Gar

[410] Gar, adj. et adv. welches eigentlich zubereitet, fertig, bedeutet, und am häufigsten als ein Nebenwort gebraucht wird.

1. Eigentlich, zubereitet, fertig; wo es doch nur noch in einigen Lebensarten und Handwerken vorkommt. Gares Eisen, im Hüttenbaue, welches seine völlige Zubereitung erhalten hat. Die leicht flüssigen Eisensteine am Harze geben gares Eisen. Das Kupfer gar machen, es völlig rein und schmeidig machen; S. Gare, Garbruch, Garfeuer, Gareisen u.s.f. Gares Salz, das Salz gar sieden, fertiges Salz, es fertig sieden, in den Salzwerken. Die Kohlen werden im Meiler gar, wenn sie so viel gebrannt werden, als nöthig ist. Gares Leder, bey den Gärbern, gegärbtes, zubereitetes Leder. Das Leder gar machen, unter welchem Ausdrucke man so wohl überhaupt die ganze Zubereitung der rohen Häute zu Leder, als auch in engerer Bedeutung die Zubereitung der gehaarten, geläuterten und gebeitzten Felle mit Alaun, Kalk oder andern ähnlichen Mitteln, begreift. Am häufigsten von den Speisen, in den Küchen und bey den Bäckern, wo es im Hochdeutschen nur als ein Nebenwort, bey den Niedersachsen aber auch als ein Beywort üblich ist. Das Essen ist noch nicht gar, hat noch nicht genug gekocht. Das Fleisch, das Brot, der Fisch ist gar. Ich bin noch nicht gar mit ihm mit der Sache, sagt man auch wohl im gemeinen Leben, für, ich bin noch nicht mit ihm fertig, noch nicht mit ihm zu Stande. Die Arbeit ist gar, ist fertig, im Oberdeutschen.

2. Figürlich, wo es doch nur in Gestalt eines Nebenwortes gebraucht wird.

1) Das Prädicat nach seinem ganzen Umfange, ingleichen nach allen Graden seiner innern Stärke zu bezeichnen, für völlig, ganz, gänzlich; wo es zugleich den Ton hat. Es waren nicht gar zehen Thaler. Es sind noch nicht gar vier Wochen, daß ich ihn gesehen habe. Ein Narr schüttet sein Herz gar aus. Als sie nun das Kraut gar abfressen wollten, Amos. 7, 2. Die guten löblichen Sitten that er gar ab, 2 Maccab. 4, 11. Nun bin ich gar dahin, Klagel. 3, 54. Seine Hand gar von einem abziehen. Er hat alles gar aufgegessen. Es ist gar aus mit ihm, S. Garaus. Im Hochdeutschen wird es in diesem Verstande gemeiniglich mit dem Worte ganz verbunden, indem die meisten Fälle, wo gar allein gebraucht wird, im Oberdeutschen am üblichsten sind. Sie haben es ganz und gar verdorben. Das Kleid ist ganz und gar zerrissen.

Besonders stehet es in dieser Bedeutung vor den Verneinungen, ihre Bedeutung zu verstärken. Es ist gar nicht reich, gar nicht groß, gar nicht berühmt u.s.f. Das ist ja gar nicht viel. Gar niemand will es haben. Dazu gehört ja gar keine[410] Großmuth. Das habe ich gar nicht befürchtet. Ich weiß von gar keiner Beleidigung. Er wird gar nicht lange ausbleiben. Ich habe gar nichts bekommen. Das habe ich gar nicht gewußt. Auch hier zuweilen mit dem Worte ganz. Er ist ganz und gar nicht ehrgeitzig. Sind sie denn ganz und gar nicht zu beruhigen?

2) Einen hohen Grad der innern Stärke des Prädicates zu bezeichnen, für sehr; in welcher Bedeutung es des Tones beraubt ist, außer wenn so vorher gehet, da es denselben hat. Es wird in dieser Bedeutung am liebsten andern Nebenwörtern vorgesetzet. Ich bekomme ihn gar selten zu sehen. Ich habe ihm gar viel zu danken. Das hat uns gar sehr vergnügt. Er ist gar oft hier. Er kam gar bald. Es ist gar schwer zu sagen. Er ist gar arm, gar gelehrt. Reden sie nicht so gar zuversichtlich. Es geschiehet dir gar recht.


Ja Phillis, daß du schöner bist,

Gesteh ich dir gar gerne zu,

Weiße.


Etwas gar genau betrachten. Eine Sache gar hoch schätzen. Es ist Schade, daß er so gar karg ist. Er ist so gar alt noch nicht. Es ist nicht so gar lange, daß er bey mir war. Zuweilen auch vor Beywörtern. Er ist ein gar gelehrter Mann. Es ist gar wenigen nützlich.

Besonders wird es, so wie all, gern den Superlativen der Nebenwörter vorgesetzet, und hat alsdann zugleich den Ton. Es ist gar zu groß, allzu groß. Es ist mir gar zu theuer. Seine Gütigkeit ist nur gar zu merklich. Das Stehen wird mir gar zu sauer werden, Gell. Ihr Beyfall ist mir gar zu kostbar, als daß ihn meine Eigenliebe nicht mit Vergnügen anhören sollte, ebend. Ich kenne ihn nur gar zu wohl. Ich bleibe gar zu gern in meiner Gelassenheit, sehr gern. Er ist nicht gar zu groß, nicht sehr groß. Es siehet nicht gar zu ordentlich hier aus, nicht sehr ordentlich. Ich bin dir gar zu gut, im gemeinen Leben für sehr gut.

3) Eine Steigerung zu bezeichnen, wo es gleichfalls den Ton hat. Die Freundschaft, die so leicht Parteylichkeit des Herzens und wohl gar Selbstliebe wird, Gell. Es ist vielleicht gar eine verirrte Prinzessinn. Sie sagte, sie hätten Unrecht, wo sie nicht gar noch mehr sagte. Er mißfällt mir nicht, vielleicht gefällt er mir gar, Gell. Hat sie etwa gar meine Untreue erfahren? Ich glaube, sie wollen mich gar unterrichten. Ey warum nicht gar?


Du sollst in einem Nu befreyet von Beschwerden,

Ja gar ein großer König werden,

Willam.


Zuweilen auch mit der Partikel so. Er hat ihn sogar geschlagen. Er kam so gar zu mir in das Haus. Er trauet sogar seinem Bruder nicht.

Anm. 1. Da dieses Wort hauptsächlich zur Verstärkung der Bedeutung besonders der Partikeln dienet, denen es vorgesetzet ist, so wird der Sinn der Rede gar sehr verändert, je nachdem man dessen Stelle verändert. Z.B. Ich kann es gar nicht wohl thun; ich kann es nicht gar wohl thun; ich kann es gar wohl nicht thun; ich kann es wohl gar nicht thun. Im ersten Falle gehöret es zur ersten, in den beyden folgenden zur zweyten, und im letzten zur dritten figürlichen Bedeutung.

Anm. 2. Gar, Nieders. gaar, Ital. guari, Franz. gueres, ist das alte garo, karo, welches bey dem Ottfried und Notker fertig, zubereitet, bedeutet. S. Charfreytag. Indessen gebraucht schon Ottfried garo und jaralih völlig, gänzlich, und Boxhorns Glosse garawo für beynahe. Im Schwed. bedeutet göra, und im Isländ. giora, noch jetzt zubereiten, thun, machen. Die Latein. gero, paro, und cereo, welches in den ältesten Zeiten Roms für creo üblich war, scheinen damit genau[411] verwandt zu seyn. S. Gärben, welches gleichfalls hierher gehöret. Bey den Wallachen bedeutet gerbu ich koche.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 410-412.
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