Schreibekunst

[139] Schreibekunst, das symbolische Echo der Gedanken, wie es des Menschen Scharfsinn in die festen und zugleich flüssigen Formen allgemeinen Verständnisses bannte, die herrliche Vermittlerin im Geisterreiche, welche das leicht verhallende, geflügelte Wort sinnreich verkörpert für das Auge, die Amme der Wissenschaft und des geistigen Verkehrs mit dem Amte der Schlüssel, welche die Pforte öffnen und schließen zu den goldenen Schatzgewölben der Gedankenwelt. – Thaut, ein fabelhafter ägyptischer oder phönizischer Weiser (angeblich 1700 v. Chr.), soll der Erfinder dieser Kunst sein. Ihrer natürlichen Entwickelung nach war die erste Schrift bloße Bilderschrift (s. d.), wie die Hieroglyphen (s. d.) und Runen (s. d.). In Aegypten bildete sich zuerst eine Buchstabenschrift aus; nach Griechenland wurde eine solche aus Phönizien gebracht, und zwar der Sage nach durch Kadmos (s. d.), und von den Griechen erhielten sie die Römer. Die vornehmen Römerinnen hatten ihre eigenen Schönschreiberinnen, durch die sie sich ihre Lieblingsschriftsteller abschreiben ließen; doch verstanden sie sehr zierlich selbst zu schreiben, und trugen stets ein Schreibtäfelchen nebst den etwa erhaltenen zärtlichen Briefchen am liebsten und sichersten in ihren Gürteln oder zwischen dem Busenbande an ihrem Herzen. – [139] Die gothische Schrift wurde durch den Bischof Ulfilas im 4. Jahrhundert eingeführt. Im Mittelalter waren es nächst den Arabern vorzüglich die Mönche, welche die Schönschreibekunst, Kalligraphie, pflegten, die mit ihrem Koloriren und Vergolden der Anfangsbuchstaben in das Gebiet der Malerei überstreifte. Man verzierte nicht bloß einzelne Anfangsbuchstaben mit Gold- und Silberblättchen, sondern zuweilen strahlten ganze Bücher von edlen Metallen, und wurden noch prächtiger durch das purpurroth gefärbte Pergament, worauf man sie schrieb. Hatte man früher meist sich des Griffels und eines Rohres beim Schreiben bedient, so kamen bald allgemein jene weiße Flaggen oder Fähnchen in Gebrauch, die am leichtesten unsere Gedanken signalisiren, die Schreibfedern (s. Federn). Die verbesserte Fabrikation des Papiers (s. d.), welches durchgängig an die Stelle der frühern Stein-, Metall- und Holztafeln, der Baumblätter, Thierhäute und des alten Aegyptischen Papyrus getreten war, mußte ebenfalls von wohlthätigem Einflusse auf die S. sein, und so ist sie jetzt, namentlich in Deutschland und Holland, ein treffliches Gemeingut aller Classen und Stände, und zugleich mit der Buchdruckerkunst das herrlichste Sprachrohr für die Ferne und die Zukunft geworden. – Man unterscheidet die schon erwähnte Kalligraphie oder Schönschreibekunst von der Orthographie oder Rechtschreibekunst, der Schnellschreibekunst oder Tachygraphie, mit deren vorgeschriebenen Zeichen man sogleich Wort für Wort dem Redner folgend, eine öffentlich gehörte Rede nachschreiben kann, und der Geheimschreibekunst oder Steganographie, Kryptographie (s. Chiffreschrift).

S....r.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 9. [o.O.] 1837, S. 139-140.
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