[284] Ufer von Sand, du rauschend verschwiegne Öde
Zermalmeten Gebeins,
Ich flieh dich nicht so schnöde!
Ich wähne und ich mein',
Daß ich den Strom noch sehe,
Er war so hell und blau,
Die Fischlein sah ich gehen,
Und was ich nunmehr schau! –
Felsen von Eis voll Wiederhall ohne Stimme!
Wo ist mein altes Haus.
Verscholl'n in deinem Grimme,
Zerschmettert in deinem Graus![284]
Zerrissen flattert die Decke
Des blauen heitern Saals,
Schwankt über sich im Schrecke,
Euch schaue ich zumal –
Hohläugig weiße Gasse, die verstellte,
Du flüssiger kalter Stein,
Das Licht erlischt von Kälte,
Da giebt's nur leeren Schein,
Des Sandes Körner sinken
Wie helle Sternensaat,
Und allesammt ertrinken
In der getäuschten Stadt.
Willst du im Zufall deine Hoffnung schauen,
So laß die Kräfte frei,
Mußt eigner Kraft vertrauen,
Die fremde ist nicht treu;
Willst du der fremden trauen,
Saug ein den Siegerstrom,
Im neuen Land laß bauen,
Den neuen höhern Thron.
Willst du das Eis im Strom noch träge wähnen,
Wenn schon der Strom erwacht,
Eis wird an's Land zu lehnen,
Durchreißen in die Nacht.
Im Sturm kein ruhig Leben,
Er wühlt dir schon ein Grab,
Du mußt dir Dämme geben,
Sonst reißt er dich hinab.
Willst du versöhnen, was im Sturme tobet,
Der Sturm belebt die Welt,
Und wen die Welt nur lobet,
Ist der, der sie erhält;[285]
Entschlag' dich den Gedanken,
Den Sturm löscht Gegensturm,
Die Sonne steigt ohn' Wanken,
Glänzt hell am kleinsten Wurm.
Winke mir nicht zu gehn und still zu schweigen,
Wirf keine Muschel hin,
So lang' noch etwas dein, ich will nicht scheiden,
Es lieget mir im Sinn,
Daß müde meiner Klagen,
Erdrückst den Treuen dein,
Dir Vaterland zu sagen:
»Siehst du des Wahnsinns Schein?«
Buchempfehlung
In die Zeit zwischen dem ersten März 1815, als Napoleon aus Elba zurückkehrt, und der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni desselben Jahres konzentriert Grabbe das komplexe Wechselspiel zwischen Umbruch und Wiederherstellung, zwischen historischen Bedingungen und Konsequenzen. »Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt, als wäre sie ein ausgelesenes Buch.« C.D.G.
138 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro