Siebente Szene

[69] Giesecke – Siedler – Ottilie.

Ottilie ist schon etwas früher aufgetreten und hat über die Balustrade Semmelkrümel in den See geworfen, um die Fische zu füttern.


GIESECKE zu Ottilie. Komm mal her, mein Kind! Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen!

OTTILIE. Mir, Papa?

GIESECKE. Ich habe dir doch schon wiederholt die Mitteilung gemacht, daß du in dem Alter bist ...

OTTILIE. Wo ein junges Mädchen ans Heiraten denken muß und so weiter! ... Ja, Papa, das habt du mir schon sehr oft gesagt.

GIESECKE. Nun sag' mal, Kind, hast du dir denn auch meine Worte ernstlich überlegt?

OTTILIE. Gewiß, Papa ... Mit einem Blick auf Siedler. Aber ich weiß wirklich nicht ...

GIESECKE. Ach, vor dem Herrn Doktor Siedler brauchst du dich nicht zu genieren.

SIEDLER. Im Gegenteil, mein Fräulein! Ich möchte Sie sogar bitten, einmal ganz zu vergessen, daß unsere Bekanntschaft noch so jung ist. Lassen Sie uns einmal der Zeit vorauseilen und annehmen, daß ich mir in Berlin schon die Ehre gegeben hätte, durch einen Besuch in Ihrem Hause unsere flüchtige Reisebegegnung fortzusetzen. Wir reisen ja heutzutage mit dem Schnellzuge an so vielen Stationen vorüber – lassen Sie uns einmal annehmen, daß seit unserer ersten Begegnung schon ein halbes Jahr verstrichen ist.

GIESECKE für sich. Der Mann redet ausgezeichnet.

SIEDLER. Nicht wahr, dann dürfte ich mir doch schon ein vertrauteres Wort gestatten – nach einem halben Jahre ...

OTTILIE leise. Gewiß.

GIESECKE antreibend. Natürlich.

SIEDLER. Und wenn ich Ihnen dann sagen würde: »Mein liebes Fräulein, Sie sind wie keine zweite geschaffen, einen Mann zu beglücken.«

OTTILIE. Aber Herr Doktor! Wie sprechen Sie denn nur?

SIEDLER. Gott, wo wir uns doch schon seit sechs Monaten kennen.

GIESECKE. Nun eben![70]

SIEDLER. Und wenn ich Ihnen dann weiter sagte: »Ich kenne einen Mann, der sich danach sehnt, dieses Glück zu erringen ...«

GIESECKE. Und wenn ich dir dann sagte: »Den Mann habe ich dir ausgesucht, dem kannst du dich ruhig anvertrauen – einen besseren kannst du überhaupt nicht kriegen ...«

SIEDLER. Und wenn ich Ihnen dann sagte: »Darin irrt sich freilich Ihr Herr Vater –«

GIESECKE. Erlauben Sie mal.

SIEDLER. Der Mann hat sogar sehr viele Fehler und Schwächen.

GIESECKE. Nun machen Sie mir den Mann nicht schlecht!

SIEDLER. Einen leichten Sinn hat er – und eine lockere Zunge – und einen harten Schädel.

GIESECKE leise zu Siedler. Sie, von dem Schädel wollen wir lieber nicht reden.

SIEDLER. Aber trotz aller seiner Fehler dürfen Sie ihm auf sein ehrliches Gesicht glauben: »Mit dem kannst du es wagen, und wen er einmal ehrlich in sein Herz geschlossen hat, an dem hält er fest und läßt nicht mehr locker für das ganze Leben ...«

GIESECKE. Ja, und wenn ich dir dann sage: »So tu' mir doch den Gefallen und sage ›Ja‹« – was würdest du dann antworten?

OTTILIE. Ja, lieber Papa, das kommt so schnell über mich, so plötzlich ... du mußt mir etwas Zeit lassen ... aber, ich glaube fast, ich wurde dir antworten: Mit einem Blick auf Siedler. »Wenn du willst, Papa – dann also ... Vor sich hinhauchend. Ja!« Verschämt ab.


Siedler fällt Giesecke in die weit ausgebreiteten Arme.


GIESECKE triumphierend. Doktor – das haben wir fein gemacht.

SIEDLER. Mir ist ganz heiß geworden.

GIESECKE. Jetzt bin ich meiner Tochter sicher.

SIEDLER. Ich auch.

GIESECKE. Und wie Sie den jungen Sülzheimer herausgestrichen haben – alle Achtung!

SIEDLER. Aber Sie haben ja selbst gesagt, so'n Rechtsanwalt ...

GIESECKE. Ja, es sind bedeutende Menschen! ... Ja, ja, Herr Doktor! über meine Tochter sind wir ja nun im klaren. Jetzt handelt es sich nur noch um den jungen Herrn Sülzheimer.

SIEDLER. Darüber kann ich Sie beruhigen. Auch über den jungen Mann werden Sie in kürzester Frist im klaren sein.[71]

GIESECKE. Glauben Sie?

SIEDLER. Als Rechtsanwalt seines Vaters bin ich ja sein natürlicher Vertrauter, und gestern Abend habe ich ihn so lange im Mondschein spazieren geführt, bis er mir sein ganzes Herz ausgeschüttet hat. Ich bin jetzt ganz genau orientiert.

GIESECKE. Nun – und?

SIEDLER. Verliebt bis über beide Ohren!

GIESECKE. Aber warum redet er denn nicht?

SIEDLER. Gott – er ist eben aus Sangerhausen, da fehlt es ihm an Übung!

GIESECKE. Aber ich als Vater kann doch nicht den Anfang machen! Ich bin ja so nett zu ihm wie nur möglich, aber ich kann ihm doch nicht sagen: »Herr Sülzheimer, – nun erklären Sie sich doch endlich meiner Tochter« ...

SIEDLER einfallend. Um Gotteswillen nicht, – lassen Sie ihm nur Zeit, er wird schon sprechen!


Quelle:
Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg: Im weißen Rössl. Berlin 16[o.J.], S. 69-72.
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