Vorstellung

[686] Vorstellung (repraesentatio) heißt das aus den Empfindungen und Wahrnehmungen durch Assoziation und Reproduktion des Gleichartigen und Verwandten gewonnene allgemeine psychische Gebilde. Die Wahrnehmungen setzen die Anwesenheit des Objektes voraus; die Vorstellungen kommen und gehen, ohne daß die Objekte derselben gegenwärtig sind. Sie bilden die Grundlage der Begriffe, die aus ihnen durch logische und apperzeptive Gestaltung hervorgehen. Die Vorstellungen sind entweder gleich oder ungleich, letztere wieder vergleichbar oder disparat. – Leibniz (1646-1716) und Herbart haben allerdings den Begriff Vorstellung in viel weiterer Bedeutung genommen und ordnen ihm alle psychischen Vorgänge unter. Doch geschah dies kaum mit Recht. Nach Herbart (1776-1841) sind die Vorstellungen sogar Kräfte und hemmen und fördern einander, sie steigen und sinken, verschmelzen sich oder widerstreben einander, drängen sich in der Enge des Bewußtseins, bis die schwächere unter die »Schwelle des Bewußtseins« sinkt und die stärkere steigt. Jede strebt wieder zur früheren Klarheit zu gelangen, wodurch ein stetes Schwanken und Schweben der Vorstellungen erzeugt werde. Diese ganze »Statik und Mechanik« der Vorstellungen ist aber unhaltbar. Herbart betrachtet in ihr das Bewußtsein wie einen ideellen Raum, in welchem sich die Vorstellungen durch eigene Kräfte selbständig bewegen. Das ist jedoch eine falsche Übertragung mechanischer Vorgänge auf das Seelenleben, die durch nichts gerechtfertigt ist. Den Wechsel der Vorstellungen veranlassen ganz andere Einflüsse: Reize, Empfindungen und Interessen. Über die Gesetze der Reproduktion, über Gedächtnis und Phantasie s. die einschlägigen Artikel.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 686.
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