Anno 1711
§ 111

[268] Diese äußerliche Versuchung war die Vocation zu dem Rectorat nach Hirschberg in Schlesien, welche ich im Advent bekam, gleich da es an dem war, daß man mir die Vocation in die Peters-Kirche[268] ehestens einhändigen sollte. Damals war unter den Candidatis Ministerii [für das Predigeramt] ein Leipziger: Bürgermeister Gräve war sein Pate, und bei D. Günthern gieng er an Tisch. Seine Mutter, so eine Witwe, und die Frau D. Güntherin, waren Herzens-Freundinne zusammen. Diese seine Gönner und Gönnerinnen faßten einen Anschlag, und sannen auf Mittel, wie sie denselben in Leipzig behalten, und bei der Peters-Kirche, mit deren Bau man schon ziemlich weit gekommen war, anbringen möchten. Ich stund ihnen im Wege, und also mußten sie vor allen Dingen wünschen, daß ich anderwärts möchte befördert werden. D. Plaz war mein größter Patron, und schon vor zwei Jahren eine der Haupt-Ursachen von meiner Erwählung gewesen. Diesen mußte man suchen zu gewinnen, worzu sich auch gar gute Gelegenheit ereignete. Das Jahr zuvor, Anno 1710 hatte man den Gottesdienst in der Pauliner-Kirche angefangen, welches insonderheit D. Plazen entgegen war, als der da meinte, daß dieses dem Juri Patronatus [Patronatsrecht], so der Rat in Leipzig, in Ansehung aller Kirchen, hätte, entgegen liefe. Man trug mir Anno 1711 auf den dritten Oster-Feiertag in der Pauliner-Kirchen an zu predigen. Ich nahm die Predigt an, und den Sonntag drauf gleich noch eine, so daß viel Leute dadurch auf die Gedanken kamen, als ob man mich zu einem beständigen Prediger und Catecheten in die Pauliner-Kirche vociren, oder doch sehr oft in derselben aufstellen würde. Ich tat meine Predigten in aller Einfalt, ohne etwas von den Differenzien zwischen dem Rat, und der Universität wegen gedachter Pauliner-Kirche zu wissen: einige Generalia ausgenommen, die mir etwan davon zu Ohren kommen waren. D. Plaz, da er solches gehöret, war auf einmal wider mich aufgebracht worden, und mein Glücke war, daß ich eben zu der Zeit, da er wider mich eingenommen, und meine Partei zu abandoniren [aufzugeben] sich gänzlich entschlossen hatte, zu ihm kam, ihm meine Aufwartung zu machen. Er redete anfangs ganz kaltsinnig mit mir, endlich aber schenkte er mir klaren Wein ein, und sagte: wenn ich bei der Universität meine Beförderung suchen wollte, so würde ich seiner weiter nicht bedürftig sein: ich hätte ja zweimal in der Pauliner-Kirche geprediget, und großen Zulauf gehabt. (Denn wenn ich damals als Magister predigte, und die Leute es erfuhren, so kamen sehr viel, mich zu hören.) Ich wußte nicht, was ich aus seinen Reden machen sollte; da er aber meine höchste Einfalt und Unschuld merkte, und ich ihm sagte, daß er mir selbst seltsam vorkommen sei, daß ich zweimal hinter einander in der[269] Pauliner-Kirchen, da ich bei der Universität keine Patronos hätte, zu predigen invitiret [eingeladen] worden, so war er beinahe geneigt zu glauben, daß solches nicht ohne Ursache müßte sein veranstaltet worden. Wie ich denselben nun jederzeit vor einen Mann gehalten, der nicht leiden konnte, wo man auf gewisse Weise etwas bei ihm zu erhalten suchte: so wurde er den Augenblick dadurch desto mehr auf meine Seite gelenket, und versicherte mich seiner Gunst, gab mir auch sein hohes Wort, ich sollte mir deswegen keinen Kummer machen, sondern mich kühn darauf verlassen, es sollte niemand anders, als ich, in der Peters-Kirchen Prediger werden, gleichwie ich schon einmal dazu wäre erwählet worden: und er wollte dem Dinge ehestens ein Ende machen, welches auch bald darauf geschahe.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 268-270.
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