Phantasie

[27] (Für Flöte, Klarinette, Waldhorn und Fagott)


Flöte


Stille Blumen,

In der Liebe Heiligtumen

Nicht entsprossen,

Welken nieder.

Süße Lieder,

Ohne Echo hingeflossen,

Kehren nimmer wieder.


Klarinette


Doch zeiget der Spiegel im Quelle,

So freundlich und helle,

Das eigne Gebild;

Wie's flüchtig in rastloser Schnelle

Sich eilend geselle,

Und Welle an Welle

Dem Leben entquillt.


Fagott


Wohnen nicht klar in mir

Des Geistes Gestalten;

Leben, so will ich Dir

Den Busen entfalten;

Wer den eignen Ton nicht hört,

Lausche, bis er wiederkehrt –

Widerschein

Blickt ins dunkle Herz herein.


Waldhorn


Des Vorhangs leises Beben

Erschreckt mich nicht,[28]

Und kann ich nicht erstreben

Das eigne Licht:

So wandl' ich schön und stille

Ein Kind dahin:

Mich grüßt durch fromme Hülle

Ein heil'ger Sinn.


Alle


Es eilet jed Leben die eigene Bahn;

Es schauet der Spiegel den Menschen nicht an;

Es küsset die Welle die Welle so gerne,

Und reißet vom Ganzen nicht einer sich los;

Doch blüht einem jeden das Ganze im Schoß,

Und tief durch den Schleier, da weht es von ferne.


Flöte


Helle Sterne

Blinken aus der weiten Ferne

Fremdes Licht –

Und die Tränen,

Die sich nach dem Freunde sehnen,

Siehst Du nicht.


Waldhorn


Es wandelt voll Liebe im Leben

Die Sonn' und das Mondlicht herauf;

Doch, wenn wir das eigne nicht geben,

Schließt nimmer der Schatz sich uns auf.


Fagott


Was wir suchen, ach, das wohnet,

Unerkannt

Uns im Herzen, unbelohnet;

Und die Hand

Haschet stets nach äußerm Schimmer.

Was wir nicht umfassen,[29]

Das müssen wir lassen;

Denn wir fassen's sicher nimmer.


Klarinette


Die ganze Welt

Umwölbet ein Zelt,

Über jeglicher Pforte

Stehn goldne Worte.

Das Aug' der Sonne glühet

Zur Blume, die aufsteht,

Den heißen Gruß;

Auf Mondeslippen blühet

Der Blume, die heimgeht,

Der stille Kuß.

Und wer mit beiden

Nicht kindlich spricht,

Dem leuchtet kein Licht,

Der findet den Ein- und den Ausgang nicht,

Der kann nicht kommen, nicht scheiden.


Alle


Und wer sich mit Liebe nicht selber umarmt,

Für den ist das Leben zum Bettler verarmt.

In eigenem Busen muß alles erklingen,

Und daß der Sinn leicht finden es kann,

Hat's viele buntfarbige Kleider an,

Und Hülle und Geist sich zum Leben verschlingen.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 27-30.
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