Heimkehr?

[225] Wie bin ich nur so jäh hierher verschlagen

In dein entfremdet Reich, Waldeinsamkeit?

Zu Gast war ich in schicksalskühnen Tagen

Des Südens formgewalt'ger Heiterkeit!
[225]

Und wieder nun des Nordlands Thymiandüfte

Und seiner Erlenwälder Herbstmusik?

Ein müder, summender Wind ... und träumende Wolkenbilder ...

Nach Mitternacht des Mondes Nebelblick ...


Und meiner Heimat längstvergessene Sprache ...

Und längst vergessener Menschen Angesicht –

Wie alles sich einschmeicheln will! – Ich starre

In meines Morgenrots erloschenes Licht ...


Habt ihr mich wieder? – Bin ich fremd geworden? –

Braunrot quillt auf des Abends Dunstgeflecht ...

Weit ... weit das Land ... die weißen Nebel leuchten –

Zu mir tritt meiner Sehnsucht Lichtgeschlecht –


Dort, wo das Leben reinere Glieder rundet,

Zu größerer Fülle seine Kräfte stimmt,

Möcht' ich mit dir, Geliebte, sonnumstundet

Mein Sein verträumen, bis es sanft verschwimmt ...


Wir lugen weit ... weit übers Meer, das blaue –

Um stillere Inseln noch wirbt unser Blick ...

Und wenn ich dann in deine Augen schaue,

Find' ich erschweigend mein intimstes Glück ...


Zu Zeiten, die gewesen ... ungewesen ...

Beruhigt unsere Gegenwart verfließt ...

Und von der Dämmerung Schattenspiel genesen,

Ward uns der Geist, der lichterfüllt genießt –
[226]

Bis er, am Horizont ein Wolkenstäubchen,

Darauf die Sonne lag mit mildem Glühn,

Sich sanft entkräuselt ... Weiter rollen Stunden ...

Und Jahre, Menschen, Sterne weiterziehn ...


Geliebte Heimat, den nun deine Krume

Zum letztenmal mit ihrem Herbst genährt –

Verzeihe ihm! Gib ihm zum Abschied deine letzte Blume –

Und laß ihn ziehn, der deiner nicht mehr wert ...


Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 225-227.
Lizenz:
Kategorien: