Ein Lied

[235] hinterm Ofen zu singen


Der Winter ist ein rechter Mann,

Kernfest und auf die Dauer;

Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an,

Und scheut nicht Süß noch Sauer.


War je ein Mann gesund, ist er's;

Er krankt und kränkelt nimmer,

Weiß nichts von Nachtschweiß noch Vapeurs,

Und schläft im kalten Zimmer.


Er zieht sein Hemd im Freien an,

Und läßt's vorher nicht wärmen;

Und spottet über Fluß im Zahn

Und Kolik in Gedärmen.


Aus Blumen und aus Vogelsang

Weiß er sich nichts zu machen,

Haßt warmen Drang und warmen Klang

Und alle warme Sachen.


Doch wenn die Füchse bellen sehr,

Wenn's Holz im Ofen knittert,

Und um den Ofen Knecht und Herr

Die Hände reibt und zittert;


Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht

Und Teich' und Seen krachen;

Das klingt ihm gut, das haßt er nicht,

Denn will er sich totlachen. –
[235]

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus

Beim Nordpol an dem Strande;

Doch hat er auch ein Sommerhaus

Im lieben Schweizerlande.


Da ist er denn bald dort bald hier,

Gut Regiment zu führen.

Und wenn er durchzieht, stehen wir

Und sehn ihn an und frieren.

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 235-236.
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