Die Erzählung des Klerk.

[3] Vers 10499–11654.


Dem kalten Berge Vesulus zu Füßen

Im fernsten West Italiens liegen Gau'n,

Wo üppigreiche Saatgefilde sprießen,

Und manche Stadt ist, mancher Thurm zu schau'n

– Der Väter Werk, der Vorzeit dauernd Bau'n. –

Wohin Du blickst, ein herrlich Bild sich weist

Der schönen Gegend, die Saluzzo heißt.


Ein Markgraf lebte vormals in den Landen,

Wie vor ihm seine Ahnen dies gethan;

Gehorsam war und willig ihm zu Handen

Der erste wie der letzte Unterthan.

Vom Glück begünstigt auf der Lebensbahn,

War er gefürchtet und geliebt zugleich

Von Herr'n und Knechten und von Arm und Reich.


Was seines Stammes Blut betraf, so galt er

Als Edelster der ganzen Lombardei;

Voll Schönheit, Kraft und jugendlichem Alter,

War höflich er und ehrenwerth dabei;

Und wenn auch nicht von jedem Fehler frei,

So lenkte doch verständnißvoll sein Land

Der junge Herr, den Walther man benannt.[4]


Indessen dieses muß ich an ihm rügen,

Daß er zur Zukunft nie den Blick gewandt,

Dem Augenblick nur lebend, sein Vergnügen

Allein in Jagd und Falkenbeize fand,

Und aller andern Sorgen sich entwand;

Das Schlimmste war: um keinen Preis der Welt

Hätt' er ein Weib sich eh'lich beigesellt.


Höchst mißvergnügt ob dieser Sache nah'te

Sich eines Tages seines Volkes Schaar,

Und der als Klügster galt in ihrem Rathe

Und dem der Herr zumeist gewogen war,

Machte des Volkes Wunsch ihm offenbar;

Und so sprach der geschäftserfahr'ne Mann,

Wie ihr vernehmen sollt, den Markgraf an:


»O, edler Markgraf, Deine Herzensgüte

Ermuntert uns und giebt uns Zuversicht.

So oft wir mit bekümmertem Gemüthe

In schwerer Zeit, gehorsam unsrer Pflicht,

Vor Dir erschienen, nahmst Du den Bericht

Stets gnädig auf, und Du wirst unsern Klagen

Darum auch heute nicht Gehör versagen.«


»Ich selber habe freilich mit der Sache

Nicht mehr zu thun, als jeder Andre hier;

Und wenn ich mich zu ihrem Anwalt mache,

Geschieht es nur, weil Du so gnädig mir

Dich stets bezeigtest; und so darf ich Dir

Auch heute nah'n, damit den Wunsch von Allen

Du prüfest und entscheidest nach Gefallen.«[5]


»Gewißlich, Herr, wir haben Dein Bestreben

Von ganzem Herzen immer anerkannt

Und thun es noch; und ein zufriedner Leben

Uns zu erdenken, sind wir kaum im Stand.

Ein Wunsch indessen sei Dir noch genannt:

Geruhe, eine Gattin Dir zu wählen,

Dann wird Dein Volk das höchste Glück beseelen.«


»Beug' Deinen Nacken diesen Segensjochen!

Der Herrschaft Zier und nicht der Knechtschaft Schmach

Ist in dem Wort ›Vermählung‹ ausgesprochen.

Bedenk' es Herr, und sinne weislich nach:

Wie wechselreich der Mensch auch seinen Tag

Verbringt mit Wachen, Schlafen, Gehen, Reiten,

Es flieht sein Leben in der Flucht der Zeiten.«


»Grün't Dir auch jetzt der Jugend Frühlingsschimmer,

Kriecht doch das Alter still und stumm heran,

Und jeder Zeit droht uns der Tod, dem nimmer

Ein Mensch, wie hoch gestellt er sei, entrann.

Und so gewiß – das weiß ein jeder Mann –

Ist ihm der Tod, wie ungewiß der Tag,

An dem begegnen ihm sein Ende mag.«


»Beherzige den treuen Rath von Allen,

Die stets gehorchten, wenn Dein Ruf erklang;

Was wir begehren, laß auch Dir gefallen:

Nimm Dir ein Weib und zaudere nicht lang'.

Das beste wähle von dem höchsten Rang

Im ganzen Land; denn, wie wir Alle meinen,

Kann Gott und Dich dies nur zu ehren scheinen.«[6]


»Nimm diese Furcht von unserem Gemüthe!

Um Gottes Willen, bleib' nicht unvermählt.

Denn wären – was in Gnaden Gott verhüte! –

Die Tage Deines Lebens bald gezählt,

So folgt ein Fremder, wenn der Erbe fehlt.

Und weh' dem Volke, wenn dies je geschähe!

Drum laß Dich bitten, schreite rasch zur Ehe!«


Ihr tiefbewegtes Fleh'n, ihr bittend Dringen

Der edle Markgraf mitleidsvoll vernahm.

»Ihr wollt,« – so sprach er – »liebes Volk, mich zwingen

Zu dem, was nimmer in den Sinn mir kam.

Noch bin ich nicht der holden Freiheit gram,

Die selten ist im Ehestand zu finden;

Stets war ich frei – und nun wollt Ihr mich binden!«


»Doch muß ich Euren treuen Rathschlag bill'gen,

Denn Eurer Klugheit hab' ich stets vertraut.

Ich will aus freien Stücken darein will'gen,

So rasch ich kann, erwähl' ich eine Braut!

Doch von dem Vorschlag bin ich nicht erbaut,

Die Auswahl ganz in Eure Hand zu geben;

Der Sorge, bitt' ich, laßt mich Euch entheben.«


»Denn das weiß Gott, höchst ungleich sind an Güte

Die Kinder oft dem würd'gen Elternpaar.

Werth kommt von Gott und stammt nicht vom Geblüte,

Das uns erzeugte, oder uns gebar.

Auf Gottes Huld vertrau' ich! Ihm, führwahr,

Geb' ich anheim in Anbetracht der Ehe

Rang, Stand und Alles. – Was Er will, geschehe!«[7]


»Gestattet, daß mein Weib ich selber wähle!

Wie sehr die Last den Rücken auch beschwert,

Ich trage sie. – Doch bitt' ich und befehle

Bei Eurem Leben, daß mein Weib Ihr ehrt,

Wer sie auch sei, so lang' ihr Dasein währ't,

In Wort und That – und dies versprecht auf Ehre! –

Als ob sie Tochter eines Kaisers wäre.«


»Und ferner sollt Ihr schwören, nie zu klagen

Und nie zu spötteln über meine Wahl;

Denn soll ich meiner Freiheit mich entschlagen,

Wie Euer Rath so dringend mir empfahl,

Will ich auch wählen aus der Weiber Zahl

– Bei meinem Heil! – nach eignem Wunsch und Neigen!

Sonst thut Ihr besser, davon still zu schweigen.«


Und schwörend stimmten sie in allen Dingen

Ihm herzlich bei, und Niemand sagte Nein,

Und baten zu bestimmen, eh' sie gingen,

So bald als thunlich und von vorn herein

Den Tag, an welchem Hochzeit solle sein;

Da sich das Volk mit steter Sorge quälte,

Daß sich der Markgraf ungern nur vermählte.


Den Tag bestimmend, wie's ihm einfiel eben,

Als der Vermählung äußersten Termin,

Sprach er, daß ihrem Wunsche nachgegeben

Auch hierin sei. – Und Alle priesen ihn,

Und ehrfurchtsvoll bedankte auf den Knie'n

Sich Jedermann. Erfüllt war ihre Bitte,

Und Alle lenkten heimwärts ihre Schritte.[8]


Den Hofbeamten hieß dann unverweilt er,

Zum Hochzeitsfest zu rüsten sich sofort,

Und nach Gefallen rings Befehl ertheilt' er

Bald hier den Rittern, bald den Pagen dort;

Und allesammt gehorchten ihm aufs Wort,

Und dienstbeflissen thaten sie ihr Bestes,

Um beizutragen zu dem Glanz des Festes.


Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 3, S. 3-9.
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