Einleitendes

Paris ist eine Weltstadt. Es übt als solche eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die strebendsten Geister und die ausgesprochensten Charaktere. Schwerer als anderswo ist daher dort die Aufgabe für den Einzelnen, eine hervorragende Größe zu werden. Der Name des Glücklichen aber, dem dies auf irgend einem Wege gelang, wird auch eben deshalb durch die ganze gesittete Welt getragen. Paris, im vergangenen Jahre gleichzeitig von einer furchtbaren physischen und einer noch furchtbareren politischen Krankheit heimgesucht, von dem Bangen vor einem androhenden Kampfe geängstigt, dessen Ausbruch allein schon ein Unglück gewesen wäre, von dessen Erfolg jedoch das Schicksal Frankreichs, ja vielleicht Europa's abhing, hat inmitten der gährenden Aufregung eines so verhängnißvollen Momentes Ruhe und Muße zur Besprechung des Todes einer von der ersten dieser Krankheiten hingerafften Frau gefunden, welche sich längst von der Welt zurückgezogen hatte, und nur noch in dem Umgange mit einigen treuen Freunden lebte. Aber diese Frau gehörte einst zu den Berühmtheiten der Weltstadt, und der Bericht über ihren Tod hat der ganzen gesitteten[1] Welt die Erinnerung an ihr Leben erneuert. Diese Frau war Madame Recamier.

Madame Recamier war die reizende Frau eines Banquiers, der zu seiner Zeit ein großes, von den bedeutendsten Zeitgenossen besuchtes Haus machte. Es bot seiner Gattin Gelegenheit bekannt zu werden. Bald wurden Diejenigen, die sie näher kennen lernten, inne, daß in dem schönen Körper ein noch schönerer Geist wohne. Madame Recamier war das hülfreichste Weib, und vor allem die treuste Freundin. Das Unglück ihrer Freunde kettete die edle Frau nur noch fester an sie. Sie trotzte dem Verbote wie dem Zorne Napoleons, ja dem Schicksal selbst verbannt zu werden, um ihrer verbannten Freundin, Frau von Staël, in Coppet Trost zu bringen.

Das Vermögen des Mannes ging durch die Unbilden einer despotischen Regierung verloren, Jugend und Schönheit der Frau durch die Unbilden der noch despotischeren Zeit, das Gemüth ging nicht verloren, ja es gewann an Schönheit in dem Maße, als seine Hülle an dieser verlor. Sie blieb den Freunden, die Freunde blieben ihr, und diese Freunde waren die bedeutendsten Männer und Frauen Frankreichs.

Sie war so schön gewesen und so gut, daß es zu viel, und Manchen, die ihr ferner standen, zu verdrießlich gewesen wäre, würde ihr auch Geist zu Theil geworden sein. Auch machte sie keinen Anspruch geistreich zu sein und es ist eine Eigenthümlichkeit des geistreichen Wesens, wenn es nur im Bereiche der Geselligkeit Gelegenheit hat sich auszusprechen, daß es selten in Dem anerkannt wird, welcher es besitzt, wenn er nicht beansprucht, es zu besitzen. Aber[2] ihre näheren Freunde wußten dennoch, daß sie Geist besaß, und war er nicht gerade von der blitzendsten, so war er doch von der erwärmendsten Gattung. Und wir auch in der Ferne, wir wissen es durch diese Freunde, wie wir alles wissen, was sie betraf; wir wissen, aus welchen der Notabilitäten von Paris ihr Umgang bestand, welche ihrer Freunde sie überlebte, welche Kinder einer späteren Generation die Abgeschiedenen ersetzten, wir wissen wie es in ihrem kleinen Salon in der Abbaye-aux-Bois aussah, ja wir kennen Stelle und Stellung, in welcher ihr Freund Chateaubriand dort täglich saß. Wir hier in Deutschland wissen dies Alles auf's genaueste. Fünfzig Federn haben es uns beschrieben. Madame Recamier war eine Notalibität von Paris, und Paris ist eine Weltstadt.

Berlin ist es nicht. Hier starb vor etwa zwei Jahren eine Frau, reich, vielleicht unvergleichlich an Schönheit in der Lebensepoche, in welcher das Weib Anspruch auf diesen Vorzug hat, reicher noch an Gemüth, treu und aufopfernd in der Freundschaft gleichwie jene treffliche Französin, gleich ihr mit jenem wohlthuenden Geiste begabt, der darauf verzichtet zu blenden, in manchen Zweigen des Wissens bedeuten der als sie, wie sie in genauester persönlicher Beziehung zu fast allen hervorragenden Geistern ihrer Stadt, und dies zu der Zeit als diese noch den Namen der Hauptstadt der Intelligenz Deutschlands beanspruchen durfte, so wie mit den auswärtigen, wann diese irgend ihre Stadt besuchten, in brieflicher mit vielen der bedeutendsten Männer und Frauen Deutschlands, der Mittelpunkt eines geselligen Kreises, zu welchem die sammtbekleideten, goldbefranzten Stufen des Thrones nicht minder als die ärmliche Hütte des gesitteten[3] Dürftigen, und alle Abstufungen zwischen beiden, ihr Contingent stellten. Auch sie war die Gattin eines Mannes gewesen, dessen Haus der Sammelplatz der Notabilitäten war, wenngleich nicht sein Reichthum an Geld, sondern ein schätzenswertherer, der an Geist sie dort versammelte. Auch sie sah, gleich der Französin, Generationen an sich vorüberziehen, und auch sie blieb nicht verlassen, denn sie besaß noch in späten Jahren Anziehungskraft genug für diejenigen, welche nie Vorzüge des Körpers an ihr zu bewundern gehabt hatten. Auch sie hatte den Schmerz, die meisten Freunde ihrer Jugend, und Freunde, deren Namen nicht blos sie, deren Namen das ganze Vaterland mit Stolz und Verehrung nannte, vor sich in das Grab sinken zu sehen, und folgte ihnen gern. Aber hinsichts des Zeitpunktes ihres Todes war sie glücklicher als die Pariserin, ja glücklicher als sie selbst ahnte, denn sie erlebte den nahe auf ihn folgenden nicht, dessen wüste Wirren wie mit glühender Faust die harmonischen Saiten ihres Innern berührt hätten. Und muß unserer Ansicht von der Verwandtschaft beider Frauen nicht eine schlagende Bekräftigung durch den, einem tieferen Grunde als allein dem Zufalle zuzuschreibenden Umstand erlangen, daß der Prinz eines königlichen Hauses von einer Liebe zu der Französin erfüllt war, welche ihn bis zu einem Eheantrage an die äußerlich so weit unter ihm Stehende trieb, während sein, ihm an Geist verwandter, aber hervorragenderer und liebenswürdigerer Bruder von dem lebhaftesten Interesse für unsere Landsmännin beseelt war? –

Von dem Ableben dieser Letzten aber sprachen nur einige dürftige Berichte der Zeitungen, die von ihrem Leben noch[4] weniger sagten, weil dieses, wenngleich ihren Freunden bekannt, und denen, welche von ihr wußten nicht fremd, doch nie Gegenstand der Besprechung seitens der periodischen Presse gewesen war. Denn die periodische Presse Berlins hat nicht gleich jener der Seinestadt vorauszusetzen, daß das Interesse ihrer Stadt zusammenfalle mit dem der ganzen gesitteten Welt!

Dürfen wir aber den Werth der Erfolge, welche ein Mensch erreicht, nach der Größe der Hindernisse abmessen, welche sich ihm in ihrer Erreichung entgegensetzten, so möchte der der Erfolge unserer Landsmännin sie der berühmten Französin voranstellen. Denn Henriette Herz – sie ist es, von der wir sprechen – war aus einer jüdischen Familie, und sie hatte die tiefe Kluft zu überschreiten, welche der hartnäckigste weil unvernünftigste Feind, das Vorurtheil, zu der Zeit, während welcher sie in die große Welt eintrat, noch in dem Maße zwischen Christen und Juden geöffnet erhielt, daß selbst ihr väterlicher Freund und Glaubensgenosse, Moses Mendelssohn trotz seines damals schon europäischen Namens und seines liebenswürdigen Gemüths, nur solche seiner christlichen Mitmenschen zu seinen Freunden, ja zu seinem Umgange zählen durfte, welche ein wissenschaftliches Interesse ihm zugeführt hatte. Und sie überstieg diese Kluft, ja eigentlicher noch, sie zog die jenseits Stehenden zu sich herüber. –

So möchte es denn doch nicht ohne Interesse für die Mitlebenden sein, von der Frau, deren Namen zur Kunde Vieler gekommen sein wird, wenngleich sie nicht einer Weltstadt angehörte, Näheres zu erfahren, und um so mehr als wir im Stande sein werden, dies zum großen Theil vermittelst[5] ihrer eigenen Mittheilungen über sich und viele ihrer Verhältnisse, sowie ihrer eigenen Wahrnehmungen über Personen und Sachen zu bewirken. –

Doch fragen wir uns zuvor noch, wodurch diese Frau die Geltung und Wirksamkeit, deren sie sich erfreute, nicht nur im Lenze ihres Lebens schon erlangen, sondern auch während eines, über das gewöhnliche Ziel des Menschen hinaus verlängerten sich erhalten konnte.

Schon dieser letzte Umstand sagt uns, daß ihre, in der That seltene Schönheit allein dies nicht bewirkte, oder auch nur einen überwiegenden Antheil an solchem Erfolge beanspruchen durfte. Berlin zählte, besonders zur Zeit ihrer Blüthe, manche, den gleichen Kreisen angehörende glänzende Schönheiten, aber die Kränze, welche ihnen gereicht wurden, verwelkten mit der Eigenschaft, welche sie hervorgerufen hatte. Auch ihr Geist allein that es nicht. Schon zwei ihrer genaueren Freundinnen und Glaubensgenossinnen, Dorothea von Schlegel und Rahel von Varnhagen, überragten sie in dieser Hinsicht. Und doch, in wie naher und geistiger Beziehung auch sie zu den begabtesten Männern der Zeit standen, keine von ihnen konnte vielleicht, gleich Henriette Herz sich rühmen, daß ein Mann von der Tiefe Schleiermachers in der schönsten Zeit seiner Produktivität ihr fast täglich Bericht und Rechenschaft über seine wissenschaftlichen Leistungen gab. Ihr Wissen, wie schätzenswerth auch, konnte doch für die, sie darin so weit überragenden Koryphäen der Intelligenz, welche sie zu ihren nächsten Freunden zählen durfte, kein Reizmittel sein. An Gemüth und werkthätiger Liebe wurde sie vielleicht nicht übertroffen, aber doch von einigen edlen Frauen aus ihren eigenen Kreisen unzweifelhaft[6] erreicht. Und selbst der Verein aller dieser schönen, ihr theils in höherem, theils in minderem Maße inwohnenden Eigenschaften, konnte ihr den Zauber nicht verleihen, welcher, wo sie auch auftreten mochte, in der Heimath oder im fernen Lande, Höhere und Niedere magnetisch in ihren Kreis bannte.

Aber daß dieser seltene Verein auf dem Boden einer vollendeten Weiblichkeit ruhte, das ist es, was ihr eine eben so eigenthümliche, als für sie erfolgreiche Bedeutung verlieh. Sie mußte sie in den Augen gerade der Männer, welche diesen Namen am füglichsten verdienten, mit einem Reiz ausstatten, dessen viele ihrer sonst gleichbegabten Schwestern entbehrten. Diese reine Weiblichkeit ließ ihre Sittlichkeit siegreich aus allen Versuchungen hervorgehen, welche in einer großen Hauptstadt einem schönen, feingebildeten und fühlenden Weibe Männern gegenüber, welche männliche Schönheit mit männlichem Geiste im verlockendsten Vereine verbanden, nicht fehlen konnten, und verbreitete so einen Nimbus um sie, welcher dem Gemeinen, es zugleich blendend und zurückschreckend, fern von ihr zu bleiben gebot, während sein Glanz das Reine und Edle mächtig antrieb, sich ihr ehrfurchtsvoll zu nahen. Sie bot aber auch vermittelst dieser Weiblichkeit geistig den Männern etwas Anderes und Förderlicheres, als viele ihrer geistreicheren aber weniger weiblichen Schwestern es vermochten. Während die Letzteren, getrieben durch die mehr männlichen Eigenschaften ihres Geistes, sich kritisch, ja oft negirend gegen die geistigen Erzeugnisse der Männer verhielten, wobei jene Kritik bei der nie ganz zu beseitigenden Eigenthümlichkeit des weiblichen Geistes doch mehr das Einzelne[7] als das Ganze umfaßte oder traf, und daher den, welchem sie galt, nicht auf eine entsprechendere Bahn leiten, noch weniger aber ihm eine neue, eröffnen konnte, war auch der Geist unserer Freundin ein vollkommen weiblicher, ein empfangender. Nicht von sich abzuweisen, nicht der geistigen Schöpfung, welche ihr geboten ward, eine andere eigene gewissermaßen feindlich entgegenzustellen, war hier ihr Bestreben, vielmehr in sich aufzunehmen, in sich weiter zu bilden, und so dem schaffenden Freunde den lohnendsten und förderlichsten Dank für seine Thätigkeit entgegenzubringen durch liebevolles Verständniß. Und dieser Weg, wie er antrieb, ein so naturgemäßes Wechselverhältniß zu unterhalten, war auch für die Empfangende selbst um so mehr ein ersprießlicher, als, wie das sittlich Gemeine, auch das geistig Gewöhnliche ihr nicht zu nahen wagte.

Aber vertrug sich dieser Weg, der eine in die Augen fallende geistige Wirksamkeit für eine stillere, doch vielleicht segensreichere aufgab, von allen welche sie hätte einschlagen können allein mit der ihr eigenen schönen weiblichen Bescheidenheit, so vertrug er sich doch wenig mit einer Produktivität, deren Absicht es ist Eigenes hinzustellen. Doch jene Bescheidenheit, wie diese Wirkung derselben als ihr nothwendiges Ergebniß, wurden selbst von denjenigen ihrer Geschlechtsgenossinnen anerkannt, welche durch eine von der ihren verschiedene Natur ihres Geistes zu andern Kundgebungen desselben getrieben wurden, und die meisten ihrer näheren Freunde waren deshalb weit entfernt, ihr die Fähigkeit zur Produktion abzusprechen. Weniges könnte zu einem schlagenderen Beweise dafür dienen, und zugleich ehrender für die Ueberzeugung einer geistigen Befähigung sprechen,[8] die hie und da unterschätzt worden ist, als ein Brief ihrer eben so tiefen als geistvollen Freundin, Rahel von Varnhagen, der einzige von dieser an sie, welcher sich erhalten hat, und auch nur deshalb, weil die Schreiberin ihn mit den Worten schloß: »Verwahren Sie diese Charakteristik.« Sie sagt in demselben: »Einen Fehler haben Sie, und hatten Sie von je, liebste Freundin: Ihre zu große Bescheidenheit, die Ihnen nicht alle Selbstthätigkeit erlaubt, deren Sie durchaus fähig sind. Aber Ihnen schadet das weniger bei Ihren hohen Tugenden, deren Sie mit dem größten Talente Folge leisten.«1 – Erblickte übrigens Rahel in dieser Bescheidenheit einen Fehler, so haben wir dies an ihr nicht zu tadeln, vielmehr bei der entschlossenen Selbstthätigkeit ihres Geistes nur begreiflich zu finden.

Daß eine Frau wie Henriette Herz, nachdem eine beengende Schranke einmal siegreich durchbrochen war, noch den höchststehenden Männern nicht nur eine anziehende, sondern sogar eine erhabene Erscheinung sein konnte, wird nach dem Gesagten nicht befremden dürfen. Ihnen noch stand sie als eine, wenn auch gütige Gebieterin gegenüber. – »Möge die Herrin, die Herz, sich meiner freundlich erinnern!« – schreibt Chamisso an Hitzig, und ebenso an Wilhelm Neumann: »Vor allem aber grüße mir meine Herrin, Hofräthin Herz!«

So sehen wir auch die äußerlich Höchstgestellten, die Prinzen der größten Königshäuser als mit einer Wohlberechtigten mit ihr verkehren, ja Preußens König, dessen[9] früheste Erinnerungen mit der trefflichen Frau zusammenhängen, verleiht noch wenige Monate vor ihrem Tode durch den freundlichsten Besuch in ihrer Sommerwohnung im Thiergarten, und die zutraulichste Unterhaltung mit ihr, einer schon früher ihr erwiesenen werkthätigen Theilnahme eine höhere Weihe. – Und es sei uns vergönnt, diese einleitenden Worte mit einer anscheinend trivialen Anekdote zu beschließen, weil sie so bezeichnend für den Umfang des Kreises ist, in welchem die Freundin stets förderlich, auf wie verschiedenen Wegen immer, aber stets auf für sie wohlthuende Weise anerkannt, sich bewegte. – Auf eben der Stelle auf welcher der König damals stand, hatte nicht viele Jahre vorher ein armes Dienstmädchen gestanden, welches wahrscheinlich von der liebevollen Thätigkeit vernommen hatte, mit welcher sie unbemittelten jungen Mädchen, die sich zu Erzieherinnen bestimmten, und denen sie zu diesem Zwecke unentgeltlichen Sprachunterricht ertheilte, nach beendeter Ausbildung entsprechende Stellen zu verschaffen suchte, und nicht zweifelte, daß ihre hülfreiche Wirksamkeit in dieser Beziehung sich auch auf die Geringsten erstrecke, und sie, die eben aus dem Vorgarten des Hauses trat, mit den Worten angeredet: »Wohnt hier die Hofräthin Herz, die die Mädchens vermiethet?« –

Fußnoten

1 Rahel. Ein Buch des Andenkens für Freunde. Berlin 1853. 3 Theil. S. 436. – Der Brief ist vom 30. Mai 1830.


Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 10.
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