[102] Nicht weit von Neustadt am Rübenberge hatten wir uns in der Heide verirrt und sahen uns genötigt, einige da arbeitende Landleute nach dem Neustädter Wege zu fragen. Sie gaben uns zur Antwort: »Dat weet wi nik!«, worauf der eine den andern frug: »Brouer (Bruder), wat woolt thi Keihrels?« – »Dat weit thei Tübel«, antwortete dieser, »ik heb'n sei nik verstaanl« – »Oh«, erwiderte jener, »laat seu gaan, dat sun kathol'sche Keihrels, sei weeten keen Dütsch!«
Noch lachten wir, aufs Geratewohl weiterreisend, über diese Äußerung, als uns ein Dritter begegnete und auf unsre Anfrage uns berichtete, daß Neustadt nur noch eine Stunde weit entfernt sei, daß er aber ein »Neustadt am Röbenbaargk« nicht kenne; auch würde er uns schwerlich verstanden haben, wenn er nicht weit und breit herumgereiset wäre; die, mit welchen wir vorher gesprochen hätten, kämen nicht weiter, als ihre Flur reiche.
Nachdem wir in Neustadt zu Mittage gespeiset, getrunken und gefüttert hatten, machten wir uns wieder auf den Weg nach Großen-Munzel, welches nur noch zwei Meilen weit war. Da wir erst mit der Nacht darin anlangten,[102] so nahmen wir im Gasthofe »Zur Tanne« Herberge, und mein Herr ließ noch denselben Abend dem Herrn Obristen von Minigerode seine Ankunft melden, worauf er am andern Morgen zur Audienz beschieden wurde.
Der Wirt, ein Roßkamm, hatte die Geschicklichkeit, meinem Herrn vor Schlafengehen noch ein Pferd aufzuhängen, was er vermutlich gern los sein wollte.
Während mein Herr am folgenden Morgen dem Herrn Obristen von Minigerode seine Aufwartung machte, räumte ich in das für uns gemietete Quartier ein, schaffte Vorrat an Fourage, Holz, Viktualien und andere Bedürfnisse zu unsrer Einrichtung an und führte endlich, dem erhaltenen Befehle gemäß, den Bijou an Parade.
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