Zweite Szene

[208] Vorige. Hutterer.

Hutterer kommt hinter dem Gitter von rechts.


ANNA. Ich küß die Hand, Euer Gnaden!

SCHÖN. Guten Abend, gnä Herr!

HUTTERER. Guten Abend! Na, heut kommt ja Ihner Eduard, nit?

SCHÖN. Ja, er soll wohl.

HUTTERER. Ich hab ghört, er ist Geistlicher wordn?

ANNA. Ja, er is hochwürdig.

HUTTERER. Was man nit an die Kinder alles erlebt, wenn man alt wird! Ich seh 'n noch heut vor mir, den Rutschepeter,[208] der nie a ganze Hosen hat derleiden mögn! Jetzt is der gar a hochwürdiger Herr! Er hat doch, soviel ich weiß, auf was anders studiert? Warts ös gleich so damit einverstanden? Dös hätts ja in ein Seminar viel billiger richten können.

SCHÖN. Freilich, wenn man's früher gwußt hätt.

HUTTERER. Is ihm die Frömmigkeit so auf einmal eingschossen?

SCHÖN. Ja, gnä Herr, das is a eigene Gschicht. Ich weiß, Sie habn sich die Jahr her gwundert, daß wir uns kein guten Bissen vergönnen, nur um den Bubn studiern zu lassen, aber das is so eins aus dem andern kommen. Meine Eltern waren Tagwerkerleut, hat keins lesen noch schreiben können, aber der Vater hat gsagt, das därf nit so fortgehn bei unsere Kinder, die müssen was lernen. Na, da hat's halt mehr schwarzs Brot und Erdäpfel gebn als Fleisch, wie man sich leicht denken kann, aber wir Kinder sind dafür fleißig in die Schul gschickt wordn. Und wie ich, mein Bruder und meine Schwester an sein Todbett gstanden sein, da hat er gsagt, sagt er: »Sehts, euch geht's schon viel besser, als's uns gangen is, müßts halt auch dazuschaun, daß's euern Kindern wieder um ein Teil besser geht als wie euch. Bei manch einem hat es kein Geschick und kein Aussehn, daß es mit ihm besser wird, aber die, die er hinterlaßt, können sich darauf einrichten, wenn er ihnen ehrlich an die Hand geht, und möchten's die Leut so halten und nit bloß alleweil alleinig auf sich denken, so hätten s' vor nötige Gedanken zu keine unnötigen Zeit, und das Geschimpf und Geraunz über Gott und Welt möcht a End finden.« Hat er gsagt – und nach derer Red habn wir uns alle, ich, mein Bruder und meine Schwester gricht. So habn auch wir für unser Kind das Opfer gebracht, aber es reut uns net, bis auf den heutigen Tag net, wie auch die Sach steht, gelt, Alte?

ANNA. Na, es reut uns gwiß net.

SCHÖN. Freilich hab ich glaubt, ich könnt 'm Eduard auf[209] mein Todbett auch sagen: »Halt's mit deine Kinder, wie es mit dir is gehalten worden!« Na, es hat nit sein sollen, es ist anders kommen, und das war so: er is schon bald mit seiner Studie fertig gewesen, da hat er a Madel kennenglernt – müssen nit lachen, Herr von Hutterer –, a Madel, was das für eins war, na, mein Alte soll's sagn.

ANNA. U mein, Euer Gnaden, das war a liebs Gschöpf, nit zu groß, nit z' klein, nit z' fett, nit z' mager, so »aufrichtig« war's gwachsen, und dann das noble, feine Gsichterl mit die pechschwarzen Haar, bildsauber, mit ein Wort bildsauber, und so stolz und wieder so bscheiden und so lustig und wieder so nachdenklich und herzensgut – Wird immer weinerlicher. – und so a schöns, liebs, guts Kind ...

SCHÖN. Na, na, jetzt wirst wieder weinen, was redst denn nachher davon!

ANNA. Du hast mich ja selber aufgfordert.

SCHÖN sich besinnend. Ja so, ich hab dich selber aufgfordert. Also, daß ich sag, damals sein grad wieder die Blattern stark in Wien umgangen, das Madel hat sich gelegt, hundert und hundert sein davonkommen, sie hat draufgehn müssen. Unser Sohn hat sich's von der Familie erbeten, daß er bei der Kranken wachen darf, er ist auch dann nachtüber an der Leich gesessen und mit beim Begräbnis gewesen, aber von der Zeit ab war er ein anderer. Ich hab mich damals über ihn geärgert und gesagt: »Wenn dir deine Eltern nix mehr sein und wenn dich die Welt nimmer gfreut, so geh lieber gleich in ein Kloster!« Sagt er: »Vater, sei nicht kindisch. Ihr seids und bleibt meine lieben, alten Leut, und von der Welt will ich mich nit absperren, sie soll mich ja zerstreuen, aber – hat er gsagt – die Philippin, das war mein Lieb für Zeit und Ewigkeit, die bleibt mir, ob tot oder lebendig, die werd ich nicht los, und da wär mir's halt am liebsten so bissel seitab vom ärgsten Gwühl; in ein Kloster werd ich nicht gehn, aber Geistlicher will ich werdn!« Teuxel hnein, ich hab ihm freilich alls vorgstellt – was das für a schwerer Stand[210] wär –, aber wie ich gsehn hab, er weiß's ehnder und besser noch wie ich, da hab ich gsagt: »Bisher war's mein Sach, jetzt ist's die deine, tu, wie d' glaubst!« Da hat er mit einer Freud von neuem zum Studieren anghobn und ist Geistlicher wordn – is Geistlicher wordn – ja – no, Geistliche müssen ja auch sein!

HUTTERER. Ah, freilich, man braucht s' schon manchmal, ich werd'n selber ersuchen, daß er unser Hedwig kopuliert.

ANNA schlägt die Hände zusammen. Was S' sagen, gnä Herr! So heirat d' Fräuln Hedwig?

HUTTERER. Ja, und bald auch noch. Wenn man so a mannbars Madl auf gute Art ausm Haus bringn kann, is's ja eh a wahrs Glück. Das ewige Aufpassen, Behüten und Überwachen wird einm zwider. Soll s' ein Mann nehmen, soll der sich um sie sorgen.

ANNA vertraulich. Jessas, wenn sich am End gar die jungen Leut kriegen sollten, das wär schön!

HUTTERER für sich. Was? Was? – Die kann doch von nix wissen, wen meint s' denn nachher? Mit erzwungener Freundlichkeit, lauernd. No, erraten S' ihn etwa gar, den Bräutigam?

ANNA. Ah, erraten tät ich ihn schon, wir habn nur allweil gfürcht, er möcht für die Fräuln Hedwig z' gring sein.

HUTTERER klopft ihr vertraulich auf die Achsel. Wer is's?

ANNA. Der Herr Frey.

HUTTERER. Der Frey? Was, der Klavierklimperer, der Tastenhacker?! Na, der sollt sich unterstehn und mir kommen! Der junge Stolzenthaler is's, wenn Sie's wissen wolln, den wird s' heiraten, das is a Partie, der kann s' doch versorgn, da kann s' doch was genießen. Ah, da hab ich a saubere Entdeckung gmacht. Also so was hat sich hinter meinem Rücken angsponnen? 's ganze Haus redt schon davon, nur ich, der Vater, weiß nix! Wär ja notwendig, daß man allweil daheim bei seiner Familie hocken bleibet und sich in gar kein Wirtshaus trauet, damit man nit hinterher[211] solche Geschichten erlebt! Na, da werdn wir aber doch gleich die Frau Mutter ins Gebet nehmen. He, Sidi! Ab durch die Türe des Seitentraktes.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 208-212.
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