Drache

[124] Drache. Während in der christlichen Ansicht der Begriff böser und teuflischer Schlangen vorwaltet, verehrte das Heidentum mehr gütige, wohlthätige Schlangen; die Schlange ist ein heilbringendes, unverletzliches Tier, dem die Langobarden eine eigene Verehrung widmeten. Sie kriecht oder ringelt sich auf dem Boden; stehen ihr Flügel zu Gebote, so heisst sie Drache, aus lat. draco, aber schon früh eingeführt. Der deutsche Name, welcher allgemeiner auch die Schlange mit begreift, ist wurm oder lint, daher die Doppelnamen Linddrache, Lindwurm. Aus diesem lint, mit dem sich der Ausdruck des Schönen, Schmeichelnden verband, sind viele Frauennamen gebildet: Sigilint, Reginlint, Ermanlint, Eburlint, Gêrlint, Winilint. Die herrschende Vorstellung von den Drachen war die, dass sie auf dem Gold liegen und davon leuchten, die Schätze bewachen und nachts durch die Lüfte tragen. Sie galten gleich den Riesen für alt und hochbegabt. Amt der Helden war es, Riesen und Drachen aus der Welt auszutilgen, Thor selbst bekämpft die Midgartsschlange, und Siegemund, Siegfried, Beowulf und viele andere, z.B. Struthan Winkelried, sind tapferste Drachenüberwinder. Der Besieger erhält ausser dem Goldhort noch andere Vorteile: der Genuss des Drachenherzens bringt Kunde der Tiersprache zuwege, und das Bestreichen mit Drachenblut härtet die Haut. Nach alter Sitte werden Ringe und andere Geschmeide gern in Schlangenform gearbeitet, so auf Helmen und besonders auf Fahnen. Der fliegende Adler über einem Drachen oder Löwen war das Feldzeichen der Sachsen Auf der Säule Trajans erscheinen Drachengestalten als fahnenartige Feldzeichen, sowohl unter der Kriegsbeute als in den Darstellungen. Eine grosse Rolle[124] spielt der Drache in der christlichen Symbolik und Malerei. Seine Gestalt ist nicht mehr, wie im heidnischen Altertum, diejenige einer geflügelten Riesenschlange, sondern eines zwitterhaften Ungetüms von sehr zusammengesetzter Art. Er erinnert an die vorsündflutliche Tierwelt, eine Rieseneidechse oder einen Saurier. Er ist gleichzeitig Säugetier, meistens Raubtier mit Kopf und Vorderleib, Schwimm-, Nacht- und Raubvogel mit seinen Flügeln oder Fängen, Eidechse mit seinen Schuppen und Schilden, Schlange mit seinem Schwanz. Nach einstimmiger Ansicht der Theologen ist er Symbol des Bösen. Nach den Tierbüchern des Mittelalters lebt er vorzüglich in Indien und Äthiopien. Man giebt ihm bald ein kleines Maul, aus dem er seine nadelspitze Zunge herausschnellt, bald einen Rachen von der Grösse des Schlundes eines feuerspeienden Berges. Seine Waffen sind der Schweif und namentlich der verpestete Atem. Der Drache erscheint in der Legende des hl. Julian, St. Romanus, Marcellus, St. Georg und als Attribut ausserdem beim Erzengel Michael und sehr vielen andern Heiligen. Grimm, Mythologie 652 ff. – Lindenschmitt, Handb. I., 276 ff.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 124-125.
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