14. An Friedrich Warnecke

[14] 14. An Friedrich Warnecke


Lüethorst bei Markoldendorf;

Donnerstag den 19 Febr. 1857.


Mein lieber Freund Warnecke!

Ich würde mich schämen bis auf den Boden meiner Seele, sie so lange auf einen Brief warten zu laßen, wenn ich nicht, trotz Ihrer freundlichen Behauptung des Gegentheils, einige gelinde Zweifel im Herzen hegte, daß Ihnen ein Brief von mir auch ohne Heraldik willkommen sei. Nun muß ich mir aber ausbitten, daraus nicht etwa den Schluß zu ziehen, als sei dieser Fetzen, der nicht einmal ein Brief zu nennen, in jener erwähnten Beziehung von Wichtigkeit. Nein wahrlich nicht! Er verdankt sein Entstehen lediglich dem Bedürfniße, Ihnen, lieber Freund, doch wenigstens ein Lebenszeichen zu geben und einige freundliche Worte zu sagen. Um Ihnen aber doch wenigstens ein klein Wenig heraldischen Zucker an den Brei zu thun, damit Sie nicht gar zu sauere Gesichter schneiden, lege ich zwei Siegel ein, die mir gestern zufällig in die Hände kamen.

Das rothe Siegel trägt das Wappen der v. Berlepsch; vielleicht haben Sie es schon in Ihrer Sammlung. Es kommt von dem Baron Aug. v.B. auf Seebach in Thüringen; so viel ich höre ist die Familie 1070 von Mähren aus in Thüringen eingewandert; die Hannoveraner gleiches Namens sind damit verwandt.

Auf dem schwarzen Siegel steht das Wappen des Baron v. Bose; die Familie, in Sachsen zu Hause, wird aber wohl erst zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in den Adelstand erhoben sein; doch ist das nur eine vermuthende Ansicht von mir. Der Inhaber des Siegels ist ein gelehrter Gutsbesitzer, der Mehreres über Numismatik geschrieben hat.

Beide, Bose wie Berlepsch, sind Freunde meines Onkels, des Pastor Kleine, der mit ihnen in Correspondenz steht.

Damit wäre Ihnen denn der Honig um den Bart geschmiert. Jetzt auf Rechnung Ihrer Versicherung zu familiären Alltäglichkeiten. Wie's kommt, daß Sie mich jetzt hier in Lüethorst treffen? So. Sie werden schon von mir gehört haben, daß ich bisher manches von Sagen und Märchen gesammelt habe, wie es mir beiläufig unter dem Volke begegnete. Nun bin ich hier, um bei einem Buchhändler in Einbeck ein kleines Märchenbuch heraus zu geben. Ich hätte es gern, wie sich denken läßt, in einem größern Verlage erscheinen laßen, wenn mir nicht das Honorar die Hauptsache gewesen wäre. Mein Aufenthalt hat sich verzögert, ich bin schon drei Wochen hier; das kommt daher, daß der Buchhändler, mit dem ich bisher nicht direkt in Verbindung stand, manches verkehrt aufgefaßt und darum die Holzplatten noch nicht besorgt hatte, worauf die Zeichnungen gemacht werden müßen; es sollten nämlich kleine Holzschnitte in den Text gedruckt werden. – Nun kann ich aber nicht sagen, daß mir sonst mein Aufenthalt hier langweilig wäre. Ich[14] bin bei lieben Verwandten und in einem Orte, wo ich als Kind längere Zeit gewesen bin, wo ich jeden Platz kenne, wo mir alles lieb ist, um der Erinnerungen willen, die mir aus vergangener Zeit daran geblieben sind. Auch in geselliger Beziehung kann ich mich nicht beklagen. Alle vierzehn Tage geht's nach dem eine Stunde entfernten Daßel zum Klub, wo getanzt wird. Es ist ganz wöhnlich da, an Damen fehlt es nicht. Ich traf da auch ein kleines Fräulein von Reizenstein aus Hameln, Tochter des großen Heraldikers, von dem Sie mir damals, wenn ich nicht irre, sagten, daß er schon seit 40 Jahren an einem Werke schriebe und daß er quasi verrückt sei. Das Fräulein Tochter ist 15 Jahr, Kind, Backfisch, dumm, tanzt erbärmlich. Doch genug! Es möchte Ihre heraldische Seele beleidigen. – Sehr häufig gehe ich hinüber nach der nahe gelegenen Domaine Hunnesrück, wo ein junger, unverheiratheter, heiterer Pächter ist; mein Bruder ist als Verwalter da; wir haben da schon mehre lustige Stunden verlebt resp. verkneipt. – Das einzige, was ich wünschen möchte ist, daß es Sommer und nicht Winter wäre. Die Gegend ist prächtig, voll schöner Berge; was ließen sich dann für Ausflüchte machen. Wie war's doch in Hameln so schön! Könnten wir doch in schöner Jahreszeit dort einmal wieder zusammen sein. Unmöglich ist das Wenigste, wenn man es nur ernstlich will.

Nun leben Sie recht wohl, mein alterthümlicher Freund und schreiben Sie recht bald.

Wilh. Busch.


Adr: Pastor Kleine

Lüethorst b. Markoldendorf

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 14-15.
Lizenz: