22. Juni 1834 nach Karlsbad

[550] Den ersten Tropfen dieser Leidensflut,

In der ich wehrlos, elend bin ertrunken,

Und auch von dieser grimmen Glut,

Die all mein Sein verzehrt, den ersten Funken,

Des Traumes Blumenrand, wo ich geruht,

Eh' in des Schmerzes Abgrund ich gesunken.

Das erste Tröpflein von dem Feuerblut,

In das ich wagt', den Finger einzutunken,

Um wehe mir! mit irrer Wut

An Leib und Seele liebeszaubertrunken

Von mir zu schleudern, weh! mein letztes Gut,

Und weh! mit meinem Elend noch zu prunken[550]

Vor meiner Seele, arger Übermut!

– Ich kenn' das all, schiff brüchig auf dem Meer

Schwimmt drohend es in Trümmern um mich her.

Weh! – der Syrene nackte Schulter blank,

An der gescheidert ich den Sinn verloren,

Zuckt dort empor und weh! – das Leibchen schlank,

Das kranke Herz, das mich zu Tod geboren,

Die Hand, die mich getauft, genährt mit Zaubertrank,

Sie hebt sich drohnd – es schallt zu meinen Ohren:

»Mein lieber armer Freund! wie krank! wie krank!

Horch! Schlummerlied vom Schicksal eines Toren,

Viel hättest du mir helfen, nützen können,

Nun muß die Flut, die uns umarmt, uns trennen,

Die Woge die mich kühlet, dich verbrennen!


Auf wundenvoller Straße

Mußt du gespenstend gehen,

Wo dir mit allem Maße

Ich Quelle aller Wehen,

Ich Welle aller Wonnen,

Die Adern hab' durchronnen.


Wo mich, die dir vertrauet,

Du schmählich hast verloren,

Wo, was du kaum erbauet –

– O schon' des kranken Toren

Schlaf, schreiendes Gewissen! –

Du nieder hast gerissen!


O Platz der Promenade!

Haus, gelb mit zweien Pforten,

Da fandst du Recht für Gnade,

Bist hingerichtet worden,

Wo du dich hast verschuldet,

Hast du dein Recht erduldet.


Dein Geist hat keinen Frieden

Nach deinem Tod gefunden,[551]

Er muß mit ew'gem Sieden

Der Tränen mich umrunden,

Weil Flammen er erweckte,

Die kühle Woge deckte.


Weh Flammen, grüne Flammen,

Die nun mit blinden Trieben

Dem Holze neu entstammen,

Das er zur Glut gerieben,

Und wenn es wieder grünet,

Ist er noch nicht versühnet.


Und wenn es wieder blühet

Und weiß von Blüten kühlet,

Und heiß von Früchten glühet,

Ein Feuer dich durchwühlet,

Das Feuer meiner Triebe,

Das Feuer deiner Liebe.


O Herr, hör' laut im Traume

Die arme Seele wimmern,

Ach laß dir aus dem Baume

Für sie ein Kreuz doch zimmern

Und richt' es auf am Pfade,

Wo sie verlor die Gnade!


Schreib drauf, weil er erwühlet

Die Glut, die ich bedecket,

Er nun die Flammen fühlet,

Die selbst er hat erwecket,

Bis Glut von meinem Herde

Einst diese Glut verzehrte.


Und bis die Promenade

Ein Saatfeld goldner Körner

Ein Erndefeld der Gnade,

Und rings im Zaun nur Dörner,

Und bis dies Kreuz wird blühen

Muß diese Seele glühen.[552]


Bis dahin betet alle

Für diese arme Seele,

Daß sie nicht tiefer falle

Und still die Tränen zähle,

Bis Herzblut der Syrenen

Heiß wird, wie Reuetränen.«


Und als sie so gesungen

Ein bißchen süß gegaukelt,

Und sich herum geschwungen

Geschlungen und geschaukelt

Rief sie: »Gut' Nacht mein Brüderchen

Addio! schreib, mach Liederchen.«


Nun streifet mein Gebieterchen

Schon ab das feine Miederchen

Und streckt die reinen Gliederchen,

O Engel seine Hüterchen,

Deckt sie mit dem Gefiederchen,

Und singt ihr kleine Liederchen,

Baut eure keuschen Nesterchen

Und legt ein englisch Pflästerchen

Ans Herz dem neuen Schwesterchen,

Daß es, was gut es eingeschnürt,

Nun aufgeschnürt nicht gleich verliert!


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 550-553.
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