Stifte

[395] Stifte heißen solche Gemeinheiten (Corporationen) in einem Staate, deren Glieder nicht allein zu einem gemeinschaftlichen Leben, sondern auch zugleich zu Erreichung irgend eines bestimmten Zweckes, welcher entweder Religion, oder sonst etwas, zum Gegenstande haben kann, sich vereinigten. Sie sind denn nun, nach der Absicht ihrer Glieder, entweder weltliche oder geistliche Stifte. Der Zweck der erstern kann mannigfaltig sein, z. B. Unterricht und Unterhalt bis zu bestimmten Jahren; meist aber besteht er darin, daß die Glieder eine ihrem Stande angemessene und anständige Versorgung in solchen erhalten. (In dieser Absicht sind das Magdalenenstift in der Stadt Altenburg, ingleichen das Stift Joachimstein zu Radmeritz in der Oberlausitz, zwischen Zittau und Görlitz, für adeliche Fräuleins vorhanden, und diese in beiden sehr gut und standesmäßig versorgt, so lange sie wollen, und so lange sie sich nicht verheirathen.) – Mehrere dieser weltlichen Stifte, bei welchen man weder Spuren des Klosterlebens, noch irgend einer geistlichen Gemeinheit entdecken wird, sind ohne Zweifel unter den Protestanten aus ehemahligen Klöstern entstanden, oder doch zum wenigsten aus den Gütern eingezogener Klöster großen Theils präbendirt worden, ob sie gleich auch noch aus andern Quellen, entweder von Landesfürsten, oder von bloßen Privatleuten, ihre Fonds erhalten haben (wie z. B. das oben genannte Stift Joachimstein [395] einzig und allein der adelichen Familie von Ziegler und Klipphausen seine Existenz zu verdanken hat). Indessen ist hier, da die Anzahl der weltlichen Stifte bei weitem geringer, auch ihr Zweck nicht so weit umfassend ist, als der der geistlichen, hauptsächlich die Rede von den letztern, über welche wir etwas Näheres angeben wollen.

Der Zweck aller geistlichen Stifte ist Religion, sei es, daß die Handlung der Glieder entweder bloß dem Handelnden nutzt, oder daß auch zugleich Andere, die nicht zu der das Stift ausmachenden Gesellschaft gehören, Nutzen aus der Handlung schöpfen. Sie lassen sich, ihrem Range sowohl, als ihrer Bestimmung nach, abtheilen: 1) in bloße Stifte, 2) in Hochstifte, und 3) in Erzstifte. Zu der erstern und niedrigsten Classe gehören die Klöster. Von diesen muß man ausgehen, wenn man von den Stiften sowohl, als den übrigen Klassen, eine deutliche und richtige Vorstellung haben will. – Die Klostergesellschaften sind solche Gemeinheiten von Personen männlichen oder weiblichen Geschlechts, welche sowohl gemeinschaftlich bei einander leben, als auch zu bestimmten Stunden des Tages in ihren bei den Klöstern befindlichen Kirchen einstimmige Andachtsübungen durch Beten und Singen, nach einer gewissen Regel oder Vorschrift, öffentlich halten müssen. Diese Klosterglieder nun, Mönche und Nonnen genannt, sind als solche, im strengen Sinne genommen, nicht Geistliche, und haben daher auch nichts mit der Verwaltung der Sacramente zu thun, können nicht einmahl beim Gottesdienst den Segen sprechen u. s. w., gehören jedoch mit zu den kirchlichen Personen, weil ihr Beruf Religionsübungen bezweckt. Doch ist es in der katholischen Kirche sehr oft der Fall, daß Mönche sich auch ordiniren lassen, und alsdann wie Geistliche auch alle jene Verrichtungen ausüben können. – Daß das christliche Klosterwesen als ein sehr altes Institut schon 305 von dem heiligen Antonius gebildet; daß nachher von Pachomius für abgesonderte Häuser gesorgt worden; daß endlich der heilige Benedict 519 auf Monte Cassino im Neapolitanischen den nach ihm benannten Benedictinerorden nach einer gewissen festgesetzten und unabänderlichen Regel, nach welcher in der Folge der Zeit fast die meisten Klosterorden eingerichtet worden, [396] gestiftet habe, das ersieht man näher aus dem Artikel Mönchswesen, Th. 3, S. 151 ff. In Deutschland begünstigte im achten Jahrhundert der Erzbischof zu Mainz, Bonifacius, das Klosterwesen außerordentlich, so, daß durch seine Bemühungen die Anzahl und das Ansehen der Mönchs- und Nonnenklöster ganz außerordentlich, und mehr als in irgend einem christlichen Staate, anwuchs; denn wohl nirgends, als in Deutschland, ist es den Klöstern gelungen, über ihre Klosterbesitzungen eine vollkommene Landeshoheit sich zu verschaffen.

In Hinsicht auf Deutschland nun lassen sich sowohl die Mönchs- als Nonnenklöster in unmittelbare und in mittelbare abtheilen. Jene genossen bis zum Lüneviller Frieden über ihre Besitzungen eine vollkommene Landeshoheit: die Fürsten regierten, den andern Deutschen Fürsten gleich, ihre Unterthanen unmittelbar, hatten auf dem Reichstage im Fürstenrathe unter den Prälaten Sitz und Stimme, und waren mit einem Worte Landesherren; sie hielten Hof und Hofstaat, besonders diejenigen, deren Besitzungen groß waren, z. B. der Abt zu Fulda1 im Oberrheinischen, der zu Kempten im Schwäbischen, und der zu Corvey im Westphälischen Kreise, ingleichen der Abt zu St. Emmeran in der Stadt Regensburg, die Aebtissinnen zu Nieder- und Ober-Münster, ebenfalls in der Stadt Regensburg; ja manche hielten sogar ihr eignes Militair und eine Art Leibgarde, z. B. Fulda und Corvey, und ließen, wenn sie mit dem Münzregal belehnt waren, unter [397] eigner Autorität Geld schlagen, z. B. Fulda. Alle diese unmittelbaren Klöster aber sind durch den Lüneviller Frieden aufgehoben, ihre Länder und Besitzungen secularisirt und den weltlichen Fürsten theils für den Verlust ihrer jenseits des Rheins gelegenen Länder zur Entschädigung, oder zu ihrer Vergrößerung gegeben worden; diejenigen hingegen, welche auf der linken Seite des Rheins liegen, hat der Kaiser von Frankreich als occupirtes Land seinem Kaiserthume einverleibt. Ein gleiches Schicksal hat auch die schon im 16. Jahrhundert reformirt-lutherischen unmittelbaren Stifte betroffen, deren Ursprung klösterlich gewesen war, z. B. die Abtei Hervorden. – Die mittelbaren Klöster hingegen haben nie, auch in keinem Staate und in keinem Reiche, ihre Besitzungen landeshoheitlich regieren dürfen, sondern sind wegen solcher als Landsassen, jedoch andern Vasallen gleich, meist als Landstände, betrachtet worden, so daß sie, diesen gleich, an den Landesverhandlungen Theil zu nehmen und bei den deßhalb zu haltenden Landesversammlungen durch Deputirte zu erscheinen berechtigt gewesen sind. Solcher mittelbaren Klöster aber giebt es denn auch heutiges Tages, so viele ihrer auch Joseph II. und andere Regenten in ihren Landen aufgehoben haben, noch immer in Menge, in und außer Deutschland.

Daß aber durch die Klosterverfassung ehedem die päpstliche Macht gewaltig erhöht worden ist, beweist die Kirchengeschichte sowohl, als die des canonischen Rechts. Nimmermehr würden Erz- und Bischöfe jene geistliche Tyrannei zugegeben haben: oft widersetzten sich diese den Päpsten in vernünftigen und die Kirchendisciplin befördernden Dingen; aber oft hielten sich auch die Päpste mit ihren despotischsten Grundsätzen an die Ordensgeistlichen, von denen sie auf das kräftigste unterstützt wurden; ja man weiß, daß sogar der größte Theil des canonischen Rechts – jenes mächtigen päpstlichen Palladiums – von bloßen Mönchen erdichtet worden ist, dessen Werth jedoch die Päpste anerkannten, und, bei der wenigen Aufklärung der Laien, durchsetzten. Kein Wunder daher, daß manche Klöster sogar der geistlichen Gerichtsbarkeit ihres Erz- oder Bischofs gänzlich entzogen wurden, welche nun gleich unmittelbar der Papst ausübte. Und dieß war gemeiniglich der [398] Fall mit denjenigen Klöstern, in welchen Vorsteher, Aebte, oder sonst ein Glied, sich auf irgend eine Art, etwa durch Einführung einer harten und den weit richtigern Grundsätzen der Bischöfe widersprechenden Meinung, um den päpstlichen Stuhl verdient gemacht hatten. In so fern nun Klöster entweder bloß der geistlichen Gerichtsbarkeit des Papstes unterwürfig sind, oder die Gerichtsbarkeit eines Bischofs anerkennen müssen, zerfallen die Klöster in exemte (befreite), und in nicht exemte (nicht befreite). In diesen kann der Bischof, als Diöcesan, Visitationen halten, und hat überhaupt eine Art Inspection über sie; jene sollte zwar der Papst visitiren lassen, allein das geschieht nicht, und sie sind sich sonach selbst überlassen.

Die Klöster insgesammt haben eine halbmilitairische Verfassung: sie haben Generale, General-Vika rien, Provinzialen und andere Kloster-Obern. Die Ordensgenerale, unter deren jedem ein ganzer Orden, sei er auch noch so ausgebreitet, durch die ganze katholische Christenheit steht, leben insgesammt in Rom; sie ziehen ihren Unterhalt aus den Klöstern ihres Ordens durch alle Länder und Provinzen, in welchen der Orden Klöster hat, obgleich auch der Papst zu ihrem Unterhalte nicht wenig zulegt. Durch sie nun hat der heilige Vater von je her das Meiste ausrichten können: daher wählt er denn auch seine geheimen Räthe, die Cardinäle, großen Theils aus den Ordensgeneralen, und die Cardinäle hingegen wählen, bei eröffnetem päpstlichem Stuhle, wiederum in der Regel einen solchen Cardinal zum Papste, welcher einst der General eines Ordens gewesen war. Der Ordensgeneral macht mit den Provinzialen seines Ordens ein ordentliches Capitel aus, versammelt sie, so oft er über Dinge, die den ganzen Orden betreffen, sich zu berathschlagen hat, nach Rom. Er für seine Person soll seine Provinzialen, ja die einzelnen Klöster selbst, visitiren; dieß geschieht aber selten, sondern er überträgt es einem Provinzialen, der nun eben deßhalb General-Vikar heißt. – Der Ordens-Provinzial ist derjenige Obere, unter dem alle Klöster seines Ordens in einem Lande, oder in einem gewissen Umfange, stehen (z. B. unter dem Provinzial des Augustinerordens stehen alle Augustinerklöster im Königreiche Böhmen u. s. w.). Auch [399] er macht mit den Obern der einzelnen Klöster seines Ordens in seiner Provinz ein ordentliches Capitel: er selbst ist der Chef desselben, und die Obern der Klöster, Aebte und wie sie heißen, sind seine Capitulares oder Suffraganei (Stimmen habende Glieder). In Ordensangelegenheiten seiner Provinz läßt er sie convociren, oder die Klosterobern selbst tragen beim Provinzial auf ein Capitel in der Provinz an, worauf er das Anliegen der Provinz, oder den in derselben gefaßten Beschluß, an den Ordensgeneral nach Rom berichtet, oder wohl persönlich dahin zu reisen genöthigt ist. Uebrigens muß er, da er in Ordenssachen dem General verantwortlich ist, auch die in seiner Provinz gelegenen Klöster visitiren: auch sind diese Visitationen der Provinzialen sehr im Gange. – Auch die Obern einzelner Klöster machen mit ihren Gliedern, den Mönchen, ein ordentliches Capitel, und dirigiren dasselbe. Jedes Glied, Conventual, hat darin Sitz und Stimme, und der Obere ist Chef desselben. Diese Obern einzelner Klöster aber haben verschiedene Benennungen, je nachdem sie in einem Orden angenommen und päpstlich bestätigt worden sind, z. B. Rectoren, Guardianen, Superioren, Prioren, Aebte, Pröbste (Praepositi), auch Prälaten. Diesem Obern, so wie auch den Höhern, vom Provinzial bis zu dem Papst, muß jedes Glied Hochachtung und Gehorsam beweisen, wozu ihn schon sein Gelübde verbindet. Alle diese Klosterobern, vom Ordensgeneral bis zum Prior herunter, sind im Sinn des canonischen Rechts Prälaten, und genießen als solche in der Kirche sowohl, als im Staate, vorzügliche Ehre. Bis zu dem Lüneviller Frieden waren die Aebte und Pröbste der unmittelbaren Klöster in Deutschland auch sogar Prälaten im staatsrechtlichen Sinn, weil sie Besitzungen mit Landeshoheit hatten und Glieder des Reichstags waren.

Das ganze Klosterwesen nun erhielt durch die Reformation Luthers einen empfindlichen Stoß in dem nördlichen Deutschland sowohl, als in den gesammten Nordischen Staaten und Reichen. Viele Klöster, besonders die mittelbaren, wurden gänzlich aufgehoben, die Einkünfte eingezogen und zu milden Stiftungen für Universitäten und Schulen verwendet, die Klostergebäude zu Hörsälen u. dgl. eingerichtet, und mit einem [400] Theile ihrer Güter präbendirt. Eine solche Entstehung haben die in Sachsen so vortrefflich angelegten drei Fürsten- oder Landschulen, Pforta bei Naumburg, die in Meißen und in Grimma, ingleichen die Klosterschulen Roßleben und Donndorf in Thüringen; eben so die vortreffliche Schule in dem Kloster Bergen bei Magdeburg, deren Lehrer noch bis auf den heutigen Tag klösterliche Namen, z. B. Abt und Conventualen, führen. Aus vielen andern, besonders Frauenklöstern, gingen ähnliche gute Anstalten hervor, z. B. zur Versorgung und Unterhaltung armer Frauenzimmer, Stifte für arme adeliche Fräuleins u. s. w. Unter den unmittelbaren Klöstern aber wurden sehr viele reformirt (z. B. Hervorden, Quedlinburg), und durch evangelische Aebtissinnen regiert, auch beim Reichstage auf der geistlichen Bank in ihrem Namen vertreten; wenigere hingegen secularisirt, und im Westphälischen Frieden 1648 als Fürstenthümer an weltliche Fürsten vergeben, z. B. Hersfeld an Hessen; diese wurden wie weltliche Länder von ihren Fürsten beherrscht, und bei Reichsversammlungen unter die weltlichen Reichslande versetzt.

Wir kommen nun zu den zwei höhern Classen, den Hoch- und Erzstiften. Diese machen eigentlich, im engern Sinn genommen, heutiges Tages die wahren geistlichen Stifte aus, weil sie in ihren Gliedern ganz besondere Eigenschaften erheischen, ohne welche Niemand aufgenommen werden kann, von denen aber bei der Aufnahme in ein Kloster gar nicht die Rede ist. – Schon die innere Einrichtung jedes Hoch- oder Erzstifts, noch mehr aber die Geschichte, zeigt hinlänglich, daß alle und jede geistlichen Stifte ursprünglich durch das Klosterwesen veranlaßt worden sind. Im fünften Jahrhundert schon vereinigte jener Afrikanische Bischof und Kirchenlehrer, Augustin, ein wirklich frommer Mann, dem es um die Ausbreitung der christlichen Lehre, aber auch um gute Beispiele bei den Religionslehrern zu thun war, die Geistlichen seiner Kirche zu einem gemeinschaftlichen Leben, und verband sie, den Mönchen gleich, zu dem dreifachen Gelübde, des Gehorsams, der Keuschheit und der Armuth. Seine Absicht, den geistlichen Stand von allem Irdischen abzuziehen, und zu einem heiligen, Gott wohlgefälligen Leben zu leiten, glaubte er bloß dadurch zu erreichen, [401] wenn er die Glieder dieses Standes in eine gewisse beständige Gemeinheit zusammenfaßte, und von dem Umgange mit den Laien entfernte. Wie wenig Beifall aber diese Maaßregel gefunden habe, beweist die Geistlichkeit des Occidents. Diese lebte ganz nach ihren Lüsten, bis in die zweite Hälfte des achten Jahrhunderts, wo, unter Pipins Regierung, der damahlige Bischof zu Metz in Frankreich, Chrodogang, einen ähnlichen Gedanken, wie Augustin, faßte, nehmlich die an seiner Cathedralkirche angestellten Geistlichen zu einem gemeinschaftlichen Leben zu vereinigen, so, daß sie beständig bei seiner Kirche in einem Gebäude beisammen bleiben, doch nicht, den Mönchen gleich, jenes dreifache Gelübde – welches bei solchen zur Ausschweifung geneigten Leuten wohl sehr guten Grund hatte – ablegen sollten. Indessen mußten sie doch bei ihrem gemeinschaftlichen Leben auch ihr geistliches Amt nach einer gewissen, sich immer gleich bleibenden Regel verrichten, welche vorzüglich darin bestand, daß sie zu festgesetzten Stunden des Tages in der bischöflichen Kirche geistliche Gesänge in Gemeinschaft anstimmen und öffentliche Gebete halten mußten. Jede in der Orientalischen Kirche verbindliche Vorschrift aber hieß Canon, Regel. Weil nun Chrodogang auch seine den Geistlichen gemachte Vorschrift nicht Gesetz, sondern bloß Regel oder Canon benennte, so hießen auch von nun an die bei allen bischöflichen Kirchen angestellten Geistlichen Canonici. Diese von Chrodogang mit seiner Geistlichkeit vorgenommene Einrichtung gefiel allgemein, so, daß dieselbe nicht nur von andern Bischöfen bei ihren Kirchen eingeführt, sondern sogar von dem Kaiser Ludwig dem Frommen bei einer 816 zu Aachen gehaltenen Kirchenversammlung als ein für alle bischöfliche Kirchen geltendes Gesetz bestätigt wurde. Um aber auch den Bischöfen und Geistlichen hinlänglichen Unterhalt, und ihrer Gemeinheit desto festern Bestand zu verschaffen, gab man ihnen auch Güter, so, daß in nicht langer Zeit die bischöflichen Kirchen deren mehr besaßen, als zu Bestreitung ihrer Bedürfnisse nöthig war, und die Geistlichkeit bei dieser wohlthätigen Freigebigkeit einen Ueberfluß erlangte, der in der Folge der Zeit Anlaß zu Unordnungen gab, ja sogar die Ursache zur Trennung jener beabsichtigten [402] Gemeinschaft, und beinahe gar Gelegenheit zur gänzlichen Auflösung des zwischen den Bischöfen und den Geistlichen bisher bestandenen Vereins ward. Vielen unter diesen Geistlichen mißfiel das gemeinschaftliche Leben unter ihres Gleichen; viele wollten den Segen ihrer kirchlichen Aemter auch außerhalb der Kirche genießen und ihres Lebens sich freuen: kurz, viele traten, ohne ihre kirchliche Anstellung gänzlich aufzugeben, und ohne aufzuhören, kirchliche und geistliche Personen zu sein, im zehnten und eilften Jahrhundert aus dieser engen Kirchengemeinschaft heraus, lebten nach ihrem Gefallen, wie zuvor, unter Laien, und kamen nur beim Gottesdienst, wenn der Bischof ihrer benöthigt war, in die Kirche, um ihm beizustehen. Weil nun diese aus der Gemeinschaft getretenen Geistlichen gerade die vorzüglichsten und angesehensten in der Kirche, auch in Rücksicht auf Geburt die vornehmsten waren: so wagten es auch die Bischöfe nicht einmahl, sie mit dem Verlust ihrer geistlichen Aemter und der davon abhängenden Präbenden (Einkünfte) zu bedrohen, oder ihnen ihren Austritt auf irgend eine Art zu erschweren. Nicht zu verschweigen, daß das Ansehen der an den Cathedralkirchen stehenden Geistlichen damahls in der That schon zu groß war, als daß die Bischofe diesem Vorgange sich mit gutem Erfolg hätten widersetzen können: denn theils hatten die Adelichen, damahls die Vornehmsten im Volke, dem geistlichen Stande sich zu widmen angefangen, deren Väter und Familien gewiß nicht ruhig mit angesehen hätten, daß ihre Verwandten jener Präbenden verlustig worden wären; theils würde aber auch sogar der Papst, der Feind der Bischöfe und Unterdrücker ihrer Diöcesanrechte, diesen aus der Gemeinschaft tretenden Kirchengliedern auf das kräftigste beigestanden haben, wenn die Bischöfe ihnen ihre Revenüen hätten entziehen wollen. Kurz, sie mußten bei diesem harten Ereignisse sich ruhig verhalten, und vielmehr von nun an weit größere Anmaßungen von diesen nur halbgeistlichen Menschen sich gefallen lassen.

Indeß, während jene Geistlichen im zehnten und eilften Jahrhundert die eingeführte Gemeinschaft brachen, verbanden sich andere, denen die bisherige Gemeinschaft in der Kirche gefiel, noch enger, so, daß sie nicht nur ferner beisammen blieben, und den Gottesdienst nach [403] der vorgeschriebenen Regel verrichteten, sondern auch, den Mönchen gleich, zu dem dreifachen Gelübde sich anheischig machten. Und von nun an glebt es bei einer jeden Cathedralkirche zwei Arten von Canonicis, nehmlich Canonicos regulares (Regular-Chorherren, oder Regular Domherren) und Canonicos feculares (weltliche Domherren): jene blieben in der Gemeinschaft, verrichteten, wie Mönche, zu gewissen Stunden des Tages ihre Andachtsübungen mit Beten und Singen; diese aber unterziehen sich denselben nur zu gewissen Zeiten im Jahre, wenn sie (in der Sprache des canonischen Rechts) Residenz haben. Ob nun zwar gleich die Regular Chorherren, da sie, der Stiftung und der von Chrodogang festgesetzten Regel nach, nie die Kirche verlassen, eigentlich die rechten und wahren Beistände des Bischofs sein sollten, so sind doch vielmehr jene, die so genannten Canonici seculares, allein die Beistände und Beisitzer des Bischofs, wenn er Capitel hält; sie allein nennen sich Capitularen, oder Deutsch Domherren, weil ihnen auf die Güter der bischöflichen Kirche mit dem Bischof gleiche Rechte zustehen; da hingegen die Canonici regulares bloß Canonici heißen, und als solche nie zum Capitel gezogen werden, auch weder Sitz noch Stimme darin haben. Da nun aber die Verrichtungen der Secular-Domherren weder zur Beforderung des Gottesdienstes, noch zum Wohl der Kirche beitragen; so fragt es sich: ob die Secular-Domherren kirchliche Personen sind und zum geistlichen Stande gerechnet werden können, oder nicht? Die katholische Kirche rechnet sie nicht nur unter die kirchlichen Personen, sondern auch zum geistlichen Stande, weil ihre erstere und Hauptbeschäftigung, das Beten und Absingen geistlicher Gesänge in der Kirche, welcher sie sich, doch zum wenigsten zu gewissen Zeiten im Jahre, persönlich unterziehen müssen, kirchlich ist, und sie zu deren Verrichtung nach einer bestimmten Regel gehalten sind, von der sie nicht abweichen können; auch überdieß an ein zweifaches Gelübde, nehmlich des Gehorsams (gegen alle Obern) und der Keuschheit (zum ehelosen Stande) gebunden sind. Diese Eigenschaften sind nach den Grundsätzen des canonischen Rechts hinreichend, die Secular-Domherren zu dem Range kirchlicher Personen zu erheben. – In den geistlichen [404] Stand aber werden sie versetzt durch die Tonsur und die Weihe (s. den Art. Tonsur); und da sich jeder Secular-Domherr bei seiner wirklichen Aufnahme ins Capitel derselben unterwerfen muß, so rechnet man sie auch deßwegen schon mit zum geistlichen Stande, und ihre Aemter mit unter die geistlichen Aemter: da hingegen Regular-Domberren bloß zum Mönchsstande gehören, welche zwar kirchliche, aber nicht geistliche Personen sind, indem sie als solche weder Tonsur noch Weihe haben. – Alle Secular-Domherren müssen, wenn sie endlich bis zum Subdiaconat gelangen, sich weihen lassen, indem sie nun bei der Verwaltung der Sacramente gebraucht werden, und von nun an ein bestimmtes geistliches Amt, das auch zum Wohl allen Kirchkinder abzweckt, bekleiden.

Man muß übrigens, wenn bei Hoch- und Erzstiften von Domherren die Rede ist, einen höchst nöthigen Unterschied unter denen, welche Canonici ma jores, und denen, welche minores heißen, machen. Wer Canonicus minor werden will, muß zum wenigsten 14 Jahre alt und ehelicher Geburt sein, muß als Minon die Kenntnisse, die für einen Canonicus major erforderlich sind, sich zu erwerben suchen, das heißt, singen und lesen lernen. In vorigen Zeiten waren zu diesem Behufe sogar bei den Stiftskirchen besondere Schulen, wo einer von den Canonicis majoribus als Lehrer im Lesen (Scholasticus), und ein anderer als Lehrer im Singen (Cantor) angestellt war: da hingegen heut zu Tage jene auf Schulen und Universitäten gehen, die Stiftsschulen aber, wo nicht Domherren, sondern meist vollendete Gelehrte angestellt werden, zum Unterricht für alle und jede, die sich zur Universität bilden wollen, dienen. Doch führen noch bis jetzt in jedem Stifte zwei der ältern Secular-Domherren den Titel Dom-Scholasticus und Dom-Cantor fort. – Außer diesen Eigenschaften nun, welche ein Aufzunehmender bei dem Scrutinium (m. s. dies. Art.) beizubringen hat, muß er auch noch seinen stiftsmäßigen Adel darthun, die Abnenprobe machen, da schlechterdings nur einer von altem Adel als Capitular aufgenommen werden kann.2. Wer nun als Canonicus[405] minor aufgenommen ist, hat auch schon viele von den Verbindlichkeiten der Canon. majorum auf sich genommen; auf keinen Fall aber solche, die das geistliche Amt von den wirklichen Domherren erheischt (z. B. mit den Uebrigen im Chor die Horas zu singen): aber dafür genießt er auch als Minor in dem Capitel keine Emolumente; bloß den Titel von dem Stifte darf er führen, den er, zum Unterschiede eines wirklichen Domherrn, durch Domicellar ausdrückt. Er hat also, mit einem Wort, eine Expeltanz auf das Capitel, welches durch den Abgang eines wirklichen Domherrn für ihn existent wird. Tritt nun im Capitel Vakanz ein, und trifft den Domicellar die Reihe zum Einrücken, so wird er gerufen, muß jedoch, ehe er Sitz und Stimme im Capitel und die Einkünfte von seiner Stelle bekommt, das Probejahr halten, da er denn ein ganzes Jahr lang nicht aus der Kirche wegbleiben, sondern die Horas selbst singen und allen gemeinschaftlichen [406] Andachtsübungen in der Kirche persönlich beiwohnen muß (das heißt im canonischen Recht: strenge Residenz halten; wiewohl diese selbst in den Stiften verschieden ist). Versieht er etwas im Probejahre, so wird er um Geld gestraft. Nach vollendetem Probejahre geschieht die feierliche Aufnahme, wo der Candidat, nachdem er die Statuten des Capitels beschworen hat, die Domherrn-Kappe nebst Mantel, zugleich aber auch Sitz im Chore und Stimme im Capitel unter den übrigen wirklichen Domherren erhält, und von nun an, als Canonicus major, zum Genuß seiner Präbende gelangt; aber auch, seinem Amte gemäß, jährlich zu gewissen Zeiten beim Gottesdienste in der Kirche seines Stifts zugegen sein, und denselben nach der ihm vorgeschriebenen Regel mithalten muß3.

Hochstift also, subjectiv genommen, bezeichnet eine Gesellschaft, deren Glieder zu einem gemeinschaftlichen Leben und zu Verrichtung gewisser gottesdienstlichen Handlungen, unter der Aufsicht und Leitung ihres Obern, des Bischofs, verpflichtet sind. (Objectiv ausgedrückt, deutet es den Umfang seiner Besitzungen an.) Die Hochstifte nennt man aber auch Bisthümer, weil sie von Bischöfen abhangen und von diesen regiert werden. Jedes Bisthum oder Hochstift aber ist mit einer Kirche verbunden, oder haftet gleichsam auf einer Kirche, an welcher ein Bischof mit seinen Regulac- und Secular-Domherren steht, und welche daher Cathedral-, oder Dom-, oder Hochstifts-, oder bischöfliche Kirche heißt. Unter dieser und deren Bischofe stehen in der Regel alle übrigen Kirchen, Stifte und Klöster in einem gewissen Umfange, ferner alle geistliche und kirchliche Personen, welche sowohl in Amts- als in persönlichen Angelegenheiten hier Recht leiden [407] müssen; ja sogar die Laien in geistlichen Dingen, z. B. in Ehesachen etc.

Von den Hochstiften sind die bloßen Stifte, oder Nebenstifte, auch Nieder- oder Unterstifte genannt, dadurch unterschieden, daß ihre Obern nicht Bischöfe sind, und diese in der Regel (wenn sie nicht der Papst für exemt erklärt und bloß seinem Stuhle unterwürfig gemacht hat) unter einem Hochstifte und dessen Obern, dem Bischofe, stehen. So sind z. B. die Stifte Wurzen und Budissin4 in der Oberlausitz Unterstifte von dem Hochstifte Meißen; Zeitz ist ein Unterstift von Naumburg. Auch diese Nebenstifte haften auf gewissen Kirchen, welche, wenn sie mit einem Hochstifte in Verbindung stehen, zum Unterschied der Cathedralkirche, nur Collegiatkirchen heißen, aber doch auch im gemeinen Leben Stifts- und Domkirchen genannt werden. Der Obere einer solchen Kirche heißt entweder Probst, oder Dechant. Auch dieser hat an seiner Kirche sowohl Regular- als Secular-Domherren, mit welchen er ebenfalls als Chef ein ordentliches Capitel ausmacht, und alles, was in so ein Stift gehört, steht unter demselben. Das Deutsche Reich zählte bis zum Lüneviller Friedensschluß in mehrern Kreisen sehr viele dergleichen unmittelbare bloße Stifte.

In jedem Hoch- und Nebenstifte sind gewisse Würden, welche die sie bekleidenden Glieder zu Prälaten im Sinn des canonischen Rechts erheben, von denen aber auch bestimmte Verrichtungen abhängen, als der Bischof, dessen Coadjutor, der Probst, Dechant, Vicedom, [408] Scholasticus, Cantor und Custos. Der ganze Umfang und Bezirk des Stifts heißt Diöces, der Inbegriff der sämmtlichen Rechte das Diöcesanrecht, und der Bischof oft Diöcesan, oder auch Ordinarius. Obwohl der Bischof und seine Domherren zusammen das geistliche Regiment ausmachen: so hat doch der Bischof viele Vorrechte, die er vermöge bischöflicher Gewalt allein ausübt, z. B. die Ordination der Geistlichen, das Recht der Weihe etc. Indessen überträgt er wohl auch die Ausübung derselben Einem außer der Ordnung, und dieser heißt dann Vicarius in Spiritualibus. Manche Bischöfe halten sich ihre Weihbischöfe, die sie sich selbst aus Regular-Domherren oder andern ordinirten Geistlichen wählen: diese sind beständige Vicarii in Spiritualibus. Auch mehrere Ehrenvorzüge genießt der Bischof vor den Domherren, z. B. den Vorrang und Titel, die Pontifikalkleidung, nebst Ring-Stab und Inful. Niemand aber kann vor dem fünf und zwanzigsten Jahre nach dem canonischen Recht Bischof werden; so wie Niemand vor dem zwei und zwanzigsten Jahre in ein Capitel als Canonicus major mit Sitz und Stimme aufgenommen werden darf – wenn nicht etwa päpstliche Dispensation Statt findet. Jeder Bischof wird aus dem Hochstifte, dessen Glied er war, und auch nur von den Gliedern desselben gewählt: durch diese Wahl erlangt er das Recht auf sein Bisthum, kann jedoch nicht eher davon Gebrauch machen, als bis er vom Papste consecrirt, oder zum wenigsten confirmirt ist; welche Handlung derselbe meist durch einen Legaten vollziehen läßt.

Man theilt übrigens in der katholischen Kirche die Hochstifte oder Bisthümer in exemte und nicht exemte ab. Jene stehen unter keinem Erzbischof, sondern unmittelbar unter dem Papste: dergleichen sind gegenwärtig noch die Bischöfe von Breslau u. Olmütz, und vor dem Lüneviller Frieden waren es auch die von Bamberg, Passau und Regensburg; allein in diesem Friedensschlusse wurden die Lande der erstern beiden secularisirt (s. Secularisation) und an weltliche Fürsten zur Entschädigung abgetreten, auf das letztere, Regensburg, aber die Rechte des eingezogenen und von Frankreich occupirten Erzbisthums Mainz übergetragen, und also dasselbe in ein neues [409] Erzbisthum erhoben. Diese Uebertragung, welche bloß mit päpstlicher Genehmigung geschehen kann, wurde auch von Pius VII. bestätigt, und das neue Erzstift Regensburg macht jetzt einen Theil der Primatischen Besitzungen aus, ist aber auch gegenwärtig das einzige unmittelbare Erzbisthum in Deutschland. – Nicht eremte Bisthümer oder Hochstifte hingegen sind solche, die unter einem Erzbischofe stehen, und deren Bischöfe in der Provinz eines Erzbischofs Sitz und Stimme haben, z. B die Hochstifte Königgrätz und Leutmeritz in Böhmen, deren Bischöfe nur Suffragan-Bischöfe des Erzbischofs von Prag sind; der Bischof von Neustadt in Oestreich, ein Suffragan des Erzbischofs von Wien.

Was endlich die dritte Classe von Stiften anlangt, so hat ein Erzstift denselben Begriff, wie Hochstift, und steht unter einem Erzbischofe. Ein Erzbischof (Archi-Episcopus) oder Metropolitan ist gewisser Maßen und im Sinne des canonischen Rechts ein zwiefacher Prälat: 1) in Bezug auf den Sprengel (Diöces), worin er ganz wie jeder andere Bischof, von welchem vorher die Rede gewesen, zu betrachten ist; 2) aber in Rücksicht seiner Rechte und Vorzüge, die ihm vor andern Bischöfen zustehen, ist er ein weit vornehmerer und weit erhabenerer Prälat, als jene. Unter ihm stehen die andern Bischöfe, welche er in ein Capitel zu versammeln das Recht hat, und wo jedem von ihnen eine Stimme zusteht: die unter ihm vereinigten Diöcesen führen den vielbedeutenden Namen Provinz (mithin machten vor dem Lüneviller Friedensschlusse die zehn Suffragan-Bisthümer des Erzbischofs von Mainz die Mainzer Provinz aus). Die Vorrechte aber eines Erzbischofs sind folgende: 1) Concilien in seiner Provinz anzustellen, und solche als Chef zu leiten; 2) alle in seiner Provinz gelegene Bisthümer, Kirchen und Klöster zu visitiren: von beiden Rechten aber haben die Erzbischöfe in neuern Zeiten nur selten Gebrauch gemacht; 3) das Recht, über die Verbrechen seiner Suffragan-Bischöfe zu cognosciren: aber der Ausübung dieses Rechts widerspricht der Papst gar sehr; 4) die Suffragan-Bischöfe vor dem Erzbischof in persönlichen Sachen zu belangen, und 5) wider die Aussprüche der Suffraganen an den Erzbischof [410] zu appelliren. Außer diesen Vorrechten hat der Erzbischof noch folgende Ehrenvorzüge: 1) den Rang über alle und jede Bischöfe; 2) das Recht, bei Prozessionen in- und außerhalb der Kirche sich das Kreuz vortragen zu lassen, und 3) ein Pallium zu tragen (s. Pallium, Th. 3, S. 351).

In Bezug auf Deutschland lassen sich die Erz- und Hochstifte in unmittelbare, mit welchen Landeshoheit verbunden ist, und in mittelbare abtheilen, welche den weltlichen Fürsten, in dessen Landen ihre Besitzungen liegen, als Landesherrn anerkennen, in weltlichen Dingen von ihm Befehle annehmen und ganz als Landstände zu betrachten sind. Mittelbare Erzbischöfe aber giebt es in Deutschland nur drei, zu Prag, Wien und Laybach im Herzogthum Krain; aber desto mehrere mittelbare Bischöfe, z. B. in Breslau, Olmütz, Königgrätz etc. Unmittelbare Erzstifte und Erzbischöfe zählte Deutschland bis zum Lüneviller Frieden fünf: Mainz, Trier, Cölln, Salzburg und Bisanz oder Besançon, davon die erstern drei als Churfürsten im Churcollegium, die zwei letztern aber im Fürstenrathe auf der geistlichen Bank saßen; jetzt aber bloß nur Regensburg, dessen Erzbischof zugleich Primas des Reichs, und, nach der ganz neuen mit dem Kaiser von Frankreich im J. 1806 zu Paris getroffenen Vereinigung, vorsitzender Fürst, mit königlichem Range, beim Rheinischen Bunde ist. Die unmittelbaren Hochstifte oder Bisthümer aber waren bis zu eben diesem Lüneviller Friedensschlusse zwanzig: Bamberg, Würzburg, Worme, Eichstädt, Speyer, Costanz, Augsburg, Hildesheim, Paderborn, Freisingen, Regensburg, Passau, Trient, Briren, Basel, Münster, Osnabrück, Lüttich, Lübeck und Chur. Alle diese Bischöfe hatten insgesammt Sitz und Stimme auf dem Reichstage im Fürstenrath, regierten, den weltlichen Fürsten gleich, ihre Länder, und übten alle Regalien im vollen Sinne des Worts aus; allein seit dem Lüneviller Frieden sind alle diese geistlichen Lande secularisirt, und zum Theil an weltliche Fürsten zur Entschädigung abgetreten worden; diejenigen Erz- und Hochstifte aber, welche jenseits des Rheins liegen, hat Frankreich bei diesem Friedensschlusse als occupirte Lande erhalten.

[411] Noch ist einer Abtheilung der Erz- und Hochstifte in Deutschland zu erwähnen, nehmlich in katholische und evangelisch-lutherische. Durch Luthers Reformation hatte Deutschland eine sehr veränderte Gestalt erhalten: viele Lande, sowohl geistliche als weltliche, reformirten sich ganz, manche nur zum Theil. Im Westphälischen Frieden 1648 endlich fehlte es an Ausgleichungsmitteln um diejenigen weltlichen Fürsten zu entschädigen, die während des dreißigjährigen Kriegs viel gelitten auch wohl einen Theil ihrer Länder verloren, oder doch als Entschädigung an die Krone Schweden hatten abgetreten werden müssen. Diejenigen unmittelbaren geistlichen Lande nun, welche sich durchaus reformirt hatten, wurden bei diesem Friedensschlusse gänzlich secularisirt und an weltliche Fürsten abgetreten; wobei die Erzbisthümer in Herzogthümer, die unmittelbaren Bisthümer und Abteien aber in Fürstenthümer erhoben, und als solche vergeben, auch beim Reichstage im Fürstencollegium von der geistlichen auf die weltliche Bank versetzt wurden. Indessen betraf die dadurch bewirkte Veränderung eigentlich bloß die Länder und deren Regierungsform; die daselbst bisher bestandenen Capitel aber ließen sich bloß reformiren, entweder ganz oder zum Theil. Daher noch gegenwärtig in Magdeburg, Bremen, Halberstadt etc. evangelischlutherische Capitel, – doch ohne Erz- und Bischöfe; denn eben das, was ehedem erzbischöflich und bischöflich hieß, ist entweder herzoglich oder fürstlich geworden, so wie die ihnen ehemahls zustehende Landeshoheit, nebst der Reichsstandschaft, auf die weltlichen Fürsten, die sie erhalten haben, übergegangen ist. Kurz, es sind aus unmittelbaren Erz- und Hochstiften bloß mittelbare Stifte entstanden. In allen unmittel- und mittelbaren secularisirten und reformirten Stiftslanden lassen die weltlichen Fürsten, welche seit der Reformation alle bischöfliche Rechte sich zu verschaffen gewußt haben, die geistliche Gerichtsbarkeit durch ausdrücklich niedergesetzte Consistorien in ihrem Namen ausüben, hingegen die geistlichen Regierungsrechte, z. B. Gesetzgebung etc. üben sie selbst unmittelbar aus.

Was endlich die mittelbaren Stifte und Hochstifte betrifft, so konnten viele von denselben im Westphälischen Friedensschlusse bloß reformirt werden, z. B.[412] die drei in Sachsen gelegenen Hochstifte Meißen, Merseburg und Naumburg, ingleichen die Unterstifte Wurzen und Zeitz; mehrere noch in den Brandenburgischen Staaten. Zwar wünschten bei diesem Friedensschlusse alle und jede weltliche Fürsten, in deren Landen es dergleichen Stifte und Hochstifte giebt, daß sie sich gänzlich secularisiren lassen möchten, und sie ihre sehr bedeutenden Besitzungen einziehen und zu einem bessern und nutzbarern Behufe verwenden könnten; allein Papst, Kaiser und der ganze katholische Religionstheil setzten sich gewaltig dagegen, indem sie glaubten, daß die reformirten Lande insgesammt nicht lange das lutherische Glaubensbekenntniß befolgen, sondern wieder mit dem katholischen Theile sich vereinigen würden, wo alsdann diejenigen Erzbischöfe, deren Provinzialrechten mehrere unmittel- und mittelbare Bischöfe sich entzogen hatten, dieselben wieder zu erhalten hofften. Auch sogar zwei unmittelbare Hochstifte ließen sich beim Westphälischen Friedensschlusse bloß reformiten, obwohl einige benachbarte Fürsten dieselben gern als secularisirte Lande gehabt hätten, nehmlich das Bisthum Lübeck durchaus, und Osnabrück auf die Halbscheit oder zur Hälfte. (Ueber Lübeck s. m. an seinem Orte, Th. 2, S. 433 u. in d. Nachträgen dazu; und über Osnabrück, dessen Schicksal bis jetzt noch unentschieden ist, Th. 3, S. 321, und ebenfalls zu seiner Zeit in den Nachträgen.)

Uebrigens geschah die Wahl bei den evangelisch-lutherischen Stiften und Hochstiften, unmittel- und mittelbaren, bisher eben so, wie bei den katholischen, ja sie geschieht noch bis auf den heutigen Tag nach canonischer Weise; mithin muß ein jedes Glied bei seiner Aufnahme einer Art von Scrutinium sich unterwerfen, muß bei Hochstiften die gehörige Anzahl seiner Ahnen beibringen, bei jedem Stifte aber das gehörige Alter haben, auch seine Kenntnisse mit Zeugnissen von Universitätslehrern belegen, und versprechen, nicht willkührlich aus seinem Capitel sich zu entfernen, vielmehr zu gewissen Zeiten Residenz zu halten. Hierin besteht ihr ganzes Gelübde, wenn man es so nennen will. Die Ehelosigkeit kann man aus dem Grunde von ihnen nicht verlangen, weil sie den protestantischen Religionsgrundsätzen widerspricht. Man kann also in der evangelischlutherischen [413] Kirche alle und jede Stiftsstellen als wahre Pensionen ansehen.


Fußnoten

1 Es erklärte zwar im J. 1752 der Papst Benedict XIV. den Abt zu Fulda für einen erentten Bischof, doch so, daß er für seine Person die klösterliche Qualität behielt, und keiner bischöflichen Rechte sich anmaßen, z. B. keinen Geistlichen in seinem Lande zum Amte ordiniren, auch weder gegen Geistliche, noch Kirchkinder, die geistliche Gerichtsbarkeit ausüben durfte; ingleichen, daß seine Conventualen in ihrem vorigen klösterlichen Stande verblieben. Diese neue Standeserhöhung machte in dem Deutschen Reiche damahls nicht die mindeste Aenderung, sondern der Abt behielt auf dem Reichstage seinen vorigen Platz.


2 Weder das canonische Recht noch irgend ein Reichsgesetz, giebt dem alten Adel ein solches Vorzugsrecht, sondern ein Jeder, der die andern bemerkten Eigenschaften besitzt, kann darauf Anspruch machen: daher nahm man auch in vorigen Zeiten sehr häufig Gelehrte bürgerlichen Standes, besonders Doctores Theologiae oder Juris, ohne Widerspruch in die Hochstifte, wenigstens in die mittelbaren, auf. Dieses dem Bürgerstande zustehende Recht wurde sogar im Westphälischen Friedensschlusse 1648, Art. V, §. 17, wiederholt und neu bestätigt. Weil jedoch die Präbenden in den Hoch- und Erzstiften zu erklecklich, und gleichwohl die Kenntnisse zu Bekleidung einer Domherrn-Stelle sehr unbedeutend waren: so suchten die Capitel, zu Gunsten des zahlreichen alten Adels, durch Statute den bürgerlichen Stand sowohl, als den jungen Adel, davon auszuschließen, und erforderten bei jedem Candidaten zum wenigsten sechzehn, ja noch mehr Ahnen; obwohl diese Neuerung der ausdrücklichen Disposition des Westphälischen Friedens schnurstracks entgegen ist. In den beiden Sächsischen Hochstiften Meißen und Merseburg haben die zwei ältesten Doctoren und Professoren der theologischen und Juristen-Facultät der Universität Leipzig sich jenes Recht zu erhalten gewußt.


3 Eigentlich sollen die Secular-Domherren täglich in der Kirche ihres Stifts ihre geistlichen Gesänge halten, und gewisse Gebete aus dem Breviario vor dem Altare ablesen; weil jedoch der Aufenthalt außer der Kirche ihnen verstattet ist, so halten sie sich für die jeden Tag gewöhnlichen Andachtsübungen beständige Vicarien, die sie aber aus ihren Einkünften unterhalten müssen. Diese Leute heißen Dom-Vicarien.


4 Das Stift St. Petri zu Budissin blieb zur Zeit der Reformation bis jetzt katholisch, weil in den Lausitzen die katholische Religion, nebst der evangelisch-lutherischen, herrschend ist, und wurde, weil es von seinem Hochstifte Meißen nicht mehr, wie vor der Reformation, abhängig sein konnte, für frei erklärt; doch blieb noch etwas von seiner Verbindung mit dem Hochstifte Meißen übrig, nehmlich: daß allemahl ein Domherr des Hochstifts Meißen zugleich Probst des Domcapitels St. Petri zu Budissin ist, ohne jedoch den Sitzungen dieses Capitels beiwohnen zu dürfen, welche einzig und allein dessen Dechant leitet.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 395-414.
Lizenz:
Faksimiles:
395 | 396 | 397 | 398 | 399 | 400 | 401 | 402 | 403 | 404 | 405 | 406 | 407 | 408 | 409 | 410 | 411 | 412 | 413 | 414
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Wolken. (Nephelai)

Die Wolken. (Nephelai)

Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon