Mai-Feier

[254] Der Mai ist voller Nücken

Und hat es so an sich,

Daß man einander drücken

Muß ganz absonderlich;

Einander liebzuhaben,

Ists die gewisse Zeit

Für Mädchen und für Knaben, –

Einander liebzuhaben

In großer Zärtlichkeit.


Die Haut ist nie so samten

Den Mädchen, wie im Mai;

Und wenn sie mich verdammten,

Die von der Klerisei,[254]

Ich muß es frei bekennen:

Ich streichle gerne sie

Und fühl ein hold Entbrennen, –

Ich muß es frei bekennen:

Mir wird, ich weiß nicht wie.


Und ach, der Augen Funkeln!

Hilf, heiliger Florian!

Sie leuchten selbst im Dunkeln

Und zünden alles an.

Die kältesten Herzen brennen

Wie Zunder lichterloh:

Großfeuer ists zu nennen, –

Die kältesten Herzen brennen

Und sind des Brennens froh.


Her mit dem feuchten Strohe

Der Sorgen und des Wehs!

Aufpraßles in der Lohe

Des Mai-Autodafés!

Die Liebe soll verzehren,

Was uns der Schmerz beschert,

Auf Nimmerwiederkehren! –

Die Liebe soll verzehren,

Was nicht der Liebe wert.

Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 254-255.
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