Secunde

[1060] Secunde. (Musik)

In der diatonischen Tonleiter ist jeder höhere Ton die Secunde des nächst unter ihm liegenden Tones. Sie ist entweder klein, oder groß; die übermäßige1 liegt, wie wir hernach zeigen werden, außer der diatonischen Tonleiter. Die kleine hat ihren Siz in der Durtonleiter von der Terz zur Quarte und von der Septime zur Octave. Ihr reines Verhältniß ist 15/16 Alle übrigen Secunden der Tonleiter sind groß, und ihr Intervall ist ein ganzer Ton, 8/9 oder 9/102. Die übermäßige Secunde entsteht, wenn die große Secunde aus besondern Absichten, davon anderswo gesprochen wird3, durch ein Versezungszeichen noch um einen halben Ton erhöhet wird.

Die Secunde ist die erste Dissonanz in der Harmonie. Denn wenn man auf die natürliche Entstehung der Intervallen Acht giebt, so sind die Octave 1/2, Quinte 2/3, Quarte 3/4, große und kleine Terz 4/5 und 5/6 consonirend. Hiezu würde noch die verminderte Terz 6/7 gerechnet werden können: das Intervall 7/8 wäre alsdenn die Gränzscheidung zwischen den Consonanzen und Dissonanzen. Da aber beyde Intervalle in unserm heutigen System noch nicht eingeführet sind, so bleibt die kleine Terz die lezte Consonanz, und mit der Secunde fangen die Dissonanzen an. Wir haben schon anderswo erwiesen4, daß überhaupt alle Dissonanzen ihren Grund in der Secunde haben. Die Septime z.B. dissonirt nicht gegen den Grundton, sondern gegen dessen Octave, mit der sie eine Secunde ausmacht. Desgleichen dissoniren alle zufällige Dissonanzen, wenn sie auch noch so weit von dem Grundton entfernt liegen, hauptsächlich gegen den Ton, dessen Vorhälte sie sind, und der entweder ihre Ober-oder Untersecunde ist. Da nun unter diesen Bedingungen zwey Töne, die um weniger als eine kleine Terz auseinander liegen, nothwendig dissoniren, und je mehr, je näher sie sich liegen, so folgt, daß die kleine Secunde die allerschärfste Dissonanz sey.

Bey der Resolution tritt der untere Ton einen Grad unter sich; denn eigentlich ist es nicht die Secunde,[1060] die dissoniret, sondern der Ton, gegen den sie eine Secunde ausmacht. Hierin liegt der Unterschied der Secunde von der None, die so oft mit einander verwechselt werden. Bey der None resolvirt allezeit der obere Ton und zwar die None selbst in die Octave des Baßtones; bey der Secunde hingegen resolviret der untere Ton.

Die übermäßige Secunde tritt, wie alle übermäßigen Intervalle, einen Grad über sich. Woher der Gebrauch der Secunde in der Harmonie entstehe, wird aus folgendem Artikel erhellen.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774.
Lizenz:
Kategorien: