Octave

Octave. (Musik)

Ein Hauptintervall, welches die vollkommenste Harmonie mit dem Grundtone hat. Nämlich der Ton, den eine Sayte oder Pfeiffe angiebet, wenn man sie um die Hälfte kürzer gemacht hat, wird die Octave dessen, den die ganze Sayte oder Pfeiffe angiebt, genennet.1 Die Sayte, welche die Octave einer andern angiebt, macht zwey Schwingungen, in der Zeit, da die Sayte des Grundtones eine macht. Man kann also sagen, die Octave sey zweymal höher, als ihr Grundton. Sie hat den Namen daher bekommen, daß sie in dem diatonischen System die achte Sayte vom Grundton ist. Also kommt auf der achten diatonischen Sayte, der Ton der ersten, oder untersten, noch einmal so hoch wieder. Eben so wiederholt die neunte Sayte den zweyten Ton, oder die Secunde, die Zehnte, den dritten Ton, oder die Terz u.s.f. Deswegen kann man sagen, daß alle Töne des Systems in dem Bezirk der Octave enthalten seyen; weil hernach dieselben Töne in den folgenden Octaven zweymal, viermal, achtmal u.s.f. erhöhet, wieder kommen. Also hat unser diatonisches System nicht mehr, als sieben verschiedene Töne, oder Intervalle, welche aber durch den ganzen Umfang der vernehmlichen Töne, um zwey oder mehrmal erhöhet wieder kommen. Darum nannten die Griechen die Octave Diapason (δια πασων), das ist das Intervall das alle Sayten des Systems in sich begreift. Und daraus läßt sich auch verstehen, was der Ausdruk sagen will, der Umfang aller vernehmlichen Töne, sey von acht Octaven.2

Das Wort Octave hat also einen doppelten Sinn; bisweilen bedeutet es den ganzen Raum des Systems, in so fern alle Töne darin enthalten sind, keiner aber erhöht wiederholt wird. Diesen [829] Sinn hat es in der so eben angeführten Redensart; auch wenn man von einem Clavier sagte, es habe einen Umfang von fünf Octaven: denn bedeutet das Wort auch das Intervall, dessen Beschaffenheit vorher beschrieben worden. Bey dieser Bedeutung ist zu merken, daß nicht nur die achte diatonische Sayte eines Tones, die seine eigentliche Octave ist, sondern auch die funfzehnte, oder die Octave jener Octave, ingleichen alle folgenden, acht, sechszehn und 32mal höhere Töne, den Namen der Octave des Grundtones behalten; weil alle auf dieselbe vollkommene Weise mit dem Grundton harmoniren.

Die Octave, als Intervall betrachtet, hat von allen Intervallen die vollkommenste Harmonie; aber eben darum hat sie auch den wenigsten harmonischen Reiz. Der Grundton blos mit seiner Octav angeschlagen, reizet das Gehör wenig mehr, als wenn er ganz allein gehört worden wäre. Angenehmer ist es, wenn er von seiner Quinte oder von seiner Terz begleitet wird; weil man in diesen beyden Fällen die beyden Töne besser unterscheidet, und dennoch eine gute Uebereinstimmung derselben empfindet. Deswegen sagen die Tonsezer, die Octave klinge leer, und verbiethen sie, wo nur eine Hauptstimme ist, anders zu sezen, als im Anfang, oder bey einem Schluß. Eben darum wird sie auch in dem begleitenden Generalbaß ofte weggelassen, und dafür die Terz, oder die Sexte verdoppelt; weil dadurch die Harmonie reicher wird.

Daher kommt es auch, daß zwey Octaven nach einander, auf oder absteigend, z. E. also

Octave

gegen andere consonirende Intervalle sehr matt klingen, und in dem Saz scharf verboten werden. Hingegen thut auch eine ganze Reyhe solcher Octaven bey ausserordentlichen Gelegenheiten, da der Ausdruk etwas fürchterliches erfodert, sehr gute Würkung, wie man in dem Graunischen fürtreflichen Chor Mora etc. aus der Oper Iphigenie, sehen kann. Das reine Verhältnis der Octave gegen den Grundton ist 1/2, oder 1/4, 1/8 u.s.f. und an diesem Verhältnis darf nichts fehlen, sonst wird sie unerträglich. Daher hat die Octave von allen Intervallen dieses eigen, daß sie nicht anders, als rein erscheinen därf.

1S. Klang.
2S. Umfang.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 829-830.
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