Rastadter Congreß

[54] Rastadter Congreß. Dieses Ereigniß, welches in der neuesten Geschichte Epoche macht, ist zu wichtig, als daß wir flüchtig darüber hinwegeilen könnten, aber auch so verwickelt und vielumfassend, daß selbst die gedrängteste Uebersicht mehrere Blätter füllen muß. Ehe wir jedoch den Congreß selbst betrachten, wollen wir die Umstände, die ihn vorbereiteten, kürzlich erwähnen. Der Basler Friede zwischen Preußen und Frankreich (1795, 5. Apr.) hatte, (im eilften Art.) für das Wohl des durch den dreijährigen Krieg ganz erschöpften Deutschlands gesorgt, und verfügt, daß die Französische Republik die Preußische Vermittelung zum Vortheil derjenigen Reichsstände, die mit ihr unmittelbar in Unterhandlungen treten wollten, annehmen solle. Preußen, welches indessen durch besondere, [54] über eine Demarcationslinie geschlossene Verträge das nördliche Deutschland gesichert hatte, machte jenen Artikel am 1. Mai 1795 dem Reichstage zu Regensburg bekannt: ein kaiserliches Hofdecret, welches am 22 Mai den Reichsständen eröffnet wurde, forderte sie zur Ernennung einer Friedensdeputation auf; und ein Reichsschluß vom 7. October jenes Jahrs entschied auch wirklich dafür. Schon wurden vorläufig Deputirte ernannt; und man setzte im Voraus fest, daß man nur einen solchen Frieden schließen wolle, der die Integrität des Reichs und seiner Verfassung aufrecht erhalte. Allein plötzlich verschwanden die frohen Aussichten: bloß einige Stände schlossen Separatfrieden mit Frankreich; und ein neues Hofdecret, das am 19. November 1795 dem Reichstage mitgetheilt wurde, erklärte, die Absendung der Deputirten könne noch nicht Statt finden, weil die Franzosische Regierung deutlich gezeigt habe, daß sie sich nur durch die größten und demüthigendsten Aufopferungen zum Frieden bewegen lassen werde. Die Fackel des Kriegs entbrannte aufs neue: beinahe das ganze südliche Deutschland wurde in den Jahren 1796 und 97 von den siegreichen Heeren der Franzosen überzogen; die Cisalpinische Republik erwuchs aus den Trümmern der Staaten Oberitaliens; der Papst verlor durch den Frieden von Tolentino (19. Februar, 1797) einen großen Theil seines Gebiets; und die Friedenspräliminarien zu Leoben (18. April, 1797) zwischen dem Kaiser und der Französischen Republik erhoben die Letztere auf einen hohen Gipfel der Macht und des Ruhms. Eben diese Friedenspräliminarien gaben aber Deutschland die längst entbehrte Ruhe wieder; denn sie setzten ausdrücklich fest, daß dasselbe in das Friedensgeschäft mit eingeschlossen werden, und zu Folge eines Waffenstillstandes jede Feindseligkeit aufhören solle. Der Kaiser erklärte hierauf am 18. Juni 1797 dem Reichstage, Deutschland »möge einen auf die Basis der Integrität des Reichs und seiner Verfassung zu gründenden billigen und anständigen Frieden mit Frankreich beschleunigen.« Die Reichstags-Berathschlagungen über die Sendung der Deputirten nahmen am 21. Juli ihren Anfang; und der am 17. October zu Campo Formio geschlossene Friede zwischen Oestreich und Frankreich benannte im zwanzigsten Artikel Rastadt (s. d. vorigen Art.) als Ort des Friedenscongresses, an welchem sich auch nun zu Ende des Novembers und Anfang [55] des Decembers sowohl die Französischen Gesandten, als die sehr zahlreichen Deputirten des Kaisers und der Reichsstände, nebst vielen Particular-Abgeordneten und Gesandten fremder Mächte einfanden. Ehe wir jedoch zu den eigentlichen Verhandlungen übergehen, müssen wir die wichtigsten Personen der Gesandschaft nennen, und die geheimen Artikel des Friedens von Campo Formio erwähnen. Frankreich sandte Buonaparte als ersten bevollmächtigten Minister, Treilhard als zweiten, und Bonnier als dritten: an Treilhards Stelle rückte aber, als dieser Mitglied des Directoriums geworden war, am 12. Juni 1798 Jean Debry ein; und am 10. Juli desselben Jahres erschien auch Roberjot unter eben diesem Charakter Der Graf von Metternich war kaiserlicher Plenipotentiarius, d. h. Stellvertreter der Person des Kaisers; die Grafen von Cobenzl und von Lehrbach erschienen ebenfalls als Abgeordnete desselben, und zwar ersterer für Ungarn und Böhmen, letzterer für Oestreich; die Preußische Gesandtschaft bestand aus dem Grasen von Görz, dem Freiherrn von Jacobi und dem Herrn von Dohm; das Directorium des ganzen Friedensgeschäfts von Seiten des Reichs führte der Freiherr von Albini, Churmainzischer Minister, in der Eigenschaft eines Reichs-Diretorialgesandten. Die sämmtlichen Verhandlungen wurden von Seiten des Reichs in Sitzungen gepflogen, und beide Parteien theilten sich ihre Meinungen blos schriftlich und nur sehr selten mündlich mit. Die Französischen Minister schickten ihre Noten unmittelbar an die Reichsfriedens-Deputation; diese aber übergab die ihrigen dem kaiserlichen Plenipotentiar zur Genehmigung, und durch ihn erst gelangten sie an die Französischen Gesandten. – Das Betragen der Französischen Regierung gegen das Deutsche Reich während des Congresses, ihre ungeheuern Forderungen, so wie auch das Stillschweigen, welches das Reichsoberhaupt dabei beobachtete, hatten ihren vornehmsten Grund in den geheimen Artikeln des Friedens zu Campo Formio, die auch wirklich so lange ein Geheimniß blieben, bis sie von den Gesandten der Franzosen 1799 nach Wiedereröffnung der Feindseligkeiten, und kurz vor dem Ende des Congresses, ganz wider Oestreichs Willen, bekannt gemacht wurden. Kraft derselben gab Oestreich vorläufig seine Einwilligung dazu, daß der Rhein [56] die Gränze Frankreichs ausmachen solle, that Verzicht auf die Grafschaft Falkenstein, auf das Frickthal (wovon weiter unten) und alle ihm zugehörigen Disiricte zwischen Zurzach und Basel an dem linken Rheinufer, versprach den Franzosen die freie Rheinschifffahrt und die Verzichtleistung des Reichs auf alle Rechte und Anspruche in Italien auszumitteln, und genehmigte im Voraus das System, welchem zu Folge die auf dem linken Rheinufer gelegenen Reichsstände durch Länder auf dem rechten schadlos gehalten werden sollten. Beide Theile kamen ferner überein, daß Preußen sein Eigenthum jenseits des Rheins wieder erhalten, jedoch keine neuen Länder bekommen solle; und dem Kaiser wurde der Besitz von Salzburg und einem Theile von Bayern als Ersatz für die in dem Frieden abgetretenen Provinzen versichert. Auch machte sich Letzterer verbindlich, im Fall das Deutsche Reich die Abtretung des linken Rheinufers verweigern wurde, bei ausbrechendem Kriege nicht mehr als sein Contingent zu stellen, und versprach endlich, alle Truppen sogleich aus den Reichsfestungen und Reichslanden bis in seine Erbstaaten zurückzuziehen. Dieser Rückzug der kaiserlichen Heere wurde auch noch in einer anderweitigen geheimen Convention zu Rastadt vom 1. December 1797 zwischen Buonaparte und den beiden Oestreichischen Bevollmächtigten, dem Grafen von Cobenzl und dem General-Feldzeugmeister Latour, ausgemacht, und zugleich den Franzosen die Besetzung von Mainz verstattet. Uebrigens war diese Convention die einzige Handlung Buonaparteʼs auf dem Congresse, indem er gleich Tags darauf abreiste; und sie verlautete zu gleicher Zeit mir jenen geheimen Artikeln, ebenfalls durch Bekanntmachung der Franzosischen Gesandten und wider Oestreichs Wunsch. Die kaiserlichen Heere zogen sich nun wirklich zurück, die Franzosen besetzten Mainz am 10. December 1797, und stürzten, uneingedenk des zu Leoben bewilligten Waffenstillstandes, die Einwohner des rechten Rheinufers durch Contributionen und Requisitionen, die während des ganzen Congresses nicht aufhörten, in das äußerste Elend. Schon in der ersten Sitzung zu Rastadt, den 9. December 1797, wurde die Vollmacht der Deutschen Deputirten, weil sie auf Abschließung eines der Integrität des Reichs gemäßen Friedens berechnet war, von den Französischen Gesandten verworfen; und die Deputirten sahen sich genöthigt, eine andere, die sie zu [57] Abtretungen berechtigte, auf dem Reichstage am 8. Januar 1798 sich ausstellen zu lassen – ein Schritt, durch welchen schon alle Hoffnung zu einem billigen Frieden verschwand.

Die Unterhandlungen selbst begannen den 19. Januar, und wurden, was die Französischen Gesandten betrifft, nach den strengen Befehlen des Directoriums geführt, welches, stolz auf das Recht des Siegers, unerschwingliche Forderungen vorbrachte, die theils nie ein Ziel erreichten, theils auch die Wahrheit der oft vorgespiegelten Behauptung, daß die Französische Regierung den Frieden eifrig wünsche, sehr zweifelhaft machten. Die Reichsdeputation beobachtete hingegen einen ziemlich festen und gesetzten Gang in den Unterhandlungen, bei welchem sie Nachgiebigkeit mit Beharrlichkeit sehr geschickt vereinbarte; ihr ernster Wunsch nach Frieden zeigte sich nur allzu deutlich durch die großen Aufopferungen, die sie zur gehörigen Zeit machte. Oestreich verhielt sich anfänglich sehr ruhig und den geheimen Conventionen gemäß, und fing nicht eher an, sich den Anmaßungen Frankreichs mit Nachdrucke zu widersetzen, als bis der neue Ausbruch des Kriegs sehr wahrscheinlich ward. Preußen endlich übernahm oft die Rolle des Vermittlers, und behauptete seine Neutralität nie zum Schaden, weit mehr aber zum Vortheile des Reichs. – Die Französischen Gesandten verwarfen gleich in der ersten Erklärung die Basis (d. h. Grundlage) des Friedens, die in der Erhaltung der Integrität des Reichsgebiets bestehen sollte, und erklärten Abtretung des ganzen linken Rheinufers, d. h. des zwischen dem Rheine und Frankreich gelegenen Theils von Deutschland, sei die einzige Friedensbasis, die alleinige Bedingung, unter welcher sie Unterhandlungen pflegen könnten. Vergebens bot ihnen die Reichsfriedens-De putation am 16. Febr. und 2. März die Hälfte jenes Rheinufers an. Endlich nach langen Weigerungen am 11. März sah sie sich genöthigt, auf das linke Rheinufer Verzicht zu leisten. Sie fügte zwar die Bedingung bei, daß die Republik ihre Truppen nun sogleich vom rechten Rheinufer zurückziehen, und daselbst alle Contributionen und Requisitionen einstellen möchte: allein man gab zur Antwort, dieses könne erst nach völlig beendigtem Friedensgeschäft geschehen; und es wurde sogar die Churtriersche Festung Ehrenbreitstein, Coblenz gegenüber, von den Franzosen seit dem 11. März 1798 aufs engste [58] blockirt, ungeachtet sie den Oestreichischen Generalen in mehrern Verträgen (vom 25. April, 12. Mai und 10. Juni 1797) die ungehinderte Versorgung des Platzes mit Lebensmitteln ausdrücklich versprochen hatten. Nach Anerkennung dieser Friedensbasis begannen nun die speciellern, von der Reichsdeputation eingeleiteten und durch jene Abtretung nothwendig gemachten Unterhandlungen, bei welchen die Franzosen, voll Vertrauens auf ihr Kriegsglück und den Zuwachs an Macht und Bundeskraft, den sie damahls durch Republikanisirung der Schweiz, Stiftung der Ligurischen Republik und Gründung des Römischen Freistaats gewonnen hatten, ihre neuen Zumuthungen ins Unendliche häuften. Nicht zufrieden, das linke Rheinufer ganz erhalten zu haben, machten sie nun unzählige Ansprüche auf das rechte, und suchten dieselben durch den Vorwand zu rechtfertigen, daß sie, um die Geschäfte nicht zu verwirren, ihre Forderungen bloß in der natürlichen Ordnung, wie sie aus einander folgten, entfalten und nur solche Ansprüche machen würden, die zulässig wären. Auch ließen sie von weiten die Aeußerung fallen, die Reichsstände vom linken Rheinufer könnten nicht vortheilhafter entschädigt werden, als wenn man geistliche Reichsländer auf der rechten Seite des Rheins säcularisirte (d. h. in weltliche verwandelte) und ihnen abtrete. Da die Deputation am 4. April 1798 diesen Vorschlag genehmigt hatte, erklärten die Französischen Gesandten, bevor die Unterhandlungen über die Abtretungen selbst geendigt wären, könne auch über die Art der einzelnen Entschädigungen und Säcularisationen noch nichts verfügt werden. Ehe wir aber die Gegenstände der Tractaten einzeln aufzählen, müssen wir einen gleichzeitigen Vorfall erwähnen, der einige Stockung und Verwirrung in den Geschäften hervorbrachte, und den vorzüglichsten Grund zu der nachherigen Erbitterung zwischen Oestreich und der Republik legte. Eine von dem Französischen Gesandten in Wien, Bernadotte, den 13. April 1798 vor seinem Hotel ausgehängte Französische Fahne verursachte einen Volksauflauf, der nicht zeitig genug gestillt wurde; und die groben Beleidigungen, welche Bernadotte von dem Pöbel erfuhr, gaben nicht allein zu dessen Entfernung, sondern auch zu heftigen Mißhelligkeiten zwischen der Wiener und Pariser Regierung Anlaß. Um diese beizulegen ohne die Geschäfte zu Rastadt zu unterbrechen, wurden zu [59] Selz, einem nahe gelegenen Französischen Städtchen auf dem linken Ufer des Rheins, besondere Conferenzen zwischen dem Exdirector François de Neufchateau und dem Grafen von Cobenzl seit dem 30. Mai 1798 gepflogen, deren vorzüglichster Zweck war, die Genugthnung auszumitteln, welche die in der Person ihres Gesandten beleidigte Französische Regierung erhalten sollte. Der genauere Inhalt der Conserenzen soll in dem Artikel Selz angegeben werden; hierher gehört nur so viel, daß Oestreich der Genugthunng beständig auswich, und im Gegentheil Materien zur Sprache brachte, die bloß vor den Congreß zu Rastadt gehörten. Da aber der Französische Botschafter keine Vollmacht hatte, sich auf dergleichen Punkte einzulassen; so gingen diese Separatconferenzen, nach 17 Zusammenkünften, schon am 6. Juli 1798 aus einander, und der Streit über die Setisfaction blieb unentschieden.

Wir betrachten nun die einzelnen Gegenstände der Unterhandlung, aus deren Menge wir jedoch nur die wichtigern ausheben können. – Man kam überein, der Deutschen und Französischen Nation die freie Schifffahrt auf dem Rheine zu gestatten, und alle Transitozölle an den Ufern dieses Stroms, sechs Monathe nach geschlossenem Frieden, aufzuheben. Der Besitz der Rheininseln wurde den Franzosen, welche sie alle ohne Ausnahme verlangt hatten, doch nur in so weit zugestanden, daß der Thalweg des Flusses, oder die Mitte des schiffbaren Theils, die Gränze machen, und daher alles, was rechts vom Thalwege liegt, dem Deutschen Reiche, aber alles links belegene der Republik gehören sollte. In Rücksicht der Zubehörungen geistlicher Stifte vereinigte man sich dahin, daß (ohne auf die Lage der Stifte selbst zu sehen) alle Zubehörungen auf dem rechten Rheinufer dem Deutschen Reiche, die auf dem linken hingegen der Republik zufallen sollten. Die Deputation versprach ferner innerhalb 3000 Toisen vom Rhein weder ein Lager zu halten noch Festungswerke anzulegen: auch entsagten beide Theile den Ansprüchen, die sie auf einzelne Gegenstände des Eigenthums oder der Landes- und Lehnshoheit in den Ländern des andern Theils hatten; und Deutschland that insbesondere Verzicht auf alle Rechte und Lohnshoheit in Italien, vorzüglich in der Cisalpinischen Republik (jedoch blieb der zuletzt erwähnte Punkt noch immer ein Gegenstand lebhafter Debatten). Eben so heftige [60] Zwiste erweckte das Verhältniß der auf dem linken Rheinufer ansäßigen unmittelbaren Deutschen Reichsritterschaft; denn Frankreich wollte deren sämmtliche Besitzungen anfänglich völlig einziehen, nachher aber ihnen dieselben zwar als Privateigenthum fernerhin gestatten, jedoch sollten sie allen Rechten, die sie als Reichsglieder oder vermöge der Landeshoheit und Lehnsverbindung hatten, entsagen. Da die Reichsdeputation dieses nicht zugab, vielmehr weitläuftigere Erörterungen begann, so erfolgte darüber zur Zeit noch kein entscheidendes Resultat. – Nicht minder schwierig waren die Unterhandlungen über die Schulden, welche auf den abgetretenen Ländern des linken Rheinufers hafteten. Frankreich wollte die ganze Last derselben auf diejenigen Reichslande wälzen, die den Ständen von der linken Seite des Rheins in Zukunft auf der rechten als Entschädigung angewiesen werden würden. Die Gesandten der Republik versprachen zwar nachher die Uebernahme der Schulden einzelner Districte und Gemeinden, wollten aber die von den Landesherren selbst oder zum Nutzen des ganzen Landes gemachten, so wie die wegen des fortdauernden Kriegs aufgelaufenen Schulden nicht tragen; und es kam auch hier zu keiner festen Uebereinkunft. – Die Franzosen forderten nun sogar neue, außerhalb der ihnen als Friedensbasis eingeräumten Rheingränze gelegenen Landesstriche: sie verlangten nehmlich, um diese Gränze zu sichern, Cassel bei Mainz nebst den Festungswerken, die Petersaue (eine Rheininsel bei Mainz), die Festung Kehl, und funfzig Morgen Landes der ehemahligen Hüninger Brücke gegenüber; auch sollte Ehrenbreitstein zwar dem Reiche hinfort zugehören, aber geschleift werden. Nach langwierigem Notenwechsel kam man endlich dahin überein, daß, wenn anders die Französischen Truppen das rechte Rheinufer verließen und die Belagerung von Ehrenbreitstein aufhüben, letzt gedachter Platz nach dem Frieden geschleift und die Petersaue an die Franzosen abgetreten werden, Cassel und Kehl aber, jedoch nach geschleiften Festungswerken, dem Reiche verbleiben solle. Da nun Frankreich die angezeigten Bedingungen nicht erfüllte, so mangelte es auch hier an einer festen Bestimmung für die Zukunft.

Noch gab es einige Streitpunkte, die auf dem Congreß nicht entschieden werden konnten, weil die Rechte fremder Staaten dabei ins Gedränge kamen. Es sind folgende:

[61] 1) Die Republik forderte die Büdericher Insel im Rhein bei Cleve, erhielt sie aber nicht, weil der König von Preußen als Herr derselben sich der Abtretung widersetzte.

2) Der Zoll zu Elsfleht am Ausflusse der Weser, im Herzogthum Oldenburg, sollte für Französische Schiffe aufgehoben werden. Da jedoch der herzogliche Gesandte dagegen einwandte, daß an Oldenburg die Kronen Dännemark, Schweden und Rußland Erbrechte hätten, und man also, ohne Rücksprache mit ihnen zu nehmen, nichts verfügen dürfe; so konnte Frankreich auch hier nichts ausrichten.

3) Eben so verlangte die Republik das Frickthal, oder einen kleinen Landesstrich in Schwaben, bei Rheinfelden auf der linken Seite des Rheins, der vom Dorfe Frick den Namen hat, und durch den angränzenden Schweizer Canton Basel von Frankreichs Gränzen getrennt wird. Der Rechtsgrund ihrer Ansprüche lag in der Abtretung des linken Deutschen Rheinufers; allein die Reichsfriedens-Gesandten erwiederten, daß zu Folge der ausdrücklichen Worte der Französischen Noren bloß solche Länder, die unmittelbar an Frankreich gränzten, abgetreten worden waren, und daß über dieses das Frickthal dem Kaiser gehörte. Es kam daher hierüber zu keiner Entscheidung: denn die Reichsdeputation wußte nichts von den geheimen Artikeln zu Campo Formio; und der Kaiser hielt es nicht für gut, dem immer weiter greifenden Französischen Directorium nachzugeben. Endlich kamen auch verschiedene Landesverhältnisse zur Sprache, ohne daß etwas ausgemacht wurde, weil die Franzosen dem Vorschlage der Deutschen Deputirten, nach völlig beendigtem Friedensgeschäfte einen Handelstractat abzuschließen, auszuweichen suchten. Eben so blieben die Friedensprojecte, welche der Directorialgesandte, Freiherr von Albini, und nachher die Gesandtschaft von Bremen zur Beschleunigung der Unterhandlungen entworfen hatten, ganz ohne Erfolg.

Bei diesen Fortschritten der Unterhandlung sah man im Herbste 1798 dem Frieden und dem Anfange der Säcularisationen entgegen, als plötzlich Frankreichs politischer Horizont sich fürchterlich schwärzte. Nelson siegte nehmlich am 1. August 1798 zur See bei Abukir; die Pforte erklärte der Republik den Krieg; Rußland und Neapel unternahmen furchtbare Rüstungen; Oestreich ruckte in Graubünden ein; der Geist der Empörung entglomm in den neuen Filialrepubliken, in Belgien und in der Vendee. [62] Des Feindes Unglück gab der Reichsdeputation neue Energie und mehr Muth, sich seinen fortschreitenden Anmaßungen zu widersetzen. Allein Frankreich, weit entfernt, sich schrecken zu lassen, verdoppelte seine Strenge, und suchte den Ausgang der gesammten Unterhandlungen durch ein Wagstück zu entscheiden. Es übergab daher am 6. December (16. Frimaire) 1798 sein Ultimatum (d. h. die letzte oder alles entscheidende Note, von deren Bewilligung oder Verwerfung die Fortdauer oder Trennung des Congresses, mithin Friede oder Krieg, abhing). Der Inhalt desselben war vorzüglich folgender: Die Emigrationsgesetze sollten bloß in Bezug auf die abgetretenen Provinzen ohne Anwendung bleiben; die Blockade von Ehrenbreitstein, die Besetzung der Länder auf dem rechten Rheinufer, und die Requisitionen und Contributionen in eben diesen Gegenden sollten erst nach dem Frieden aushören; und die Deputation sollte in Rücksicht der Schuldenübernahme, des Schicksals der Reichsritterschaft und der Ansprüche auf Italien keine weitern Vorstellungen machen, sondern es bei den oben erwähnten Aeußerungen der Französischen Gesandtschaft beruhen lassen. Dieser kühne Schritt verfehlte die gehoffte Wirkung nicht: denn der Congreß bewilligte, um den Ausbruch eines neuen Kriegs zu verhüten, am 10. December alle Punkte des Ultimatums; und die Minister der Republik forderten nun am 12. December die Reichsdeputation auf, das Säcularisationsgeschäft anzufangen. Allein neue Ereignisse entfernten die Hoffnung zum Frieden; und hierher gehören theils die Fortschritte der Französischen Waffen in Neapel zu Ende des Jahrs 1798 und zu Anfang des folgenden, theils die Uebergabe der Festung Ehrenbreitstein am 24. Januar 1799, welche sich, nachdem alle Gegenvorstellungen der Deutschen und Preußischen Gesandten von den Französischen Ministern (unter dem Vorwand, die Sache gehöre nicht für ihr Forum, sondern für das Militairdepartement) zurückgewiesen worden waren, aus gänzlichem Mangel an Lebensmitteln ergeben mußte. Die vorzüglichste Störung der Unterhandlungen, eine Störung, die endlich ihren gänzlichen Bruch zur Folge hatte, veranlaßte der Marsch der Russischen Truppen, welche schon im Spätjahr 1798 in den kaiserlichen Erblanden dicht an Deutschlands Gränzen, in zahlreichen Heeren, zum Kampfe gerüstet standen, und mit jedem Augenblicke bereit [63] schienen, in dasselbe als Bundesgenossen einzurücken. Diese Annäherung eines neuen Feindes, verbunden mit den Erklärungen des Kaisers, Pauls I. zum Vortheil der Deutschen Friedensdeputation, bewog die Französische Regierung, am 2. Janur 1799 durch ihre Gesandten eine Note übergeben zu lassen, worin sie erklärten, daß, wofern der Reichstag in den Einmarsch der Russen auf das Deutsche Gebiet einwilligte, oder sich demselben nicht widersetzte diese Handlung als eine Verletzung der Neutralität anzusehen sei. Sie fügten hinzu, daß bis zu Ertheilung einer befriedigenden Antwort alle fernere Unterhandlungen abgebrochen sein, und wenn diese Antwort ausbliebe, alle diejenigen Verhältnisse, die vor dem Waffenstillstande zu Leoben eristirten, mithin neue Feindseligkeiten, wieder eintreten sollten. Der Congreß wandte sich sogleich an den Reichstag; und da dieser erklärt hatte, daß an ihn wegen des Durchzugs der Russischen Armeen noch gar keine legale Anzeige oder Aufforderung ergangen sei. so machte die Deputation solches den Französischen Botschaftern am 26. Januar bekannt. – Allein die Französischen Gesandten waren mit dieser Antwort noch nicht zufrieden; viel mehr hatten sie am 31. Januar den Kaiser mit Krieg bedroht, wenn er innerhalb 15 Tagen nicht völlig bestimmt erklärte, daß die Russen sein Gebiet räumen würden, und daß er schon die nöthigen Befehle dazu gegeben habe. Dieses Betragen, verbunden mit den Rüstungen am Rhein, in der Schweiz und in Italien, ließ keinen Zweifel übrig, daß das Französische Directorium nichts eifriger wünsche, als den Ausbruch eines neuen Krieges; und wirklich rückten die Truppen der Republik, da der Kaiser über die Russische Angelegenheit ein fortdauerndes Stillschweigen beobachtete, am 1. März 1799 über den Rhein in das Reichsgebiet, bei Kehl, ein. Eine Proclamation des Directoriums machte zwar kund, daß man nicht im geringsten gegen das Deutsche Reich, sondern bloß gegen Oestreich die Waffen ergreife, gab das Vorrücken der republikanischen Heere bloß für eine durch Oestreichs Verfahren abgedrungene Sicherheitsmaßregel aus, und versprach dem Reiche (jedoch nur unter der Voraussetzung, daß es über den Marsch der Russen sich befriedigend äußern würde) die Fortsetzung des Friedensgeschäfts. Aber alle diese Versprechungen waren nur leere Worte; denn Deutschland erlag aufs neue unter der Last des Kriegs. Die dringenden[64] Bitten des Congresses an den Kaiser, die Erklärung des Reichstags so viel als möglich zu beschleunigen, blieben ohne Wirkung; ja es wurde sogar der Französische Geschäftsträger am Reichstage, Bacher, am 10. März vom Erzyerzog Carl, Oberbefehlshaber der Oestreichischen Truppen, aus Regensburg verwiesen, und der Kriegsschauplatz auch in Italien und der Schweiz eröffnet. Ein kaiserliches Commissionsdecret, das am 7. April zu Rastadt publicirt wurde, entzog sogar den sämmtlichen Zusicherungen des Congresses ihre bisherige Rechtskraft, und stellte alles in den Zustand her, worin es vor den Präliminarien zu Leoben gewesen war. Der ganze Congreß war nunmehr als aufgelöst anzusehen; und bald darauf entfernten sich alle Gesandte des Kaisers, denen nachher viele einzelne Deutsche Abgeordnete folgten. Ein Reichsgutachten zu Regensburg vom 12. April, welches die schon oben angeführte Erklärung wegen der Russen wiederhohlte, und die ganze Sache, so wie die fernere Sicherung Deutschlands und Abwendung des Kriegs völlig dem Kaiser überließ, kam viel zu spät, als daß es Erneuerung der Unterhandlungen hätte bewirken können. Selbst der Ort des Congresses verlor durch die siegreichen Fortschritte der kaiserlichen Heere seine bisherige Sicherheit; denn die Szekler Hußaren (ein Ungarisches Corps), unter dem Commando des Obersten Barbaczy, streiften bis vor die Thore von Rastadt, hoben am 19. April die Communication der Gesandten mit Frankreich durch Abschneidung der Rheinfähre bei Plittersdorf gewaltsam auf, und hielten an dem nehmlichen Tage den Würzburgischen Gesandten, Grafen von Stadion, an, den sie seiner Papiere beraubten. Barbaczy, bei welchem darüber von dem Mainzer Directorialgesandten Beschwerde geführt wurde, antwortete schriftlich am 22. April aus seinem Hauptquartier zu Gernsbach, Rastadt sei kein Ort der Sicherheit mehr, und müsse sich den Gesetzen des Kriegs fügen. Die Reichsdeputation, gezwungen einen völlig unsichern Aufenthaltsort zu verlassen, erklärte sich hierauf durch ein Conclusum vom 23. April für suspendirt, und machte ihren vorstehenden Abgang den Französischen Gesandten bekannt; und auch diese, die bisher zu Folge der Befehle des Directoriums Rastadt nicht eher verlassen wollten, als bis entweder die äußerste Gewalt oder die gänzliche Auflösung des Congresses sie dazu nöthigen [65] würde, machten nun ebenfalls Anstalten zur Abreise. Sie protestirten in ihrer allerletzten Note vom 25. April gegen die gestörte Ruhe des Congresses als gegen eine völkerrechtswidrige Handlung, und erklärten, daß sie in drei Tagen abreisen, jedoch in Strasburg die Wiederanknüpfung der Friedenstractaten erwarten würden. So endigte sich jener merkwürdige Congreß, welcher, wenn er zu Stande gekommen wäre, das Deutsche Reich umgeformt, die politischen Verhältnisse Europaʼs völlig umgeändert und, gleich dem Westphälischen Frieden, eine neue Epoche in der Geschichte begründet haben würde. Alle Hoffnungen, den längst erwünschten Frieden wieder hergestellt und die Stürme der Revolution besänftigt zu sehen, verschwanden vor der eben so schrecklich als vorher auflodernden Flamme Zwietracht; und ein neuer Krieg, der auf nichts weniger als auf gänzliche Vertilgung abzuzwecken schien, wurde durch den stolzen Uebermuth und Blutdurst des Directoriums und durch die Rüstungen der Alliirten herbeigeführt.

Eben so tragisch und schauderhaft war auch das endliche Schicksal der Französischen Gesandten, Männer, die wegen ihres vortrefflichen persönlichen Charakters, den man vorzüglich an Roberjot schätzte, mit Recht das aufrichtigste Interesse verdienen. Das Ereigniß ist zu merkwürdig, als daß wir es nur mit einigen Worten abfertigen sollten. – Die am 25. April durch die Szekler Hußaren geschehene Arretirung eines Französischen von Rastadt abgeschickten Couriers und die Wegnahme seiner Papiere, so wie die ganz fruchtlose Verwendung der Deutschen und Französischen Gesandten für dessen Befreiung und Zurückgabe der Papiere nöthigten die Minister der Republik, ihre Abreise so sehr als möglich zu sichern, und sich mit Pässen von dem Directorialgesandten, Freiherrn von Albini, zu versehen. Der zu derselben bestimmte dritte Tag, der 28. April, erschien; schon früh um 8 Uhr war alles zur augenblicklichen Abfahrt bereit; bloß die Zögerungen Barbaczyʼs hielten sie noch bis auf den Abend auf. Denn dieser, anstatt Albiniʼs Anfrage, »ob er die Gesandten, wenn sie mit Pässen von ihm versehen wären, sicher wegziehen lassen würde?« zu beantworten, ließ Abends die Thore mit 50 Hußaren unter den Befehlen des Rittmeisters Burkhard besetzen, und Letzterer versicherte, daß er keinen einzigen Mann von der Deutschen oder Französischen Gesandtschaft [66] durchlassen könne: zugleich aber wurde den Botschaftern der Republik zwischen 7 und 8 Uhr durch ein Piquet Szekler Hußaren angedeutet, daß sie Rastadt verlassen müßten, und nur 24 Stunden Zeit zur sichern Abreise hätten. Ehe nun die hiermit im Widerspruch stehende Erklärung des Rittmeisters in Rucksicht der Französischen Gesandten abgeändert und diesen Erlaubniß zur Reise gegeben wurde, brach die Nacht schon ein: auch waren alle Bemühungen des vortrefflichen markgräflich Badenschen Majors von Harrant, ihnen bei dem Rittmeister eine Escorte auszuwirken, vergeblich; und jener Rittmeister antwortete ihm bloß, daß sie sicher und ohne Gefahr bis über den Rhein gelangen könnten. Alles Bitten der Deutschen Gesandten, den folgenden Tag abzuwarten, um den Gefahren der Nacht auszuweichen, konnte die Französischen Minister nicht zum Aufschube ihrer Reise bewegen; und sie traten dieselbe wirklich noch zwischen 9 und 10 Uhr, in einer finstern Regennacht, in Begleitung der Ligurischen Gesandtschaft an. Sie fuhren zusammen in 8 Wagen mit markgräflich Badenschen Hofkutschern und Postillions ab; jeder der drei Minister hatte einen Wagen für sich, und eine Fackel leuchtete voran. Kaum waren sie etwa 200 Schritt von der Vorstadt nach Plittersdorf zu gefahren, als sie von einem starken Trupp Reiter, in die Uniform der Szekler Hußaren gekleidet, angefallen wurden. Diese Ungeheuer fragten die drei Minister einzeln nach ihren Namen; und als diese sich genannt hatten, zerrissen sie die vorgezeigten Pässe des Freiherrn von Albini, zerrten die bestürzten Minister mit wildem Ungestüm aus dem Wagen heraus, ermordeten Roberjot mit 18, und Bonnier mit 6 Wunden auf die grausamste Art, ließen ihre Leichname, nach geschehener Plünderung, auf der Landstraße liegen, und würden auch Jean Debry umgebracht haben, wenn er sich nicht, nach einigen empfangenen leichten Wunden, todt gestellt und nach Entfernung der Mörder in den Wald geflüchtet hätte. Den übrigen Personen der Gesandtschaft und den Kutschern widerfuhr nicht das geringste Leid; man gab ihnen sogar zu verstehen, daß sie ohne Furcht sein könnten, und raubte bloß einige Gelder und Kostbarkeiten deßgleichen, wie Jean Debry in einem weiter unten anzuführenden Schreiben versicherte, einige Gesandtschaftspapiere. In der schrecklichsten Todesangst verweilte nun die Gesandtschaft in ihren Wagen die ganze [67] Nacht hindurch auf dem Schauplatze des Mords, bis endlich der Major von Harrant mit einer Escorte herbeieilte, die er nur mit größter Mühe vom Rittmeister Burkhard hatte erlangen können Er entriß die Wagen den Händen der sie umgebenden Szekler Hußaren, die eben im Begriff waren, sie als Beute abzuführen, und brachte sie nebst dem ganzen Personale bei Tagesanbruch in die Stadt. Kaiserliche Truppen nahmen sogleich die Kutschen in Beschlag, und sandten sie, nachdem sie alle Papiere herausgenommen hatten, mit den übrigen darin vorhandenen Sachen zurück. Man ließ die zur Gesandtschaft gehörigen Personen wieder in ihre Wohnung gehen, und die sämmtlichen noch anwesenden Deutschen Gesandten nahmen sich ihrer, besonders der unglücklichen Gemahlin Roberjots, mit der thätigsten Menschenliebe an. Auch Jean Debry, der sich während der Nacht auf einem Baume versteckt hatte, kam am folgenden Morgen heimlich und unerkannt von den Oestreichischen Thorposten in die Stadt. Während der Nacht hatte sich Harrant, der ihn trotz aller angewandten Mühe nicht finden können, bei dem Dorfschulzen zu Rheinau nach ihm erkundigt, und erfahren, daß Oestreichische Hußaren ihm aufgetragen hätten, denselben, wenn er ihn finden sollte, nicht nach Rastadt zurückzubringen, sondern entweder ihnen zu überliefern, oder auf einem von ihnen bezeichneten Wege um Rastadt herum nach Mückensturm abzuführen. Die Deutschen Abgeordneten ersuchten den Obersten Barbaczy um eine Escorte zur sichern Abreise der Franzosen; dieser gab sie sogleich, den 29. April, und erklärte sich in einem Antwortschreiben auf eine für die noch übrigen Gesandtschaftspersonen völlig beruhigende Art, die ihn für seine Person von aller Theilnahme an der abscheulichen Handlung freispricht. Um 1 Uhr Nachmittags reisten sie auch wirklich nebst dem Ligurischen Gesandten mit einer aus Oestreichischen und Badenschen Reitern bestehenden Sicherheitswache ab, und kamen glücklich über den Rhein. Die noch anwesenden Deutschen Deputirten, namentlich die von Preußen, Dänemark, Großbritannien, Hessencassel, Hessendarmstadt, Nassau, den Wetterauischen und Westphälischen Grafen und der Reichsritterschaft, gingen nun auch bald ab, setzten aber zu Carlsruhe, der markgräflich Badenschen Residenz, am 1. Mai einen gemeinschaftlichen und auf Thatsachen gegründeten Bericht an den Erzherzog [68] Carl auf, aus welchem die hier erzählten Umstände entlehnt sind. Dieser antwortete schriftlich am 4. Mai, daß er die Sache schon aufs strengste untersuchen lasse, und. im Fall Soldaten von seinem Heere, namentlich von den Szeklern, schuldig befunden werden sollten, die vollkommenste Genugthuung öffentlich geben wolle, leistete auch eben dieses Versprechen dem damaligen Obergeneral der Französischen Armee, Massena, in einem Schreiben vom 2. Mai. Er setzte sogleich ein Kriegsgericht unter der Direction des Generals von Spork gegen die Szekler nieder; es wurde aber bei der Visitation derselben weder Geld noch Kostbarkeiten, die der Französischen Gesandtschaft gehören konnten, gefunden, und überhaupt nichts entdeckt, welches einen hinreichenden Verdacht begründet hätte. – In Paris erregte der Gesandtenmord, welcher durch ein Schreiben Jean Debryʼs (aus Strasburg vom 1. Mai) an den Minister Talleyrand bekannt wurde, das gewaltigste Aufsehen. Das ganze gesetzgebende Corps der Fünfhundert brach, als am 5. Mai eine Botschaft des Directoriums über den Vorfall anlangte, in die gräßlichsten Verwünschungen gegen Oestreich aus, beschuldigte die kaiserliche Regierung, ohne allen Beweis, der Anstiftung des Mords, und beschloß einmüthig, die blutigste Rache zu nehmen. – Der Kaiser zeigte sein eifriges Bemühen, die Meuchelmörder zu entdecken, durch ein an den Reichstag geschicktes Hofdecret vom 6. Juni, worin er denselben aufforderte, einigen seiner Mitglieder die strengste und parteiloseste Untersuchung zu übertragen, und zugleich die auffallendste Genugthuung versprach. Allein der Reichstag übertrug, nach gehaltenen Berathschlagungen der drei Collegien, in einem Reichsgutachten vom 9. August die ganze Untersuchung unbedingt dem Kaiser. Dabei ist es auch bis jetzt geblieben. Der Zukunft ist es vorbehalten, den Schleier zu heben, der jene Untersuchung deckt. Noch schwebt dicke Racht über den ganzen Vorfall; selbst die Hauptumstände sind noch zu wenig erörtert, als daß man Resultate, die sich auf etwas mehr als auf bloße Wahrscheinlichkeit gründeten, daraus zu ziehen im Stande wäre. Was hier davon gesagt werden wird, ist daher ebenfalls nichts als Muthmaßung; und wir wollen, zu Folge des Inhalts der merkwürdigsten darüber erschienenen Schriften und Nachrichten, erstlich die Gründe anführen, welche wider die Szekler Hußaren als Urheber des Mords aufgestellt worden sind, dann [69] die Beweise beibringen, welche das Haus Oestreich gänzlich freisprechen, und endlich den Argwohn berühren, welchen man deßhalb auf das ehemahlige Französische Directorium geworfen hat. Die wahrscheinlichste Meinung ist bisher immer noch diese, daß wirklich Szekler Hußaren den Mord begangen haben, und daß derselbe nicht Werk des Zufalls, sondern Folge eines Plans war, daß aber der Wiener Hof die Thäter nicht im geringsten unterstützt oder dazu bewogen habe. Vielmehr war die Triebfeder dazu entweder Plünderungssucht, oder Rache an den Gesandten eines als Königsmörder verschrieenen Volks, oder wilde Rohheit und verkehrter Diensteifer, vielleicht auch persönlicher Haß gegen die Schlachtopfer selbst, oder endlich eine annoch unbekannte und erst in der Folge aufzuklärende geheime Machination gewisser Parteien. Der Beweis für diese Vermuthung und gegen die Szekler wird gewöhnlich aus den Hindernissen, die man der Abreise der Gesandten in den Weg legte, aus der verursachten Verzögerung derselben bis zu Anbruch der Nacht, und aus der Verweigerung der Escorte hergenommen. Allein, wenn man bedenkt, daß Rastadt damahls nach den Gesetzen des Kriegs beurtheilt wurde, daß die Oestreicher wirklich wegen eines ausgestreuten Gerüchts einen sehr nahen Ueberfall der Franzosen befürchteten, und Barbaczy schwerlich vermuthen könnte, daß die Gesandten bei Nacht wegreisen würden, da er ihnen noch 24 Stunden Zeit verwilligt hatte; so läßt sich hieraus kein triftiger Grund hernehmen. Jedoch sind treffendere Beweise vorhanden. Denn Jean Debry und alle vom Mordplatze geflüchtete Personen der Gesandtschaft sagen ausdrücklich, daß es Szekler Hußaren gewesen wären, die sie überfielen: die Badenschen Kutscher und Postillions, welche die Gesandten fuhren, geben in dem mit ihnen gehaltenen Verhör die Szekler ebenfalls als Mörder an; und einer derselben will sogar ein Ungarisches Commando gehört haben. Hierzu kommt der Umstand, daß der Rittmeister Harrant am folgenden Morgen die Wagen der Gesandten von Szeklern umringt fand, und die oben angeführte Aussage des Dorfschulzen zu Rheinau. Ferner führen theils Barbaczy, theils der Erzherzog Carl in ihren deßhalb erlassenen Schreiben die damahls bei Rastadt stehenden Hußaren als Mörder an. Barbaczy schrieb nehmlich am Tage nach der That an die Deutschen Gesandten, »er bedaure aufrichtig, daß [70] der Mord durch einige raubsüchtige Gemeine seines Commandoʼs begangen worden sei;« auch der Erzherzog meldete dem General Massena in dem oben gedachten Schreiben vom 2. Mai, »daß die Gesandten innerhalb der Vorpostenlinie durch die Hußaren angegriffen worden wären,« und drückte sich in einer an eben diesem Tage nach Regensburg geschickten Anzeige mit folgenden Worten aus: »daß, vermöge erhaltenen Rapports von den Szeklern, die Gesandten von den Vorposten zusammengehauen worden wären, allein die Art und Weise sich noch nicht deutlich ergäbe.« Es war also gleich nach Begehung der Frevelthat bei der Obrigkeit der Szekler selbst, der niedern sowohl als der höhern, kein Zweifel vorhanden, daß diese die Mörder waren; und bloß die Art und Weise des Ueberfalls oder die nähern Umstände waren noch unbekannt. Daß Jean Debry auf Französisch nach seinem Namen gefragt worden war, benimmt dieser Behauptung ihren Grund nicht: denn ein einzelner Szekler konnte leicht diese wenigen Worte nach langen Kriegsdiensten gelernt haben; auch konnten vielleicht Emigranten oder schlechtgesinnte Leute als Theilnehmer sich zu ihnen gesellt haben. Doch fehlt noch sehr viel, um diese Vermuthung zur Gewißheit zu erheben: denn die Mordnacht war sehr dunkel, und der Fackelschein nicht hinreichend, um die ohnehin äußerst erschrockenen Begleiter der Gesandten deutlich zu überzeugen, daß die Meuchelmörder mirklich Szekler waren; auch wurden die Kutscher nicht genau genug, sondern bloß summarisch vernommen; und die zu Rastadt verbreiteten Gerüchte, daß Szekler kurz nach der That daselbst Uhren und Pretiosen verkauft haben sollten, und einer derselben, gerührt über den Anblick des Leichenzugs der Gesandten, in einem Wirthshause sich als Roberjots Mörder bekannt habe, sind nicht actenkundig, und gehören ganz in das Gebiet der unbewiesenen Sagen. – Daß aber das Haus Oestreich so wie der commandirende Erzherzog an dem Gesandtenmord nicht den entferntesten Antheil haben, dafür sprechen die überzeugendsten Beweise. Denn wer erkennt nicht Oestreichs völlige Unschuld aus den eben erzählten freimüthigen Anführungen des Erzherzogs und Barbaczyʼs wider die Szekler? und wer sieht nicht aus dem Hofdecret vom 6. Juni, daß dem Kaiser an einer unparteiischen Untersuchung außerordentlich viel gelegen war? Noch andere Gründe vereinigen sich, um Oestreichs völlige Unschuld [71] darzuthun. Denn zu geschweigen, daß der Hauptzweck Oestreichs nur darin bestanden haben könnte, sich der geheimen Correspondenz und der Verhandlungen der Gesandten zu versichern (ein Zweck, der leichter und mit viel wenigerm Aufsehen, als durch eine so empörende Frevelthat erreicht werden konnte): so würde Oestreich durch den Mord nicht nur alle Franzosen aufs heftigste erbittert und zu den äußersten Anstrengungen, ja sogar zu einem Vertilgungskriege gereitzt, sondern auch seine Bundsgenossen, die Glieder des Deutschen Reichs, und den bessern Theil seiner Truppen von sich abwendig gemacht haben; mit einem Worte, es hatte von der Handlung beinahe gar keinen Nutzen zu hoffen, aber einen unausbleiblichen und fast unübersehbaren Schaden zu befürchten. – Die Gründe, welche man angeführt hat, um die ehemahligen Directoren zu Anstiftern des Mords zu machen, sind ebenfalls weder hinlänglich noch mit Beweisen unterstützt, und würden erst dann, wenn letztere beigebracht wären, wahre Aufmerksamkeit verdienen. Sie sind vorzüglich in einer Flugschrift enthalten, welche den Titel führt: Auteurs de lʼaffreux assassinat des ministres de la Republique Françoise, à Rastadt, ohne Druckort 1799, und die Behauptungen des Verfassers sind folgende: Die Directoren Barras und Reubel, die hauptsächlichsten Urheber des erneuerten Kriegs und geschworne Feinde ihrer zum Frieden geneigten Collegen, Treilhard und Merlin, haßten die Gesandten zu Rastadt, welche Freunde des Friedens waren, aber denselben wegen der strengen Befehle des Directoriums nicht bewirken konnten; besonders aber traf dieser Haß Roberjot, einen Freund Treilhards. Sie wollten theils die geheime Correspondenz Treilhards, Merlins und Roberjots in ihre Hände spielen, theils die Schuld des nicht geschlossenen Friedens von sich abwälzen und auf die Botschafter schieben, theils endlich neue Händel mit Oestreich anspinnen, und zugleich den erkalteten Enthusiasmus des Volks plötzlich entflammen. Um alle ihre Zwecke auf einmahl zu erreichen, veranlaßten sie durch einen schlechten Menschen, Namens Lemaire, den sie als Courier und geheimen Unterhändler in Rastadt brauchten, jene Mordscene, bei welcher selbst Bonnier (ungeachtet er ein Freund von Barras war) als Opfer fallen mußte, damit kein Verdacht auf die wahren Urheber der That fallen könnte. Uebrigens wurde bei der [72] Ermordung selbst alles so klug eingeleitet, daß auf den ersten Anschein dem Wiener Hofe alles, den beiden Directoren aber gar nichts zur Last fiel; und bloß der Umstand, daß Jean Debry in Französischer Sprache nach seinem Namen gefragt wurde, verrieth es, daß Franzosen die Rolle der Mörder übernommen hatten. Allein nicht zu gedenken, daß alle diese Beschuldigungen des namenlosen Anklägers völlig unerwiesen sind, ob sie gleich einigen Schein für sich haben, und Barras und Reubel durch mancherlei andere schlechte und zweideutige Handlungen bekannt genug sind; so läßt es sich auch bei genauerer Erwägung der Lage der Sachen kaum denken, daß das Directorium im Stande gewesen sein sollte, jenen Mord zu veranstalten. Denn Rastadt war schon zwei Wochen hindurch von Oestreichern umgeben; die Franzosen standen viele Meilen weit entfernt: und da, bei Tage und bei Nacht, unzähliche kaiserliche Patrouillen die ganze Gegend durchstreiften; so konnte sich ein so starker Trupp von Franzosen, als zur Ermordung nöthig war, unmöglich so nahe bei der Stadt unbemerkt aufhalten. Und selbst ihre Umkleidung in Szekler Uniform würde sie weit weniger als ein verborgener Aufenthalt in der Nähe mit Vermeidung aller militairischen Zeichen, vor der Gefahr der Entdeckung geschützt haben. Auch war, nach den Urtheilen sachkundiger Männer von der Gesandtschaft, Lemaireʼs Wirkungskreis viel zu unbedeutend, als daß er eine so wichtige That hätte bewirken können. – Zum Schluß des ganzen Artikels, der wegen der ungemeinen Wichtigkeit des Congresses einer der größten im ganzen Werke werden mußte, bemerken wir noch die besten und weitläustigsten Schriften über den Congreß. Sie sind: Handbuch des Congresses zu Rastadt. Leipzig, bei Roch und Weigel, 1799, in drei Theilen in 8. – Geheime Geschichte der Rastadter Friedensverhandlungen, in Verbindung mit den Staatshändeln dieser Zeit, von einem Schweizer, 6 Theile, Germanien, 1799, 8. – Protocoll der Reichsfriedens-Deputation zu Rastadt, sammt allen Beilagen. Herausgegeben vom Freiherrn von Münch, Churmainzischen Hof- und Regierungsrathe und Directorialsecretair bei dem Rastadter Congresse, 6 Theile, Rastadt, bei Sprinzing, 1799. – Alle diese Werke enthalten nebst der Geschichte eine sehr reichhaltige Sammlung von Urkunden, und sind für den Geschichtsforscher von entschiedenem Werthe.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 4. Amsterdam 1809, S. 54-74.
Lizenz:
Faksimiles:
54 | 55 | 56 | 57 | 58 | 59 | 60 | 61 | 62 | 63 | 64 | 65 | 66 | 67 | 68 | 69 | 70 | 71 | 72 | 73 | 74
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Fantasiestücke in Callots Manier

Fantasiestücke in Callots Manier

Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht

282 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon