[230] Seht, in Joseph's grossen, weiten Staaten,
Wo, vermählet durch der Weisheit Hand,
Duldung sich und edle Freiheit gatten,
Und die Nacht der Vorurtheile schwand,
Hebt in heller, nun entschlei'rter Klarheit
Eine Brüderschaft ihr Haupt empor,
Die im Stillen Wohlthun nur und Wahrheit
Sich zu ihrer Arbeit Zweck erkohr.
[230]
Joseph, dem in seinem Herrscherkreise
Nichts zu groß ist, das sein Geist nicht faßt,
Nichts zu klein, das er nicht minder weise
Ordnet, und in seine Plane paßt;
Joseph, der so eben von den Horden
Träger Mönche seinen Staat befreit,
Schätzt und schützt dafür nun einen Orden,
Der sich ganz dem Wohl der Menschheit weiht:
Einen Orden, den man oft verkannte,
Weil er in geheim sein Gutes übt,
Und erst jüngst aus einem Staat verbannte,
Wo ein Exmönch nun Gesetze gibt;
Einen Orden, dem der Arme Segen,
Fluch der Frömmler, Hohn der Laye spricht,
Der indeß im Stillen sich dagegen
Einen Kranz von edlen Thaten flicht;
Einen Orden, den der Mönch zu schmähen
Oder zu verdammen nie vergißt,
Weil sein Zweck nicht müssig betteln gehen,
Sondern Thätigkeit und Wohlthun ist;
Einen Orden, den der Heuchler scheuet,
Weil er ihm die schwarze Seel' entblößt,
Wider den der Schurke tobt und schreiet,
Weil er ihn von sich zurücke stößt;
Einen Orden, den als Staatsverräther
Und Verführer man schon oft bestraft;
Während er der Unschuld treue Retter,
Und dem Staate gute Bürger schafft.
Dieser Orden ist's, den, frei vom Wahne,
Joseph seines Schutzes würdig fand,
Und zu seinem weisen Herrscherplane,
Wie ein Glied zur Kette, mit verband;
[231]
Weil mit ihm der Orden, festen Blickes,
Und von einem gleichen Geist belebt,
Zu dem grossen Zweck des Menschenglückes,
Hand in Hand hinan zu dringen strebt.
D'rum, ihr Brüder, lasset uns im Stillen
Nicht durch Worte, sondern auch durch That,
All' die grossen Hoffnungen erfüllen,
Die von uns der grosse Weise hat!
Laßt uns dankbar unsern Schützer preisen,
Und ihm zeigen, daß die Maurerrei
Werth der Achtung eines jeden Weisen,
Werth des Schutzes eines Joseph's sei!
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