Rolle, die

[1149] Die Rolle, plur. die -n, Dimin. das Röllchen, von dem folgenden Zeitworte. 1. Eine Person, welche rollet, d.i. lärmend hin und wieder läuft; ein nur in den gemeinen Sprecharten einiger Gegenden übliches Wort, wo man in engerer Bedeutung auch wohl ein liederliches Weibsbild, welches den Wollüsten auf eine ausschweifende Art nachläuft, eine Rolle, Bubenrolle, und mit vorgesetztem t, eine Trolle zu nennen pflegt.

2. Ein Ding, welches rollet, d.i. sich um seine Achse bewegt, es mag nun bey dieser Bewegung den Ort verändern oder nicht; wo es in verschiedenen Fällen vorkommt. 1) Eine runde Scheibe, welche um ihren Mittelpunct beweglich ist, heißt eine Rolle. Sie dienet so wohl vermittelst einer darüber gezogenen Schnur, andere Körper zu heben und zu bewegen, Zugrolle, Nieders. Katrolle, Ital. Girella, Ruzzola, Carrucola; als auch schwere Körper, an denen sie befindlich ist, desto leichter fortzuschaffen. Ein Bett mit Rollen, unten an den Füßen, welches daher auch ein Rollbett heißt; ein Stuhl oder Sessel mit Rollen, ein Rollstuhl, Rollsessel. Siehe auch Rollwagen. Die Jagdzeuge laufen in Rollen, weil sie mit Schnüren, welche über Rollen gehen, aufgezogen und gestellet werden. Ist eine solche Rolle in einem in der Mitte durchbrochenen Holze befestiget, so heißt das ganze Werkzeug ein Kloben, und wenn es zur Verstärkung der Kraft aus mehrern Rollen bestehet, ein Flaschenzug, S. diese Wörter. An der Spuhle eines Spinnrades ist die Rolle eine Scheibe, um welche die Schnur auf das Rad gehet, Nieders. Sulle. 2) Eine Walze, Ital. Ruolo, Ruotolo, Engl. und Holländ. Roll, Franz. Rouleau; in welcher Bedeutung dieses Wort in manchen Gegenden üblich ist, hölzerne Cylinder zu bezeichnen, schwere Lasten auf denselben fortzubringen, die man doch lieber Walzen nennet. Einen Stein auf Rollen fortwälzen. Ein Schiff auf Rollen vom Stapel lassen. In den Salzkothen hat man solche Rollen, die schweren Pfannen fortzuschaffen. In manchen Fällen ist dieses Wort auch üblich, wenn eine solche Walze nicht bloß zur Überwindung einer Last dienet, wenn sie sich nur im Gebrauch um ihre Achse drehet. In Niedersachsen ziehet man die langen Handquehlen über eine solche Rolle, und alsdann wird auch diese Quehle selbst eine Rolle oder Handrolle genannt. Die kleinen, länglichen, runden, in der Mitte ausgedreheten Walzen, Seile, Saiten, Draht, Goldfäden u.s.f. darauf zu winden, heißen Rollen oder Röllchen. Ein Röllchen Seide. Eine Maschine, deren vornehmster Theil in runden, hölzernen Walzen oder so genannten[1149] Rollhölzern bestehet, die darum gewickelte Wäsche oder Zeuge glatt zu rollen, ist sehr häufig unter dem Nahmen einer Rolle bekannt; im gemeinen Leben mancher Gegenden heißt sie eine Mange, Mangel oder Mandel.

3. Ein zusammen gerolltes, d.i. um seinen Mittelpunct oder um seine Achse zusammen gebogenes Ding; gleichfalls in verschiedenen Fällen.

1) Eine Haarlocke, heißt in einigen Oberdeutschen Gegenden häufig eine Rolle, im Nieders. mit vorgesetztem k, Krulle.

2) Verschiedene Arten zusammen gerollter Waaren sind unter dem Nahmen der Rollen bekannt; Ital. Ruolo, Ruotolo. Eine Rolle Tobak, in Gestalt einer Walze aufgerollter, gesponnener Tobak. Eine Rolle Juchten, Zeug, Tuch, Leinwand, welche letztere in Obersachsen eine Webe heißt. In dem Stockfischhandel ist ein Roll, oder vielmehr eine Rolle Stock- oder Rundfisch, so wohl in Ober- als Niederdeutschland, eine Zahl von 180 Fischen; vielleicht, weil sie in Gestalt einer runden Walze zusammen gebunden sind.

3) Im Oberdeutschen wird eine Tüte häufig eine Rolle, und in manchen Gegenden, eine Rogel, genannt; daher führet eine Art gewundener, einfächeriger Schnecken, wegen ihrer Ähnlichkeit mit einer solchen Tüte, den Nahmen der Rolle; bey andern heißt sie Kegelschnecke, Teutenschnecke, Wellenschnecke, Voluta. Eine andere Art einfächeriger, gewundener Schnecken, welche aber einer Walze ähnlich ist, bekommt in andern Gegenden um eben dieser Ähnlichkeit willen den Nahmen der Rolle, ob sie gleich am häufigsten Walzenschnecke heißt.

4) Ein zusammen gerolltes Papier oder Pergament. (a) In der weitesten Bedeutung, da ehedem alle auf einem langen Stücke Pergament geschriebene Bücher, Schriften, Urkunden u.s.f. wenn sie zur Aufbewahrung zusammen gerollet wurden, Rollen hießen; Franz. Role, im mittlern Lat. Rotula, im Wallis. Rhol, im Irländ. Roladh. Daher werden noch in vielen Städten Niedersachsens die Statuten, Polizeygesetze, Stiftungsbriefe der Innungen u.s.f. Rollen, kündige Rollen, Stadtrollen, Amtsrollen u.s.f. genannt. Auch im Hochdeutschen ist dieses Wort noch in manchen Fällen bekannt, ein Verzeichniß, eine Liste zu bezeichnen; dahin unter andern die Bürgerrolle, Musterrolle u.s.f. gehören. Er stehet nicht auf meiner Rolle, auf meiner Liste. (b) In engerer Bedeutung, ist es dasjenige Papier, worauf dasjenige, was ein Schauspieler auf der Bühne zu sagen hat, geschrieben ist, weil die Schauspieler dieses Papier ehedem zusammen gerollt in der Hand hatten. Seine Rolle auswendig lernen. Da es denn auch figürlich von der ganzen Person und deren Handlungen, welche ein Schauspieler auf der Bühne vorstellt, gebraucht wird. Die Rolle Cäsars haben oder spielen, den Cäsar auf der Bühne vorstellen. Seine Rolle gut spielen oder vorstellen. (c) Nach einer noch weitern Figur, ist es überhaupt die Person, welche man in einzelnen Fällen vorstellet, das Betragen eines Menschen in einzelnen Fällen. Sie haben ihre Rolle in dieser Sache vortrefflich gespielet. Diese Rolle kleidet dich nicht. Diese Rolle wird mir sehr sauer werden. Sie spielten die Rolle der Gleichgültigkeit mit überaus vieler Wahrheit. Eine Person, welche ohne Reue empfindet, daß sie strafbar ist, und sich doch fürchtet zu trotzen, spielt eine Rolle, die unmöglich demüthigender seyn kann, Hermes.

5) In der Baukunst führet eine Art Krag- und Schlußsteine, welche an den Seiten mit Schnörkeln verzieret wird, wegen der Ähnlichkeit dieser Schnörkel mit einem zusammen gerollten Papiere, den Nahmen einer Rolle; von welcher Art besonders die Bogenrolle und Seitenrolle ist, wovon die erste ein mit Schnörkeln[1150] versehener Schlußstein eines Bogens oder Gewölbes, der letzte aber ein an den Seiten mit Schnörkeln versehener Kragstein ist.

4. Ein Werkzeug, andere Körper darüber oder dadurch rollen zu lassen; in welcher Bedeutung es besonders in zwey Fällen vorkommt. 1) Ein stehendes Sieb, Getreide, Erde u.s.f. darüber rollen zu lassen, damit das feinere durchfalle, ist überall unter dem Nahmen einer Rolle bekannt. Die Kornrolle, zum Korne, oder Getreide. Die Erdrolle oder Gartenrolle, zur Erde in den Gärten u.s.f. In manchen Gegenden führet ein solches Sieb den ähnlichen Nahmen eines Räders, S. dieses Wort. 2) Ein aus Bretern zusammen geschlagenes, oder aus starken Hölzern verfertigtes Gerinne, Holz, Steine, Erde, Erz u.s.f. von einer Anhöhe in die Tiefe rollen zu lassen, heißt im Bergbaue eine Rolle. So fern sie gebraucht wird, Holz von den Bergen hinab gleiten zu lassen, wird sie im Oberdeutschen eine Riese, und in andern Gegenden, eine Kutsche, Holzrutsche genannt.

5. In einigen Gegenden, besonders Oberdeutschlandes, führen die Glocken oder großen Schellen, welche man den Mauleseln und Fuhrmannspferden an den Hals hängt, den Nahmen der Rollen, oder zum Unterschiede von den vorigen Arten, der Klingrollen, wo es, allem Ansehen nach, eine unmittelbare Nachahmung des dumpfigen Klanges dieser Glocken ist. Im Nieders. ist rallen ein großes Getöse machen.

6. Eine lange Höhle unter der Erde; eine nur in einigen Gegenden übliche Bedeutung. In den Quecksilberbergwerken zu Idria scheinet es eine Art eines Stollens oder Gesenkes zu seyn. In Scopoli Beschreibung dieses Bergwerkes kommt es auf diese Art mehrmahls vor; z.B. der S. Josephi Stollen, nebst einer Durchfahrtsroll und einem Gesenke; die Graf Artemisische Roill mit vier Absätzen und 282 steinernen Stufen; S. Theresiä Schacht mit drey Gesenken und zwo Rollen u.s.f. Im Niederdeutschen werden kleine fehlerhafte Öffnungen durch einen Damm oder Deich, welche aus den Gängen der Maulwürfe, Fischottern u.s.f. entstehen, Rullen, d.i. Rollen, genannt. Es gehöret hier zunächst zu Rille und Riole, ohne sich doch von dem Zeitworte rollen zu entfernen, welches, so wie regen, rennen, rinnen, Rad u.s.f. ehedem von einer Bewegung nach allen Richtungen, folglich auch in die Länge und Tiefe gebraucht wurde.

Anm. Im Nieders. Rulle, im Schwed. Rulla, im Wallis. Rhol, im mittlern Lat. Rollus. S. Rollen.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 1149-1151.
Lizenz:
Faksimiles:
1149 | 1150 | 1151
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Casanovas Heimfahrt

Casanovas Heimfahrt

Nach 25-jähriger Verbannung hofft der gealterte Casanova, in seine Heimatstadt Venedig zurückkehren zu dürfen. Während er auf Nachricht wartet lebt er im Hause eines alten Freundes, der drei Töchter hat... Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.

82 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon