[1000] 2S. Prudentius, Ep. (6. April). Die Verehrung des hl. Bischofs Prudentius (zugenannt Galindus) von Troyes ist in dieser Kirche altherkömmlich. Seine Verdienste sind unleugbar und können durch die Irrthümer, in welche er zeitweilig verfiel, nicht gemindert wurden. Er hat im Kampfe gegen die falschen Lehrmeinungen seiner Zeit sich auf den Boden der heil. Schrift und der Väter gestellt und den Entscheidungen der Kirche, auch wenn sie seine eigenen Aufstellungen verwarfen, demüthig Gehorsam geleistet. Er war ein geborener Spanier. Wahrscheinlich um der Grausamkeit der Saracenen zu entfliehen, war er nach Gallien gegangen, und wurde um d.J. 840 oder 845 Bischof von Troyes. Zu jener Zeit entbrannte ein heftiger Streit über die Prädestination. Nur die Auserwählten, lehrte der Mönch Gottschalk von [1000] Orbais, wolle Gott selig machen, nur für sie sei Christus gestorben. Eine Synode zu Mainz i. J. 848 beschloß, ihn dem Erzbischof Hincmar von Rheims zur Bestrafung zu übergeben. Dieser hielt zu Chiersy im folgenden Jahre eine Synode, auf welcher die Beschlüsse zu Mainz bestätiget wurden. Gottschalk wurde mißhandelt und ins Kloster Hautvilliers als Gefangener geschickt. An diesen Beschlüssen hatte der hl. Prudentius keinen Antheil genommen. Aber er unterzeichnete in demselben Jahre 849 auf der unter dem Vorsitze des Erzbischofes Latrannus von Tours zu Paris versammelten Synode das von derselben an den Comes Nomenojus, der sich König der Bretagne nannte, gerichtete ernstliche Mahn- und Drohschreiben, in welchem es unter anderm hieß: »Obwohl du den christlichen Namen trägst, sind gleichwohl die Ländereien (agri) der Christen durch deine Habsucht (cupiditate) verwüstet, die Kirchen theils niedergerissen, theils mit den Gebeinen der Heiligen verbrannt. Die Güter der Kirche, das Erbeigenthum der Armen, hast du unerlaubter Weise zu deinen Gunsten eingezogen, die canonisch bestellten Bischöfe hast du aus den ihnen zugehörigen Sitzen vertrieben, und an ihre Stelle Lohndiener, um nicht zu sagen Diebe und Räuber, gesetzt. Den apostolischen Vicar des hl. Petrus, welchem Gott den Primat in der ganzen Welt verliehen hat, hast du verachtet und nicht einmal seine Briefe angenommen.« Die Ermahnungen zur Besserung mit der beigefügten Bannandrohung fruchteten nichts; Gott aber half, indem er den Verfolger plötzlich zu seinem Gerichte abrief. Diese Synode wird von Einigen noch immer irrig als die vierte von Tours bezeichnet. Ebenso nahm er an der zweiten Synode zu Soissons i. J. 853 regen Antheil. Unter den hier gefaßten Beschlüssen mögen ihm wohl jene, welche bestimmten, daß kirchliche Missi in jeder Provinz über die Wiederherstellung eines würdevollen Gottesdienstes wachen, daß öffentliche Gerichtsverhandlungen nicht in den Kirchen abgehalten, daß kirchlich Bestrafte von Niemanden in Schutz genommen, und Verbrecher, die von geistlichen Gerichten abgeurtheilt werden mußten, durch die öffentlichen Richter vor sie gestellt werden sollten, am meisten am Herzen gelegen haben. Unterdessen lag Gottschalk immer noch als Gefangener zu Hautvilliers und wollte seine Irrthümer nicht widerrufen. Der Erzbischof Hincmar berieth darüber schriftlich den hl. Prudentius Dieser konnte die Grausamkeit, mit welcher Gottschalk bisher behandelt worden war, nicht billigen, und verlangte, daß Gottschalk zur Abfassung eines Glaubensbekenntnisses veranlaßt würde. Diesem Verlangen nachkommend, gab Gottschalk eine doppelte Bekenntnißschrift, eine kürzere und eine ausführlichere heraus, gegen welche Hincmar in der zweiten Synode zu Chiersy i. J. 853 vier Canonen erließ. Der heil. Prudentius, welcher die katholische Lehre von der Gnadenwahl gegen die philosophische Verdunkelung und Verwirrung durch Johannes Scotus Erigena in einer besondern Schrift klar gestellt hatte, verfaßte gegen die Beschlüsse von Chiersy eine Schutzschrift für Gottschalk, in welcher er zunächst lehrt, es gebe wirklich eine Vorherbestimmung zur Strafe, was auf der Synode geleugnet worden war. Gott wisse nämlich im voraus, welche Menschen als unbußfertige Sünder sterben und zur gerechten Strafe für ihre Sünden zu den ewigen Strafen verurtheilt würden; mit Rücksicht auf dieses Vorauswissen sei in der That nicht sein Wille, Alle – die unbußfertigen Sünder mit eingeschlossen – zu retten, und in diesem Sinne sei auch der Ausspruch Christi, sein Blut sei vergossen für Viele – nicht Alle – zu verstehen.86 Er machte nicht, wie Einige ihm vorwarfen, Gott zum Urheber des Bösen, und leugnete weder den freien Willen und seine Schwachheit, noch die Nothwendigkeit und gänzliche Unverdientheit der göttlichen Gnade. Durch diese Versammlungen und Streitschriften waren die Fragen geklärt und zur endlichen Entscheidung, die auf der dritten Synode zu Valence zu Stande kam, vorbereitet worden. Die Lehre von der ewigen Vorherbestimmung wurde hier mit dem ewigen Vorherwissen Gottes in den nothwendigen Zusammenhang gebracht und als Folge desselben erklärt, daß die Bösen nicht deßhalb zu Grunde gehen, weil sie [1001] nicht gut sein konnten, sondern weil sie es nicht sein wollten. Bei der Vorausbestimmung zur Seligkeit – das sei der Unterschied – gehe die Barmherzigkeit dem Verdienste, bei jener zur Verdammniß dem gerechten Urtheile Gottes voran. Nicolaus I. (s.d.J. 858) hat diese Canonen, die Lehre des hl. Prudentius, auf dessen Betreiben als die wahre katholische Lehre gut geheißen. Gleichwohl war der Streit i. J. 859 noch nicht ganz beigelegt, indem auf einer Synode von Toul die Canonen von Valence wiederholt und theilweise verbessert wurden. So viel ist sicher, daß die Rechtgläubigkeit und Tugend des hl. Prudentius schon zu seiner Zeit hoch gefeiert war. Durch seine Demuth, seinen Eifer in den bischöflichen Amtsverrichtungen, in strenger Handhabung der Kirchenzucht, durch die Abstellung von Mißbräuchen und die gemeinschaftlich mit dem Abte Lupus von Ferrieres vollzogene Klosterreform bewies er, daß er die Worte des hl. Paulus: »Arbeite in Allem, thue das Werk eines Evangelisten« sich zum Wahlspruch genommen hatte. Ruhe und Erholung suchte und fand er in den Psalmen Davids, zu welchen er Meditationen geschrieben hat. Er starb am 6. April d.J. 861. Seine Reliquien werden noch immer zu Troyes aufbewahrt und verehrt. Außer den genannten Schriften und Briefen besitzt man von ihm auch eine Lobrede zu Ehren der hl. Maura. Die sg. Bertinianischen Annalen soll er v. J. 835 bis 861 fortgesetzt haben. Wir sind nicht im Stande, die Richtigkeit dieser Angabe zu beweisen, über welche die Forscher im Streite liegen, aber daß ihm diese Fortsetzung überhaupt zugeschrieben wurde, ist ein neuer Beweis der Berühmtheit seines Namens bei den Mit- und Späterlebenden.