[380] Reim. Aus dem angebornen Gefühle, das, wie überall, auch in der Musik der Sprache nach gleichen Verhältnissen, nach Ebenmaß und Uebereinstimmung strebt, entwickelten sich nach und nach die feineren Regeln des Rhythmus (s. d.), des Baues der Verse überhaupt, so wie die des Gleichlautens einer oder mehrerer Sylben am Ende der Verse, d. i. des Reims, dessen richtige und passende Fügung einen gebildeten Sinn für das Ungezwungene, Künstliche und doch Kunstlose, und ein seines Gehör für den Wohlklang erfordert. Ungezwungen nennen wir nun den Reim kurz gesagt, wenn das Wort, welches die Reimsylben enthält, zum ganzen Satze in Sinn und Ausdruck vollkommen paßt; denn oft ist es augenscheinlich, daß, wäre nicht der Reim erforderlich gewesen, ein anderes und besseres Wort an derselben Stelle stehen würde: wohlklingend und richtig aber, wenn er vollkommen gleich klingt, und zwar nicht nach der richtigen Schreibart, sondern nach der reinen Aussprache. So reimen wir unbedenklich oft und hofft, los und bloß, Kreide und Haide, Boot und roth, Thränen und Sehnen, weil in ihnen auch ein seines Gehör das f und ff, ei und ai etc. nicht unterscheidet, finden aber aus demselben Grunde Reime, wie., krumm und Ruhm, stehen und mähen, Rede[380] und Röthe« unrein, wenn sie auch, wie dieß oft geschehen, von den besten Dichtern gebraucht werden. Ein seines Gehör ersetzt daher die meisten Regeln, die ja zudem eben erst von diesem ausgingen, weßhalb es der Feinfühlende auch von selbst vermeiden wird, einen reichen Reim zu machen, d. h. ein und dasselbe Wort auf einander zu reimen, es müßte denn eines besondern Effects wegen geschehen. Noch ist zu bemerken, daß der Reim, welcher nur auf der letzten Sylbe ruht, z. B. todt und roth, Blut und beruht, ein männlicher, der aber, wo die zwei letzten Sylben sich reimen, z. B. erzeigen und schweigen, ein weiblicher Reim heißt. Beide Gattungen wechseln in den besten Gedichten kunstvoll mit einander ab. Eine dritte seltnere Art von Reimen sind die gleitenden (versi sdruccioli), welche aus drei Sylben bestehen, z. B. schaltende, waltende, schwebende und hebende. Die größten Reimkünstler unter unseren Dichtern sind Tieck, Platen und Rückert. Das beste Reimlexikon schrieb Peregrinus Syntax (Ferdinand Hempel) 2 Bde. Leipz. 1825. Vom Reime verschieden ist die Alliteration (s. d.).
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