[231] CXII.
Von Narren gab ich Euch Bescheid, Damit Ihr sie recht kennt am Kleid.
Wer witzig sein will um und um,
Les' meinen Freund Virgilium.
Dasselbe Bild wie zu Kap. 22.
Ein guter, vernünft'ger, weiser Mann,
Desgleichen man nicht leicht trifft an
In aller Welt, wie Sokrates, –
Apollo gab ihm Zeugniß deß, –
Derselb' sein eigner Richter ist;
Wo's ihm an Weisheit noch gebrist,
Auf das Genauste er erprobt;
Er schätzt nicht, was der Adel lobt
Noch des gemeinen Volks Geschrei;
Er ist rotund ganz wie ein Ei,
Damit kein fremder Makel bleibe,
Der sich auf glattem Weg anreibe;
Wie lang der Tag im Krebs sich streckt,
Wie lang die Nacht den Steinbock deckt,
So denkt er nach und wäget aus,
Damit kein Winkel in seinem Haus
Ihn trübe, oder er red' ein Wort,
Das nicht gezieme jedem Ort,
Damit nicht fehl' das Winkelmaß
Und fest sei, weß er sich vermaß;
Daß jedem Angriff mit der Hand
Er wehr' und bald hab' abgewandt.
Er liebet nicht so sehr den Schlaf,
Daß er nicht überdenk' und straf',[232]
Was er gethan den langen Tag,
Was übersehn er haben mag;
Was er bei Zeiten sollt' betrachten,
Worauf er that zur Unzeit achten;
Warum vollendet er die Sache
Ohn Ziemlichkeit und all' Ursache
Und viele Zeit unnütz vertrieben;
Warum er auf dem Plan geblieben,
Der besser konnte doch geschehn;
Warum er Arme übersehn,
Und warum im Gemüth soviel
Empfunden Schmerz und Widerwill';
Warum er dies gefangen an,
Und warum jenes nicht gethan;
Warum sich selbst so oft er letzte
Und Nutzen vor die Ehre setzte
Und sich verging mit Wort und Gesicht,
Der Ehrbarkeit geachtet nicht;
Warum er gefolgt natürlichem Hang,
Sein Herz zur Zucht nicht zog noch zwang?
Also erprobt er Werk und Wort
Vom Morgen bis zum Abend fort,
Bedenkt die Sachen, die er thut
Verwirft, was bös, und lobt, was gut.
Das ist eines rechten Weisen Muth,
Wie im Gedicht uns hat gewiesen
Virgilius, der hochgepriesen.
Wer also leben würd' auf Erden,
Dem werd' auch Gott gewogen werden,
Weil er die Weisheit recht erkannt,
Die einst ihn führt zum Vaterland.
Das gebe Gott uns unverwandt,
Dies wünscht Sebastianus Brant.
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Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
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