VII

[32] – Herr Präsident, es ist eine Dame draußen, die Sie zu sprechen wünscht.

– Bekannt? – fragte Herr v. M. den diensthabenden Polizeidiener.

– Nein.

– Führen Sie sie in mein Privatzimmer. Ich werde sogleich erscheinen.

Herr v. M. war nicht neugierig, aber eine innere Stimme sagte, daß dieser Besuch für ihn von Interesse sei. Er beendete rasch, was ihm eben vorlag, und eilte durch das Entree in sein Privatzimmer.

– Ei sieh da, schöne Frau; wie komme ich zu dieser Ehre?[32]

– Nicht wahr, Herr Präsident – erwiederte Alice lächelnd – Sie wollen sagen, der umgekehrte Fall sei passender?

– Allerdings wäre es längst meine Pflicht gewesen, Ihnen meinen Besuch abzustatten. Indeß – –

– Ach, Herr v. M., Sie wollen mir ausweichen, doch mag es drum sein.

Was mich zu Ihnen führt? Eine Bitte, unterstützt von Ihrem Freunde –

– Meinem Freunde? Ich wüßte nicht, daß ich Freunde hätte, welche dritte Personen, und wären es selbst so schöne Frauen wie Sie, in das Geheimniß dieser Freundschaft einzuweihen sich veranlaßt fühlen könnten. Also dieser Freund –

– Ist der Prinz A... – sagte Alice, ihn ruhig fixirend. – Oder sollte ich mich irren?

– Und die Bitte? – fragte Herr v. M., einer Antwort ausweichend, obschon er fast versucht war, den Prinzen für seine Indiskretion durch Desavouirung dieser Freundschaft zu bestrafen. Er lieferte damit den Beweis, daß selbst[33] der feinste Menschenkenner, und das war sicherlich Herr v. M., in seinem Urtheile sofort unsicher wird, wenn seine eigene Persönlichkeit dabei ins Spiel kommt. Hätte die Sache nicht ihn, sondern eine dritte Person betroffen, so würde er den Prinzen nicht der Indiskretion verdächtigt, sondern sich des alten Satzes erinnert haben, daß ein Weib in Ton und Blick Geheimnisse erkennt, welche der Mund verschweigt.

– Mich auf eine halbe Stunde zu dem Arbeiter Ralph ins Gefängniß zu lassen.

– Das wird nicht angehen. –

– Haben Sie es doch dem alten Steiger versprochen. –

– Auch das wissen Sie? – Das war etwas Anderes, es sind Cameraden.

– Mit einem Worte, Sie wollen nicht?

– Ich kann nicht. Sie wissen ganz wohl, daß die Polizeispione auf nichts mehr ihr Augenmerk richten, als auf den Chef der Polizei. Der Gefangenwärter würde mich verrathen.[34]

– Aber nicht der Castellan, nicht wahr? – Wieder blickte Alice den Präsidenten fragend an. Herr von M. versuchte zu lächeln. – Eine Zeile von Ihnen an den Castellan der Hausvoigtei genügt.

– Wohlan, es sei! sagte der Präsident nach einigem Bedenken.

– Ich danke Ihnen, und werde Ihre Freundlichkeit zu vergelten wissen.

– Ich nehme Sie beim Worte. Wollen Sie mir eine Frage mit Aufrichtigkeit beantworten?

– Jedem Andern würde ich unbedenklich mit »Ja« antworten. Ihnen gegenüber kann ich nicht anders sagen, als: »Je nach dem.«

– Wie stehen Sie mit dem Chevalier St. Just?

– Mit Gilbert, wollen Sie sagen.

– Auch das wissen Sie?

– Durch mich weiß es der Prinz, durch diesen Sie. – Wie ich mit ihm stehe? Er glaubt, ich kenne ihn so wenig wie die Andern, aber er täuscht sich. Ihn kennen und verachten aber ist Eins. Dennoch sind wir einander nicht gleichgültig.[35]

– Also doch!

– Wir haben Interesse an einander, obwohl ein verschiedenes. Er fürchtet mich und ich hasse ihn; das ist Alles.

– Es ist ein gefährlicher Mensch.

– Auch für Sie.

– Warum?

– Weil er im Solde einer Partei steht, die Sie einst stürzen wird, wenn sie nicht selbst vorher gestürzt wird.

– Und welcher von beiden Fällen ist der wahrscheinlichere?

Alice zuckte die Achseln und blickte zum Fenster hinaus.

– Darf ich Ihnen einen gutgemeinten Rath geben, Herr Polizeipräsident?

– Wenn Sie nicht die Bedingung daran knüpfen, daß ich ihn befolgen soll, ja.

– Sie werden ihn befolgen, denn er giebt Ihnen den einzig denkbaren Weg an, zwischen der Scylla und Charybdis hindurch zu schiffen, ohne –[36]

– Drücken Sie sich ohne Allegorien aus.

– Ich meine, daß Sie damit die beiden Extreme der entschiedenen Demokratie und der entschiedenen Reaktion am sichersten vermeiden, und sich folglich »möglich« erhalten können.

– Ich bin begierig, diese Kunst zu lernen.

– Jetzt mögen Sie spotten, erwiederte Alice, über die stereotype Ironie in des Präsidenten Tone gereizt – nach einigen Tagen werden Sie mir danken. Mein Rath ist: Vermeiden Sie den Schein, als wollten Sie sich populär machen; noch vielmehr aber vermeiden Sie, in den Ruf der Unpopularität zu kommen. Das Erstere wäre eine Schwäche, das Zweite eine Unvorsichtigkeit. Beides aber führt seine besondern Gefahren mit sich. Praktisch gefaßt würde mein Rath lauten:

Mischen Sie die Polizei oder wenigstens Ihre eigene Person so wenig wie möglich in die zwischen Volk und Militär ausgebrochenen Konflikte – das Alles sind nur die Präliminarien einer größern Entscheidung. Wenn diese kommt, und daß sie kommen wird, wissen Sie so gut wie ich,[37] dann ist der Augenblick für Sie gekommen, zu handeln, das heißt: zu vermitteln. Denn, Herr v. M., ein kluger Mann, der auf die Zukunft spekulirt, sucht nie eher zu vermitteln, als bis die Vermittelung unmöglich geworden. Wem dann auch der Sieg zufällt, sein sind die Früchte.

Herr v. M. war nachdenklich geworden. Er fühlte die Wahrheit in den Worten Alicens, aber er mißtrauete ihren Motiven.

– Und warum sagen Sie mir dies Alles? – fragte er.

– Aus zwei Gründen: Weil ich Sie achte und weil ich für »uns« den Kampf nicht erschweren möchte.

Herr v. M. verbeugte sich lächelnd, ohne eine Antwort zu geben.

Als auch Alice schwieg, sagte er, sie verlassend: – Verziehen Sie einen Augenblick, ich werde Ihnen das versprochene Billet an den Castellan schreiben – –

Als Alice sich empfahl, begleitete Herr v. M. sie bis an die Treppe. Unten angekommen, nahm[38] sie eine Droschke und fuhr nach dem Frankfurter Eisenbahnhofe. Als Alice dort ausstieg, bemerkte sie noch eine zweite Droschke, die dicht hinter der ihrigen gekommen sein mußte. Absichtlich merkte sie nicht darauf, sondern stieg schnell die Stufen des Perrons hinan und trat ein. Da erst wandte sie sich um und sah, wie eine Dame ebenfalls die andere Droschke verließ.

– Lucie – sagte sie spöttischen Tons. – O, Herr v. M., diese Beleidigung sollen sie mir büßen. Wenn Sie mir einen Spion nachsenden wollen, so müssen Sie einen geschickteren wählen.

Ein langgezogenes Pfeifen kündigte ihr die Annäherung des Breslauer Zuges an.

Alice eilte, ohne auf Lucie zu achten, auf einen Waggon erster Klasse zu und rief freudig: Felix!

Dann, über die Zudringlichkeit Luciens empört, sagte sie, – hier, lieber Felix – habe ich das Vergnügen, Dir die Freundin unseres Polizeipräsidenten vorzustellen. Grüßen Sie Herrn v. M. freundlichst – und sagen Sie ihm, er[39] hätte Ihnen den Weg hierher ersparen können, da ich es jedenfalls für meine Pflicht gehalten hätte, ihn dem Fürsten Lichninsky vorzustellen.

Mit diesen Worten ließ sie die verschmitzte Freundin des Präsidenten stehen und eilte mit dem Fürsten nach seinem Hotel. Unterwegs theilte er ihr die Nachricht von der glücklich beendeten Revolution in Wien mit.

– Meine Akademiker haben wie Löwen gekämpft. Sobald der Sieg des Volkes entschieden und seine Friedensbedingungen angenommen, bestieg ich, da die Eisenbahn noch nicht zu benutzen war, meinen Renner, nahm in der nächsten Stadt Kurierpferde und war schon am andern Tage in Breslau.

Unmöglich kann vor mir schon die Nachricht angelangt sein, wenn die Regierung nicht auf telegraphischem Wege davon in Kenntniß gesetzt ist. Aber auch das glaube ich nicht, da alle öffentlichen Gebäude vom Volke besetzt waren. Laß uns die Zeit benutzen. Vorgestern war die Wiener[40] Revolution, übermorgen muß die Berliner vollendet sein.

– Einer unserer einflußreichsten Volksführer sitzt im Gefängniß.

– Wer ist's?

– Ralph. Ich glaube, Felix, daß Gilbert ein Verräther ist.

– Das wäre des Teufels! Hast Du Beweise?

– Vorläufig nur Vermuthungen. Doch ich werde noch heute klar sehen.

– Was macht Lydia? – fragte der Fürst.

Alice schüttelte lächelnd den Kopf.

– Du bist eifersüchtig, Alice?

– Nichts weniger. Aber was soll die Frage? Du weißt, daß ich das Mädchen wie meine Tochter liebe und nie zugeben würde – –

– Beruhige Dich. Ich fragte aus reinem Interesse. Doch wenn Du es nicht wünschest, sprechen wir nicht davon.

Die Equipage hielt am Hotel. Sie stiegen aus.[41]

– Jetzt lasse Dich erst herzlich umarmen, Geliebte – sagte der Fürst, als sie auf seinem Zimmer angelangt waren.

Alice duldete seine Umarmung schweigend, fast seufzend. Sie dachte an den armen Ralph. Es erschien ihr wie ein Verbrechen gegen den Gefangenen, daß sie sich den Liebkosungen des Fürsten überließ, während sie jenem, wenn nicht Hülfe, so doch Trost hätte bringen müssen.

– Wie? Du willst mich schon verlassen, Alice?

– Ich habe ein nicht aufschiebbares Geschäft abzumachen. Doch heute Abend werde ich Dich zu einem politischen Spaziergange abholen.

– Horch, das war ein Schuß – rief plötzlich der Fürst – noch einer. –

– In der That – sagte Alice ruhig – doch das ist jetzt in Berlin nichts Ungewöhnliches mehr. Die armen Soldaten thun mir am meisten dabei leid; seit 8 Tagen müssen sie Tag und Nacht gewärtig sein, ihre Kasernen zu verlassen und gegen das Volk zu marschiren. So häuft[42] sich auf beiden Seiten die Erbitterung an, bis eine allgemeine Explosion stattfindet. Doch ich will eilen. Auf heute Abend also.

Der Fürst war, nachdem Alice ihn verlassen, nachdenklich geworden. Ihr kalter Empfang, ihr schnelles Forteilen erregte seine Besorgniß. Auch brachte seine einmal durch die Furcht aufgeregte Phantasie damit die kurze Scene auf dem Eisenbahnperron in Verbindung, deren er sich jedoch nur noch dunkel erinnerte. Doch war er sicher, den Namen des Polizeipräsidenten dabei gehört zu haben. Was sollte dieser im Munde Alicens? Eine unheilvolle Ahnung durchblitzte seine Seele – er sprang auf und eilte hinaus. Denn er war jetzt fest überzeugt, daß man sich seiner bemächtigen wolle.

Der Fürst war im weitesten Sinne des Worts ein Phantast. Das Thatsächliche und Reale ließ ihn kalt, die Möglichkeiten mit ihrer unbeschränkten Zaubermacht erwärmten ihn! Wie sehr ihn daher auch die Gegenwart mit ihren Bedürfnissen zur Ironie stimmen konnte, wie rücksichtslos er[43] gegenwärtigen Personen und Gefahren gegenüber sich verhalten konnte, so sank sein Muth und seine Besonnenheit in Nichts zusammen vor einem Phantom, das er sich selbst geschaffen. Der Schein dessen Hoherpriester er war, rächte sich an ihm dadurch, daß er die Macht der Wirklichkeit gegen ihn ausübte; eine Macht, die durch die Unbegränztheit, welche Alles, was nur möglich ist, mit den Chicanen des Unbegreiflichen umkleidet, zur Allmacht werden muß für Jeden, der sich von der Wirklichkeit losgesagt hat.

Die bloße Möglichkeit, Alice könnte ihn verrathen, nahm sofort für ihn den Schein der Wirklichkeit an, und trieb ihn, den eingebildeten, aber desto schrecklicheren Gefahren zu entfliehen. Erst als er sich plötzlich, ohne zu wissen, wie er dahin gekommen, im Thiergarten befand, kehrte seine Besonnenheit zurück. In Gedanken versunken wandelte er vor sich hin, als er seinen Namen nennen hörte. Es war Gilbert.

– Gut, daß ich Sie treffe – sagte der Fürst – was haben wir für Aussichten?[44]

– Schlechte bis jetzt – antwortete jener und begann, dem Fürsten Bericht über seine Thätigkeit zu erstatten.

– Wie kommts, daß Ralph im Gefängniß sitzt? Man sagt, Sie seien Schuld daran.

Man sagt? Wer sagt das, mein Fürst? –

– Gleichviel – ich hab's gehört und, wie ich glaube, aus guter Quelle.

Gilbert wußte, daß der Fürst seine alten Verbindungen mit dem preußischen Gouvernement nicht aufgegeben. Er war deshalb in Zweifel, ob er die Wahrheit sagen müsse. Denn er war es allerdings gewesen, welcher der Regierung einen Wink über Ralphs Thätigkeit gegeben, um sich diesen gefährlichen Aufpasser von der Seite zu schaffen.

– Ralph ist ein aufbrausender, leidenschaftlicher Mensch, der Alles verderben könnte – sagte er einleitend. – Außerdem glaubte ich zu bemerken, daß ein Einverständniß zwischen ihm und Alice existire, welches zu manchen Gedanken Veranlassung geben konnte.[45]

Gilbert wußte von der Verbindung des Fürsten mit Alicen Nichts; es konnte ihm daher auch nicht einfallen, mit jener Andeutung auf die Eifersucht desselben spekuliren zu wollen. Es war ein glücklicher Wurf, den er von Ungefähr that und er gelang über Erwarten. Als er des Fürsten Bewegung bei diesen Worten sah, erzählte er ihm zum Beweise, wie Alice durch Ralphs Schwester die frühere Verbindung mit diesem wieder angeknüpft hatte, schilderte den Zorn Alicens über seine Gefangenschaft und den Versuch derselben, ihn im Gefängniß zu besuchen. Das Letztere hatte er kürzlich durch Lucie erfahren.

– In diesem Augenblicke, schloß er seine Rede, befindet sie sich noch bei ihm. Hatte ich also nicht Ursache, aufmerksam zu sein? Ich weiß, Durchlaucht, daß es Viele giebt, welche mich bei Ihnen zu verläumden versuchen werden.

– Fürchten Sie nichts, Gilbert. Ich sehe klarer, als Sie glauben. – Das also war das wichtige Geschäft, was nicht aufzuschieben war. Er mußte Gewißheit über alles dies haben, nicht[46] nur über die Stellung Alicens zu ihm, sondern auch über sein Verhältniß zur ganzen Partei, der er bisher – allerdings aus Privatrücksichten gedient hatte.

Er war – wie alle Phantasiemenschen – von Natur Oppositionsmann, weil die Opposition die Politik der Möglichkeiten, die Diplomatie der Zukunft ist. Aber wenn diese Zukunft nicht seine Zukunft war, wenn er nicht im Stande war, diese Möglichkeit zu seiner Wirklichkeit zu machen, so hörte seine Opposition auf, denn er gönnte Niemandem die Früchte dieser Opposition als sich selbst. Er war ein Feind der Legitimität, weil diese Legitimität seinem Ehrgeiz Schranken setzte, aber er wurde zum wärmsten Freunde derselben, wenn auf ihren Trümmern nicht er und seine Diktatur, sondern die wahre Feindin der Legitimität, die Diktatur des Volks sich erheben sollte. Seine politische Gesinnung war eine rein persönliche. Noch glaubte er, daß es Zeit sei, sich zu entscheiden, da er noch in keiner Weise compromittirt war, weder nach der einen, noch nach der[47] andern Seite hin. Die Entscheidung aber hing von der Ueberzeugung ab, die er über Alicens Pläne sich verschaffen mußte.

Er begab sich deshalb direkt nach Alicens Wohnung. Es war indeß Abend geworden. Wie in den letzten Tagen, so zogen auch heute zahlreiche Arbeiterschaaren die Straßen hinab, welche theilweise mit Militair gesperrt waren. Alles drängte nach dem Schloßplatz zu. Der Fürst, welcher das Schicksal der meisten Spaziergänger getheilt hatte, nämlich mit fortgerissen zu werden, gewann endlich am Schlosse Gelegenheit, sich aus dem Strudel des Volks herauszuarbeiten und in das »Volpische Caffeehaus« zu flüchten. Von hier aus konnte er den Schauplatz übersehen. Die Menge hatte sich um den großen Candelaber in der Mitte des Platzes versammelt und verhielt sich dem äußern Anschein nach völlig ruhig. Da rückte Infanterie von der breiten Straße her und säuberte den Platz; das heißt: die Menge stob auseinander, um an einem andern Orte wieder zusammenzufließen. Das Spiel dauerte einige Zeit hindurch, ohne daß es[48] zu einem ernsthaften Conflikt kam. Da sprengten plötzlich vom Lustgarten Cürassiere und Dragoner auf den Platz, dessen Ausgänge nunmehr von allen Seiten besetzt waren. Die Helme und die breiten Brustpranzer der Cürassiere funkelten im Schein des Mondes, welcher sein volles Licht auf den Schauplatz ausgoß. Jetzt, da die Aufforderung, den Platz zu räumen, eine Ironie geworden war, da ihr zu folgen eine Unmöglichkeit geworden, sprengten die Cürassiere in die Menge und hieben wüthend auf die Wehrlosen ein. – – – Ein Schrei des Unwillens entfuhr den in dem Caffeehause anwesenden Gästen, welche sich an die Fenster gedrängt hatten. Der Fürst stürmte hinab, fand aber die Hausthür verschlossen. Unter den Colonaden der Stechbahn rannten einzelne Versprengte hin und wieder, vergeblich einen Ausweg suchend. Die elenden Bourgeois hatten alle Thüren gesperrt, weil sie die Eindringlinge lieber den Säbeln der Cürassiere Preis geben, als ihnen eine Zufluchtsstätte gewähren wollten.

Nur der ernsten Haltung des Fürsten, welcher[49] darin von fast sämmtlichen Gästen unterstützt wurde, gelang es endlich, den Besitzer des Caffeehauses zum Oeffnen der Thüren zu bewegen. Er eilte die Colonaden herab und stieß an ihrer Mündung sogleich auf eine Abtheilung Infanterie.

– Zurück! – tönte es ihm entgegen.

– Ich melde mich als Gefangener und wünsche sofort zum commandirenden Offizier geführt zu werden. Dies geschah. Als er von diesem erkannt, wurde er sofort unter vielen Entschuldigungen frei gelassen. –

– Nicht also, mein Herr – entgegnete der Fürst – ich werde die Freilassung ohne Weiteres nicht annehmen. Wer hat Ihnen das Recht gegeben, eine solche Hetzerei gegen waffenlose, harmlose Menschen, zu organisiren?

Der Officier zuckte die Achseln. – Wir haben nichts zu thun, als unserer Instruktion zu folgen. Die Verantwortung möge der übernehmen, der die Instruktionen erläßt.

– Und wer ist das?

– Der General von P.[50]

– Ich verlange, ihn zu sprechen.

– Das wird nicht gehen – sagte mit neuem Achselzucken der Officier. Er ist bei Sr. Majestät dem Könige.

– Dann werde ich das Schicksal jener Unglücklichen theilen.

– Auch das darf ich nicht zugeben. Dort hinaus können Sie; hinein in den Kreis kann ich Sie nicht wieder lassen.

Der Fürst mußte sich in sein Schicksal ergeben. Jetzt eilte er zu Alicen. Doch auch hier fand er das Haus verschlossen. So mußte er nach seinem Hotel zurückkehren.

Träumerisch schritt er die Linden hinab, die fast menschenleer waren. Nur einzelne starke Patrouillen zogen mit einförmigem Schritt auf den Trottoirs auf und nieder.

– Es fragte eine Dame nach Ihnen – sagte der Portier des Hotels, und übergab mir dies Kästchen für Eure Durchlaucht.

Es wird Alice gewesen sein – sagte der Fürst zerstreut, das Kästchen zu sich steckend.[51]

Auf seinem Zimmer angekommen, warf er sich erschöpft aufs Sopha, sich seinen trüben Gedanken überlassend. Er ahnte, daß eine napoleonsche Kraft dazu gehöre, der Ereignisse, die man selber hervorzurufen die Macht hatte, Meister zu bleiben. Der Fürst war zwar eitel genug, sich einen Napoleon im Kleinen zu dünken, aber er erinnerte sich, daß auch Napoleon auf einer kleinen wüsten Insel an den Küsten Afrikas seine Tage geendet – und seufzte. Unwillkührlich richteten sich seine Blicke auf die Vergangenheit; er dachte an seine abenteuerlichen Reisen in Frankreich – in Spanien. Ein leises Frösteln durchzuckte seinen Körper, als er an Spanien dachte. Mechanisch griff er nach dem Tische, da fühlte er etwas Hartes, es war das Kästchen. Er erbleichte. Aber im nächsten Augenblick schon lächelte er über die Gedanken, die eben in ihm aufgestiegen.

Er öffnete es – – diesmal lächelte er nicht mehr. Ein Medaillon, welches ein Miniaturbild enthielt, das seine Züge trug, glänzte ihm entgegen.[52]

Sie ists – stammelte er – sie ist in meiner Nähe, sie athmet dieselbe Luft mit mir. Wohlan, ich bin gerüstet. Mag sie kommen! – – – –

Dies Weib ist ein Dämon, der sich an meine Fersen klammert! – Was will sie noch weiter von mir?

– Dein Herzblut, Verräther! – tönte eine Stimme hinter ihm.

Der Fürst drehte sich um. Ines, einen blinkenden Dolch in der Hand, stand vor ihm. Besinnungslos stürzte er zu Boden. So verharrte sie einige Minuten in ihrer drohenden Stellung, als erwarte sie das Wiedererwachen des Fürsten. Dann schritt sie auf den Tisch zu, ergriff eines der Lichter und leuchtete dem Ohnmächtigen ins Gesicht. Das Licht zitterte in ihrer Hand. Sie setzte es auf die Erde nieder, knieete vor dem Fürsten hin und senkte den Kopf auf ihre Brust herab. Nur ein krampfhaftes inneres Schluchzen kündete den Kampf an, der in ihr vorgehen mochte. Dann richtete sich ihr Haupt in die Höhe. Zwei große Thränen standen in ihren Augen.[53]

– Er ist schön wie ehemals, als ich ihn in dem blühenden Thale Valencias zum ersten Male sah. Ich kann ihn nicht tödten. Aber ewig soll er vor mir zittern.

Sie drückte einen Kuß auf die kalte, bleiche Stirn und erhob sich.

Als der Fürst die Augen aufschlug, war Ines verschwunden. Schon war er versucht, das Ganze für einen Traum zu halten, aber das Medaillon zu seinen Füßen und der Dolch, welcher neben seinem Herzen auf dem Boden lag, bewies ihm, daß er nicht geträumt hatte.[54]

Quelle:
Louise Aston: Revolution und Contrerevolution. Bde. 1–2, Band 2, Mannheim 1849, S. 32-55.
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