was man zu thun hätte, wenn man die Farbengebung auf bestimmte Regeln bringen wollte. Man müßte 1) die Mayerischen Dreyeke mit dem größten Fleiß verfertigen, jedes aber nach den verschiedenen Haupttönen der Farben abändern. 2) Alles, was aus einem genauen Studio der Werke der größten Coloristen, und aus dem Bekenntnis derer, die die meiste Uebung haben, in Ansehung der Behandlung kann angezeiget werden, zusammen sammeln. Diese wären eigentlich Arbeiten einer Mahleracademie, wie die Parisische ist, welche die geschiktesten und erfahrnesten Meister der Kunst zu Mitgliedern annihmt.

Wichtig ist überhaupt, wegen des Schönen in den Farben, was ein großer Meister der Kunst davon anmerkt, und welches einem nachdenkenden Künstler viel entdeken wird. »Die Theile, sagt er, die in Schönheit vollkommener sind, bringen weniger Nutzen mit sich, die aber, so weniger Schönheit haben, sind nützlicher –, dieses ist in allen Farben und in allen Gestalten. Die drey vollkommenen Farben können nie anders, als gelb, roth und blau seyn, und ist nur ein Begriff ihrer Vollkommenheit, nämlich wenn sie gleich weit von allen andern Farben sind; da hingegen die geringen und gemischten unterschiedlicher Art seyn können, nämlich mehr von der einen, oder der andern abhangend, und die geringsten, so von drey Farben gemischt, können unzählig verändert werden. Je weniger nun Vollkommenheit in einer Farb ist, je mehr Vielfältigkeit hat sie, bis endlich kein Hauptbegriff mehr in ihr bleibt, und alsdenn ist sie wie eine todte unbedeutende Sache.4«

Farbengebung. Dieses von dem Hrn. v. Hagedorn zuerst gebrauchte Wort ist schiklich, um denjenigen Theil der Kunst auszudrüken, der von den Farben abhängt. Die Farbengebung würde demnach folgende Theile der Kunst unter sich begreifen. 1) Licht und Schatten; 2) das Helle und Dunkle der Farben; 3) die eigenthümlichen oder Localfarben; 4) die Harmonie; 5) den Ton; und 6) die Behandlung [372] der Farben. Dieses wird blos zur Erklärung des Worts angemerkt.

1Dictionaire portatif de peinture etc. vor welchem Buch eine Abhandlung von dem Praktischen der Kunst ist, darin die verschiedenen Farben beschrieben werden, die in dem Werk selbst, jede unter ihren Namen, nochmals vorkommen.
2Traité de la peinture Chap. CXXI.
3S. Memoires de l'Acad. royale des Sciences et Belles Lettres de Prusse. Pour l'An 1768. p. 99.
4Mengs Gedanken über die Schönheit und über den Geschmack in der Mahlerey auf der 6. S.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 369-373.
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