Weinstein

[410] Weinstein (Tartarus) ist das in dem Moste verschiedner Obstsäfte, vorzüglich aber im Weinbeermoste enthaltene, bei der Weingährung theils in den Hefen sich niederschlagende, theils auch nachgehends bei Aufbewahrung des schon fertigen Weins an den innern Wänden der Fässer als eine harte Salzkruste sich anlegende, säuerliche, unreine Salz, welches in seinem rohen Zustande, je nachdem es aus rothen Weinen sich abgesondert hat, den schmutzig röthlichen Weinstein, oder den schmutzig weißen (tartarus crudus ruber, albus) aus blanken Weinen darstellt. Aus diesem rohen Material wird er zum Behufe der Arznei rein ausgezogen und von den auszugartigen und erdigen Theilen geschieden in einigen großen Fabriken bei Montpellier, in Venedig und ehedem auch am Rheine, mittelst Waschen mit kaltem Wasser, Auflösen in siedendem[410] Wasser, Durchseihen und Raffiniren des graulich angeschossenen Produkts entweder durch Beimischung eines aufgelöseten weißen, fast kalkfreien Thons (wie bei Montpellier) oder durch Zusatz von etwas Holzasche und geschlagenem Eiweiße (wie in Venedig), beides Handgriffe, die sich ersparen lassen, wenn man die siedendheiße Auflösung des grauen Salzes so oft durch gröblich gepülverte Holzkohlen seihet, bis die Lauge wasserhell und farbelos durchläuft, da sie dann bei der allmähligen Erkaltung in halbdurchsichtigen, weißen, undeutlich kubischen Krystallen anschießt, Weinsteinkrystallen (Crystalli tartari). Diese sind dasselbe Salz, als die oben auf der Gaarlauge entstehende Kruste, die man ehedem vorzugsweise Weinsteinrahm (Cremor tartari) nannte. Jetzt werden wie billig unter diesem Nahmen die gepülverten Weinsteinkrystallen gegeben, die mit jener Salzhaut gemeinschaftlich den Nahmen, gereinigter Weinstein (Tartarus depuratus) führen, und völlig von gleicher Beschaffenheit sind.

Dieser gereinigte Weinstein ist ein übersaures Neutralsalz aus drei Theilen Weinsteinsäure und einem Theile Potaschlaugensalz zusammengesetzt, von kühlend säuerlichem Geschmacke, welches bei einer Temperatur von 50° Fahr. in 160, bei 65° in 108, und bei der Siedehitze in 22 Theilen Wasser auflöslich, bei Glühehitze einen säuerlich stechenden, und bränzlicht riechenden, stark rußenden Rauch von sich giebt, dann mit Flamme brennt und eine Kohle hinterläßt, aus der das im Weinstein vorhandene Laugensalz mit Wasser auszuziehen ist.

Da man die Gaarlauge bei seiner Raffination in den Fabriken immer in kupfernen Koffein anschießen läßt, so wird, wenn leztere zuweilen nicht ganz blank gescheuert waren, der Weinstein nicht selten kupferhaltig, eine gefährliche Beimischung, die sich durch Schütteln und Auflösen der gepülverten Krystallen in luftsauerm Ammoniaklaugensalze (gemeinem Salmiakgeiste) durch die blaue Farbe wahrnehmen läßt. Da jedoch auch, betrüglicherweise, wohlfeiler Vitriolweinstein unter den Weinsteinrahm gemischt werden soll, so kann man die Beimischung jenes und ähnlicher zugefügten Salze entdecken, wenn man z.B. 1000 Gran des verdächtigen Weinsteins unter stetem Umrühren, auf einem irdenem Scherbel zu Asche verbrennt, diese mit konzentrirter reiner Essigsäure sättigt, das Salz eindickt und nun in höchst rektifizirtem Weingeiste auflößt. Die bei dieser Auflösung sich absondernden Salze lassen sich dann ferner chemisch ausfindig machen. Von reinem unverfälschtem Weinsteine bleiben keine zurück, und unter den Erden gewöhnlich nur etwas Kalkerde, die bei dem französischen Weinsteine ihren Ursprung von dem zur Raffination genommenen, nicht ganz kalkfreien Thone entlehnt.

Als Arznei betrachtet bleibt der Weinstein ein angenehmes und sehr hülfreiches Mittel, die Energie des Herzens und der Schlagadern abzuspannen, sehr zuverlässige, obgleich wässerige Ausleerungen durch den Stuhl in der[411] Gabe von einigen Quentchen zu erregen, und wo diese nicht erfolgen, doch durch Harn und Schweiß zu wirken, überhaupt aber in Gallkrankheiten mehrerer Art, vorzüglich wo rein entzündliche Zustände vorwalten und in ähnlichen Wassersuchten, Manien, u.s.w. sich hülfreich zu erzeugen. Sein lang anhaltender, oder doch öfters wiederholter Gebrauch, selbst in kleinen Gaben, schwächt aber die Verdauungswerkzeuge ungemein.

Ausserdem wird er noch in vielen Künsten genutzt.

Wird die Verkohlung des Weinsteins über freiem Feuer in irdenen Retorten unternommen, und die Vorlage mit der Hülfsröhre (gezeichnet unter Salmiakgeist), angekittet, so entwickelt sich eine große Menge brennbares und luftsaures Gas, welches durch die Hülfsröhre entweicht, und in der Vorlage findet sich nächst dem schwarzen, brandigen Oele (bränzlichtes Weinsteinöl, Oleum tartari foetidum, s. empyreumaticum) welches ehedem zu äusserm Gebrauche, zur Auflösung harter Geschwülste, zur Einreibung in gichtische und gelähmte Glieder, zur Reinigung fauler Geschwüre und zu Krätzsalben (empirisch) gebraucht ward, auch eine Art schwacher, klarer, bränzlicht riechender Holzsäure, der Weinsteingeist (Spiritus tartari, Acidum tartari destillatum, s. empyreumaticum, acidum pyrotartarosum) welcher schnell von dem Oele abgeschieden werden muß, weil er sonst des lezteren viel auflößt und einen bittern Geschmack erhält. Vor sich wieder übergetrieben giebt er den rektifizirten Weinsteingeist (Spiritus tartari rectificatus), den man in ältern Zeiten für ein eröfnendes, Schweiß, Harn und Monatzeit treibendes Mittel, auch in Lähmungen und der Gelbsucht für dienlich hielt; er kömmt noch zur Zusammensetzung einiger pharmazeutischen Formeln, und muß daher nicht von Droguisten (in oft sehr gewässertem Zustande) gekauft, sondern selbst vom Apotheker verfertigt werden – wozu man auch rohen Weinstein nehmen kann.

Der kohlichtschwammige Rückstand in der Retorte wird im Schmelztiegel oder, besser, im freien Flammenzuge bis zur Weiße geglühet, gepülvert und mit destillirtem Wasser ausgelaugt. Die durchgeseihete und bis zur Trockenheit unter Umrühren eingedickte Lauge giebt dann ein sehr reines Gewächslaugensalz (Weinsteinsalz, Weinsteinlaugensalz, Sal tartari, Alcali tartari), welches aber vor dem aus der Potasche gezogenem reinem Laugensalze keine merklichen Vorzüge hat ( Potaschlaugensalz unter Potasche).

Dieses so wie jenes Gewächslaugensalz muß hart getrocknet, und noch heiß in verstopften Flaschen aufbewahret werden, sonst zieht es Feuchtigkeit aus der Luft an und zerfließt zu einer dicklichen Flüssigkeit (die man unschicklich zerflossenes Weinsteinöl Oleum tartari per deliquium, besser zerflossenes Weinsteinlaugensalz, Liquamen salis tartari benennt; unter Potaschlaugensalz) da in demselben sich gewöhnlich noch 15/100 kaustisches, d.i. nicht mit Luftsäure gesättigtes, also zerfließbares Laugensalz befinden.[412]

Die Alten nutzten diesen kaustischen Therl des Weinsteinlaugensalzes und löseten ihn in Weingeiste auf zur Weinsteinsalztinktur, oder Weinsteintinktur (Tinctura tartari s. salis tartari Helmontiana). Zu dieser Absicht glüheten und schmolzen sie das Weinsteinlaugensalz so lange im Tiegel, bis es eine grüne, ins Blaue spielende Farbe erlangt hatte, stießen es, noch heiß, im heißen Mörsel, trugen es noch möglichst warm in eine Flasche, worin sich höchst rektifizirter Weingeist befand, und erhielten die Mischung unter öfterm Umschütteln so lange in Digestion, bis der Weingeist eine schöne rothe Farbe erlangt hatte.

Da aber blos das kaustische Gewächslaugensalz in Weingeist auflösbar ist und sich mit lezterm zur Weinsteintinktur verbindet, so umgeht man schicklicher dieses Schmelzen des Potaschlaugensalzes vor sich (wobei, wenn der Tiegel ein gewöhnlicher irdener war, immer ein großer Theil der Kieselerde des Sandes im Gefäße mit aufgelöset, auch wohl der Tiegel durchbohrt wird) indem man ein mit lebendigem Kalk völlig kaustisch gemachtes Potaschätzsalz, oder den Aetzstein (w.s.) in einem glühenden Tiegel erhitzt, ihn, im heißen Mörsel gepülvert, noch möglichst warm in vier Theile des entwässertsten Weingeistes in einen Kolben trägt, und diesen, mit angekittetem Helme und Vorlage versehen, in einer Sandkapelle drei bis vier Tage lang einer gemäsigten Digerirwär me aussetzt, bis der Weingeist eine dunkel rothbraune Farbe erlangt hat. Diese Weinsteintinktur ist an Arzneikräften allen andern ähnlichen Tinkturen z.B. der scharfen Spießglanztinktur, der Metalltinktur u.s.w. ( unter Spießglanz) völlig an die Seite zu setzen und für den Arzt ihrer einfachen Zubereitung wegen empfehlungswerther. Ihre Arzneikräfte sehe man bei Spießglanztinktur (unter Spießglanz) nach.

Indessen führt diese Flüssigkeit den Nahmen der Weinsteintinktur jezt nur sehr uneigentlich, da zu ihrer Bereitung kein theurer Weinstein unnützerweise mehr zu Weinsteinlaugensalz verbrannt, sondern immer nur gereinigtes Laugensalz aus Potasche dazu verwandt wird, wie billig.

Mit dem möglichst geringsten Verluste läßt sich der gereinigte Weinstein in seine zwei Bestandtheile, Gewächslaugensalz und Weinsteinsäure völlig zerlegen, wenn man zwei Pfund frischgebrannten und mit wenig Wasser zu unfühlbarem Pulver gelöschten Kalk mit sieben Pfund Weinstein und einer hinreichenden Menge Wasser einige Stunden nach einander kocht, und das Gemisch durch Leinwand seihet, da dann die hell durchgelaufene Lauge bei ihrer Eindickung das ätzende Gewächslaugensalz des Weinsteins, der Satz im Filtrum aber den sogenannten Weinsteinselemit liefert, aus welchem die reine Weinsteinsäure von der damit verbundenen Kalkerde durch Digestion mit Vitriolsäure abzuscheiden ist.

Gewöhnlich pflegt man aber diesen Weg zur Abscheidung der Weinsteinsäure nicht zu wählen, sondern nimmt lieber eine milde Kalkerde zu diesem Behufe.[413]

Zwei Pfund von den eisenschüssigen Adern gesäuberte und fein gepülverte Kreide wird, um alles Salzige auszuziehen, wohl mit Wasser ausgekocht, dann aber nach Abgießung dieses Wassers mit zehn Pfund reinem, siedendem Wasser in einem zinnernen Kessel über gelindes Feuer gesetzt. Nun trägt man unter beständigem Umrühren so lange wohlgepülverte Weinsteinkrystallen hinzu, bis weiter kein Aufbrausen zu spüren ist, wozu man etwa sieben Pfund der leztern braucht. Man nimmt den Kessel vom Feuer und schüttet das Ganze in einen Aussüßungstopf (an welchem mehrere Löcher über einander angebracht sind, mit hölzernen Stöpseln verschlossen). Wenn sich alles zersetzt hat, so läßt man die Flüssigkeit (welche abgedampft tartarisirten Weinstein liefert) durch eine der Seitenöfnungen des Topfes rein ablaufen süßet den Satz, welches der Kalkweinstein (Weinsteinselenit, weinsteinsaurer Kalk, calx tartareus, selenites tartareus) ist, mehrmals mit kochendem Wasser aus, bis es geschmacklos abläuft, und vermischt ihn in einem großen steinzeugnen Topfe mit zwei Pfunden konzentrirter Vitriolsäure, die mit sechszehn Pfunden Wasser verdümmet worden. Diese Mischung wird in gelinde Digestion etliche Tage hingestellt, und öfters umgerührt, worauf die klare Flüssigkeit rein abgegossen, und mit derjenigen, die bei Auspressung des Rückstandes (Gypses) noch abträufelt, vermischt, in einer porzellainen oder (wie unter Abdampfschalen gelehrt worden) in einer auswendig beschlagenen gläsernen oder steinzeugnen Schale bei gelindem Feuer bis zum Drittel abgedampft und wenn nach der Erkaltung der niedergefallene Gyps abgesondert worden, bei einer Digestionswärme vollends freiwillig abgedunstet wird, bis sich ein reichlicher Anschuß blätteriger und rhomboidalisch tafelartiger Krystallen mit scharfen Spitzen gebildet hat, nämlich die reine, krystallisirte (wesentliche) Weinsteinsäure (Sal essentialis tartari, Acidum tartari crystallisatum), welche, auf Fließpappier an der Luft zu klingend harten Krystallen getrocknet, so gut als völlig frei von Vitriolsäure, wenigstens in arzneilicher Rücksicht zu achten ist, während die noch damit verunreinigten Krystallen immer feucht bleiben. Hat man aber hierüber noch Zweifel, das ist, zeigt wirklich eine Probe dieses Salzes in Bleisalpeterauflösung geworfen, einen merklichen Niederschlag (Bleivitriol) oder ist aus Versehen das Salz des ersten Anschusses nicht weiß genug ausgefallen, so wird es in Wasser aufgelößt, und bei gelindem Abdunsten in Digestionswärme wieder zur Krystallisation gebracht. Die rückständigen Laugen werden durch ferneres Abdunsten, doch, um ihnen die braune Farbe zu benehmen, unter Zusatz von etwas Salpetersäure, fernerhin zum Anschießen gebracht, und der Anschuß, wo nöthig, durch Wiederauflösen raffinirt. Man erhält wenigstens ein Viertel des Gewichtes der dazu angewendeten Weinsteinkrystallen. Der Apotheker darf aber nie das Eindicken der Lauge statt des Krystallisirens[414] wählen, da jenes stets ein vitriol- und essigsaures, immer feuchtendes Produkt giebt.

Ungeachtet der Kalkweinstein vor sich ein weit unauflösbareres Salz ist, als der Gyps und die Abscheidung der Weinsteinsäure von der Kalkerde deshalb durch Vitriolsäure unmöglich scheinen könnte, so ändern sich doch die Wahlverwandschaften gänzlich, wenn freie Säure hinzukömmt, da dann zwar auch der Gyps auflöslicher als in vollkommenem Zustande, der Kalkweinstein hingegen noch bei weiten auflöslicher als der Gyps wird. Dieselbe Bewandniß hat es mit Abscheidung der Zuckersäure aus dem Sauerkleesalze durch Kalkerde und Vitriolsäure.

Die Krystallen der reinen Weinsteinsäure besitzen einen ungemein sauern, doch nicht ätzenden Geschmack, und eine weiße Farbe, verändern sich nicht an der Luft und lösen sich in gleichen Theilen kochendem Wasser auf. Ihre Auflösung darf mit der ein getröpfelten salpetersauern Schwererde nach dem Umrühren keinen weißen Niederschlag (wiedererzeugten Schwerspat welcher 26 Prozent seines Gewichts Vitriolsäure verräth) bilden, also keine Vitriolsäure enthalten. Im Feuer verbrennen sie mit dem Geruche fast wie von geröstetem Zucker gänzlich, unter Hinterlassung von höchst wenig Asche oder Kohle, aus der man nichts Salzhaftes ziehen kann. Durch eingetröpfeltes Gewächslaugensalz fällt ihre Auflösung allmählich zu wiedererzeugtem Weinsteine nieder. Auch aus der Verbindung mit Mineralsäuern schlägt diese Säure das Gewächslaugensalz zu Weinstein größtentheils nieder.

Man hat sich ihrer mit Vortheil als einer kühlenden Arznei in Gallenfiebern bedient.

Der gereinigte Weinstein bildet mit Laugensalzen gesättigt, sehr leicht auflösliche Neutralsalze, den tartarisirten Weinstein, das Seignettesalz, und den Ammoniakweinstein, welche die gemeinsame Eigenheit besitzen, auf Zusatz irgend einer Säure, (die Luftsäure etwa ausgenommen) sich zu zersetzen, und den schwerauflöslichen Weinstein wieder niederfallen zu lassen, des ihn vorher leichtauflöslich machenden, und neutralisirenden Laugensalzes beraubt; ein Umstand, der dem Arzte nicht erlaubt, diese Neutralsalze unter flüssige Arzneien zu mischen, welche zugleich freie Säure enthalten, ohne in den Verdacht der Unwissenheit zu fallen.

Um den tartarisirten Weinstein (Potaschweinstein tartarus tartarisatus, Alcali vegetabile tartarisatum, Kali tartarisatum, auch wohl zweideutig Sal vegetabilis, wie das Potaschessigsalz, und unrichtig tartarus solubilis genannt, ein Nahme, der dem Ammoniakweinstein zukömmt) zu verfertigen, trägt man zu vier Pfund gereinigtem, in fünf Pfund kochendem Wasser aufgelösetem Potaschlaugensalze in einem über gelindem Feuer stehendem Kessel gepülverten gereinigten Weinstein so lange in gemäsigten, zulezt ganz kleinen Portionen, bis alles Aufbrausen nachläßt, und alles Laugensalz gesättigt ist, das ist, bis ein mit Kurkumä gelb gefärbtes Papier nicht mehr braun, oder[415] ein mit Essigdampf geröthetes Lakmuspapier nicht mehr blau wird, wozu etwa acht bis neun Pfund Weinstein erforderlich sind. Man seihet nun die Salzlauge durch, (der Satz im Filtrum ist als Kalkweinstein zur Bereitung der wesentlichen Weinsteinsäure zu benutzen) und dampft sie im zinnernen Kessel über gelindem Feuer unter beständigem Umrühren bis zur Konsistenz eines steifen Teiges ein, den man auf weißem Papiere über ein Sieb ausgebreitet bei Digestionswärme hart trocknet, dann fein pülvert und in verstopften Gläsern vor der Feuchtigkeit der Luft als vollkommen neutralsalzigen tartarisirten Weinstein verwahrt. Er schmeckt gelind salzig, und löset sich in zwei Theilen seines Gewichtes kaltem Wasser auf, eine Auflösung, die den Rahmen Liquor tartari tartarisati führt, aber nicht so fertig aufbewahrt werden kann, da sie bald schimmelt und verdirbt.

Der tartarisirte Weinstein dient am schicklichsten als Laxirmittel, wo andre Abführungsmittel wegen überwiegender Säure in den ersten Wegen nicht wirken. Er ist mit Vortheil in einigen Manien gebraucht worden, erregt aber leicht Aufblähung des Unterleibes und bei fortgesetztem Gebrauche große Schwäche der Verdauungswege.

Wird er in Krystallgestalt vorlangt, so wird bei seiner Bereitung etwas überschüssiges Gewächslaugensalz zugesetzt, da dann die verdickte Lauge bei freiwilligem Abdunsten in vierseitigen Prismen anschießt, deren zwei einander schief gegenüber stehende Kanten abgeschärft sind, mit kurzen Endspitzen aus zwei fünfseitigen Flächen zusammengesetzt. Auf Fließpapiere getrocknet sind sie luftbeständig.

Löset man zwölf Pfund eingedickten tartarisirten Weinstein in vier und zwanzig Pfunden kochendem Wasser auf, oder sättigt, um wohlfeiler zu Werke zu gehen, acht Pfund mit vier und zwanzig Pfund siedendem Wasser vermischten Weinsteinrahm mit so viel nöthig roher Potasche, trägt dann in eine von beiden Laugen in vollem Ende zwanzig Pfund krystallinisches gepülvertes Glaubersalz, und nimmt, wenn lezteres beim Umrühren schnell aufgelöset worden, die Lauge vom Feuer und läßt sie so schleunig als möglich im Keller oder einem noch kältern Orte möglichst ungerührt erkalten, so wird sich das Gewächslaugensalz des tartarisirten Weinsteins mit der Vitriolsäure des Glaubersalzes größtentheils als Vitriolweinstein am Boden abgesondert haben, von welchem man die überstehende helle Lauge abgießt und an einem temperirten Orte (von etwa 75° Fahr.) unter freiwilliger Verdunstung und Einwerfung einiger Seignettesalzkrystallen anschießen läßt, da man dann einen Anschuß von großen, kurzen, ungleich sechsseitigen (fast vierkantig scheinenden) Säulen ohne Endspitzen erhält, das Seignettesalz, (Rochellesalz, Sodaweinstein, Sal Seignette, s. polychrestus de Seignette, Sal rupellensis, Soda tartarisata), mehr als man glaubt frei von Vitriolweinstein, und zu allen arzneilichen Absichten tauglich:[416] (Ein Apotheker zu Rochelle, Nahmens Seignette, erfand es zuerst).

Während der kurzdauernden Erkaltung der ruhig und unbewegt bleibenden Lauge kann kein Seignettesalz anschießen, wohl aber (vorzüglich wenn die Erkaltung weit gediehen ist, wenigstens bis 52° Fahr.) der Vitriolweinstein daraus sich in der Maße absondern, daß nun von lezterm nichts weiter in einer wärmern Temperatur beim ersten Anschusse des Seignettesalzes sich wieder anlegen kann. So bald jedoch Spuren von Vitriolweinstein an den Seignettesalzkrystallen anzufliegen anfangen, nimmt man den ersten Anschuß heraus und bearbeitet die Mutterlauge wie vorhin, das ist, man dampft sie bei gelinder Kochhitze bis etwa zur Hälfte ein, läßt die Lauge schnell und möglichst stark erkalten und bringt sie dann vom niedergefallenen Vitriolweinstein rein abgegossen, in temperirte Wärme zum zweiten Anschusse. Ein Handgriff, der auch bei andern ähnlichen Salzzersetzungen vortreffliche Dienste leistet.

Sonst wird noch hie und da die unmittelbare Sättigung des Weinsteins mit gereinigtem Sodalaugensalze zur Bereitung des Seignettesalzes unternommen, so daß vier Pfund gereinigtes Sodalaugensalz in einem zinnernen Kessel über gemäsigtem Feuer in vier und zwanzig Pfunden siedendem Wasser aufgelößt, und mit (etwa eilf Pfunden) gepülverten Weinsteinkrystallen dergestalt gesättigt werden, daß man nicht eher eine neue Portion hinzuträgt, als bis die erstere aufgelößt worden, und so lange, bis der zulezt eingetragene Theil kein Aufbrausen mehr erregt. Die durchgeseihete Lauge dampft man bei gelindem Feuer und unter Einwerfung von etwas überschüssigem Sodalaugensalze (die nachgängige Bildung der Krystalle zu befördern) bis zur dünnen Sirupsdicke ab und stellt sie in einem steinzeugnen Topfe hin, zum allmählichen Anschießen. Es enthält etwa 18 Prozent Mine rallaugensalz.

Das nach lezterer kostbarer Methode erhaltene Seignettesalz enthält noch tartarisirten Weinstein und zerfällt an der Luft, während das nach ersterer Art bereitete freier von fremden Salzen ist, und an der Luft gewöhnlich hell bleibt.

Ueberhaupt ist das Seignettesalz von salzig kühlendem, etwas bitterm, doch noch gelinderm Geschmacke als selbst der tartarisirte Weinstein, mit dem es in Absicht des Behufs, als Säure brechendes Laxirmittel, übereinkömmt, und lezterm sogar zu dieser Absicht in der Praxis noch vorgezogen wird. Es zersetzt sich wie der tartarisirte Weinstein auf Zusatz jeder Säure, fast blos die Luftsäure ausgenommen, und läßt den wiedererzeugten Weinsteinrahm zu Boden fallen.

Eine entfernte Aehnlichkeit mit dem Seignettesalze hat der Boraxweinstein (auflöslicher Weinsteinrahm, cremor tartari solubilis, tartarus boraxatus, borax tartarisata). Diesen zuverlässiger zu bereiten, als unter Boraxweinstein angegeben worden, löset man drei Theile gepülverten Borax in sieben bis acht Theilen Wasser im Sieden auf, und setzt allmählich so viel Weinsteinrahm[417] hinzu, bis die lezte Portion unaufgelößt liegen bleibt, wozu etwa neun bis zwölf Theile des leztern gehören. Man filtrirt die Lauge und dickt sie in einer gläsernen beschlagenen ( unter Abdampfen) oder einer porzellainenen Schale unter stetem Umrühren so weit ein, bis eine kleine auf einen kalten Stein gelegte Probe brüchighart wird, breitet dann die gilbliche, gummiartig zähe Masse auf einer steinernen Platte aus, pülvert sie gleich nach dem Erkalten, und bewahrt sie in verstopften Flaschen auf. Dieses Pulver feuchtet leicht an der Luft, löset sich in wenig Wasser auf, und hat einen sauern Geschmack.

Man bedient sich desselben als eines kühlenden Mittels, welches aber die harntreibenden Kräfte des einfachen Weinsteinrahms nicht äussern soll, wie man versichert. Dieses Präparat scheint zwar dadurch so leichtauflöslich zu werden, weil ein Theil der Säure des Weinsteins durch das Sodalaugensalz des Borax zu einem seignettartigen Salze sich verbinde; indeß steht dieser Erklärung die auffallende Säure des Produkts und der Umstand im Wege, daß die Boraxsäure (Sedativsalz) dem Weinsteine selbst in sehr kleinen Verhältnissen zugesetzt, leztern eben so leicht auflöslich im Wasser und zu wahrem Boraxweinsteine macht.

Noch seltenern Gebrauchs ist der Ammoniakweinstein oder sogenannte auflösliche Weinstein (tartarus solubilis, tartarus solubilis ammoniacalis), bei dem der Weinsteinsäure ein doppeltes Laugensalz, das ammoniakalische und das vegetabilische, zum Grunde liegt. Man trage in einen langhälsigen Kolben, welcher zwei Pfund destillirtes Wasser enthält, ein Pfund Weinsteinrahm und ein Pfund flüchtiges Salmiaksalz, verstopfe die Mündung mit Papier und lasse ihn unter täglich mehrmahligem Umschwenken einige Tage über bei gewöhnlicher Lufttemperatur stehen, bis sich keine Luftblasen mehr entwickeln, aber doch noch einiger Weinsteinrahm am Boden liegt. (Sollte lezteres nicht erfolgen, so müßte noch etwas Weinstein nachgetragen werden). Diese gesättigte Lauge wird durchgeseihet und bei Digerirwärme in einer offenen Schale der Selbstverdunstung überlassen. Das zur Masse eingetrocknete, noch warme Salz wird gepülvert und in verstopften Gläsern aufbewahrt.

Setzt man aber der vor sich abdunstenden Lauge etwas überschüssiges Ammoniaklaugensalz zu, so bildet sich das Salz zu vierseitig säulenförmigen, oder schrägwürfelicht pyramidalischen Krystallen, welche aber an der Luft verwittern, mehlicht werden und nächst dem Krystallisationswasser auch einen Theil Ammoniak verlieren. Sie müssen daher in wohlverstopften Flaschen aufbewahret werden.

Dieses ungemein leichtauflösliche Salz (dessen leicht schimmelnde Auflösung den Nahmen liquor tartari solubilis führt) hat einen bittern, kühlenden Geschmack, zersetzt sich in der Hitze unter Verfliegung des flüchtigen Laugensalzes, in der Kälte aber durch jede Säure, die Luftsäure ausgenommen, und ist an Arzneikräften[418] dem Ammoniakessigsalze und dem Potaschessigsalze an die Seite gesetzt worden, ohne daß man praktische Beweise dafür anzuführen weiß.

Das mit der reinen Weinsteinsäure zur Sättigung verbundene Ammoniaklaugensalz hat man Weinsteinsalmiak (Sal ammoniacus tartarisatus, Sal tartareus ammoniacalis) genannt, aber eben keinen arzneilichen Gebrauch davon gewacht.

Bei vollkommener Sättigung schießt es in säulenförmigen Krystallen an, welche aber schwerauflöslicher in Wasser als der Ammoniakweinstein sind, von kühlendem Geschmacke.

Wird aber die Weinsteinsäure nicht völlig, sondern nur zum Theil mit flüchtigem Laugensalze gesättigt, so fällt ein schwerauflösliches Pulver zu Boden, dem man den Nahmen flüchtiger Weinsteinrahm (cremor tartari volatilis) gegeben hat.

Man hat statt des Ammoniakweinsteins in Apotheken oft den tartarisirten Weinstein gegeben, da man doch in Deutschland unter tartarus solubilis den erstern meint, obgleich andre Nationen blos leztern darunter verstehen, und um erstern zu bezeichnen, des Ausdrucks tartarus solubilis Germanorum sich bedienen. Wenn man daher nicht ein Salz erhält, welches, ausser der Eigenschaft, auf Zusatz von Essigsäure, Weinstein niederfallen zu lassen, auch auf Eintröpfelung einer Potaschauflösung den stechenden Geruch des flüchtigen Laugensalzes entwickelt, so kann man gewiß seyn, daß man nicht wahren Ammoniakweinstein vor sich habe. Um allen Vorwand zu Irrungen wegzunehmen, sollte der Arzt dieses Salz nie schlechthin tartarus solubilis nennen, sondern stets tartarus solubilis ammoniacalis.

Die übrigen Verbindungen des Weinsteins und seiner Säure mit Metallen sehe man unter den einzelnen Metallen nach.

Des durch Verpuffung gleicher Theile gereinigten Weinsteins und Salpeters entstehenden reinen Laugensalzes, oder weißen Flusses ist unter Salpeter Erwähnung geschehen. Ein verpufftes Gemisch von zwei Theilen Weinstein und einem Theile Salpeter wird schwarzer Fluß (Fluxus niger) genannt; ein zur Reduktion der Metallkalke dienlicher Zusatz.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 410-419.
Lizenz:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon