[O Trost in letzten Stunden]

[411] O Trost in letzten Stunden

Ihr heiligen fünf Wunden

Die Mutter laßt gesunden

Von Euch ja kömmt das Heil

So fleht der Kinder Jammer

Da klingt der Pforte Hammer

Da naht der Schmerzenkammer

Der Tod mit seinem Pfeil.


Es mahnt der Schrei der Eule

Es kracht des Hauses Säule

Ein klagendes Geheule

Erhebt der treue Hund

Da fleht die Mutter leise,

O Herr zur dunklen Reise

Sehnt mich's nach heil'ger Speise

Aus deinem Gnadenbund.


Da kam der Arzt gegangen

Die Kinder flehn mit Bangen

Und jammerndem Verlangen

O Herr brich unsre Not!

Er sah mit Tränenbächen

Der Mutter Augen brechen

Und wagt nicht auszusprechen

Gott helf', ich seh' den Tod.


Da hat er Rat gefunden,

Er sah des Heilands Wunden[411]

Den Trost in letzten Stunden

Gemalet an die Wand,

Dahin den Blick erhoben

Zeigt ruhig er nach oben

Und spricht, die Hand da droben

Die hilft, die Gotteshand.


Ich selbst kann hier nichts geben,

Den Wein sucht bei den Reben

Das Leben bei dem Leben

In Heilands Heilhand Heil,

Zu diesem Arzte tretet

Er sieht euch so ihr betet.

Und als er so geredet

Verließ er sie in Eil.


Und als er so geschieden,

All andre Hülfe mieden

Die Kinder fromm zufrieden,

Sie folgten seinem Rat,

Denn von dem Trost belebet

Das Haupt die Mutter hebet

Und spricht, ihr Lieben gebet

Was er geordnet hat.


Es kehrt nach zweien Tagen

Der Arzt mit mildem Zagen

Den Kindern nachzufragen

In dieses fromme Haus,

Da hört er Lieder klingen

Und feierlich lobsingen,

Und dachte, ach sie bringen

Die Leiche nun heraus.


Sein Herz wollt' Gott da lenken,

Die Waisen zu bedenken,

Den Kleinen will er schenken

Als Vater sich zur Stund[412]

Und sah ins Haus gegangen

Am Hals der Mutter hangen

Die Kinder, sie lobsangen,

Die Mutter war gesund.


Sie eilten ihm entgegen

Und riefen: Gottessegen

Auf allen deinen Wegen

Sei treuer Arzt dein Teil

Du sprachst ich kann nichts geben,

Den Wein sucht bei den Reben

Das Leben bei dem Leben

In Heilands Heilhand Heil.


Den Becher hielt der Glaube

Die Hoffnung preßt die Traube

Lieb' warf vom Farbenstaube

Der Heilandshand hinein

Schau auf nach den fünf Wunden

Die eine ist verschwunden

Es trank sie, zu gesunden

Die Mutter in dem Wein.


Da sah der Arzt das Wunder

Da ging sein Wissen unter

Da ward sein Glauben munter

Er hob das edle Haupt

Und sprach, in den fünf Wunden

Hab' ich die Kunst gefunden

Heran, wer will gesunden,

Heil, heilig wird, wer glaubt.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 411-413.
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