Herr

[405] Herr ist die im 9. Jahrhundert in substantivische Verwendung gekommene, kontrahierte Komparativform des Adjektivs hêr, nhd. hehr, und lautet ahd. hêrero, hêriro, hêrro, hêro, ahd. hêrre, herre, besonders in der Anrede hêr und her gekürzt. Dieses Wort trat an die Stelle einerseits des älteren vrô, frô, ursprünglich von Gott und weltlichen Herren gebraucht und in der weiblichen Form Frau, ahd. frouwa erhalten, andererseits des ahd. truchtîn, welches ursprünglich den Höchstgestellten, den eigentlichen Herrscher bezeichnete. Anfänglich bedeutet das alte hêriro, hêrro zunächst nur den höher Gestellten, den Befehlenden gegenüber dem Knechte. In der höfischen Periode wird herr der Standesname für den Adeligen, herr Walther von der Vogelweide, herr Wolfram von Eschenbach, herr keiser, herr künec, hêr Iwein, her Wirnt von Grâvernberc; der unerwachsene Sohn heisst junchêrre, Junker. Der persönlichen Unterordnung der Vasallen und Ministerialen gemäss unter einen Lehnsherrn wird die Formel herre mîn oder mîn herre, franz. monsieur, sehr häufig, ohne sich, wie es in den romanischen Ländern und im Niederländischen geschah, bis in die Gegenwart zu behaupten. In den Städten geht der Name Herr auf die städtische Obrigkeit über, die regelmässig mîne herren, meine herren heisst. Mit der Zeit verwischt sich diese Standesbezeichnung und der Name Herr sinkt etwa seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts zu einem blossen Höflichkeitszeichen herab.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 405.
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