[Ein Becher voll von süßer Huld]

[536] Ein Becher voll von süßer Huld

Und eine glühnde Ungeduld

Und eine arme trunkne Schuld

Sie lehren mich zu flehen!


Du Becher voll von süßer Huld

Vergieb der glühnden Ungeduld

Vergieb die arme trunkne Schuld,

Die ins Gericht will gehen.


Den Becher voll von süßer Huld

Darf heut die glühnde Ungeduld

Zur Buße armer trunkner Schuld

Nicht sehn, und möcht' vergehen!


Das freut den Becher süßer Huld

Das schmerzt die glühnde Ungeduld

Das straft die arme trunkne Schuld

Mit bittern, bittern Wehen.


O Becher voll von süßer Huld,

Woll' nicht die glühnde Ungeduld,[536]

Ob ihrer armen trunknen Schuld,

Die heute büßt, verschmähen.


Fließ über Becher süßer Huld,

Werd' Asche glühnde Ungeduld,

Die mag die arme trunkne Schuld

Gemischt mit Tränen säen.


Auf daß du Becher süßer Huld

Um dich in Schmerzen der Geduld,

Still auf dem Grab der armen Schuld

Die Lilie kann erstehen.


Die Lilie, die voll süßer Huld,

Du sahst im Garten der Geduld

Mit Stern und Engel ohne Schuld

Du leuchten hast gesehen.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 536-537.
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