Dritter Auftritt

[43] Timant allein, kömmt zerstreuet und erschrocken hervor, hernach Philipp.


TIMANT. Was habe ich gesehen? Was habe ich gehöret? Darf ich meinen Augen, darf ich meinen Ohren trauen? O Himmel! Ja, dein Unglück ist gewiß! Verfolgter Timant, zu was bist du noch bestimmt? Grausamer Vater! Treulose Climene! Verrätherischer Geronte! Ach, ich bin außer mir!


Er wirft sich in einen Lehnstuhl.
[43]

Was wollten wohl Gerontens letzte Worte sagen? Bey Tische soll alles richtig werden – Vielleicht will man mir dort das Geheimniß von meines Vaters Heurath entdecken! Wie soll ich mich dabey verhalten? Und sollte etwan sonst ein Geheimniß darunter verborgen seyn?


Er sitzt in tiefen Gedanken.


PHILIPP. Gnädiger Herr! – Er sitzt wieder in seinen Grillen begraben da, und höret mich nicht. Gnädiger Herr! – Er höret mich nicht. Ich muß nur warten, bis er ausgeträumet hat.


Er stellet sich hinter seinen Stuhl.


TIMANT ohne ihn zu sehen. Sollte denn die Sache so geheim haben zugehen können? Sollte nicht Damon etwas davon wissen? Ach, ich bin ganz betäubet von diesem Zufalle! Was habe ich nicht alles zu fürchten! Was hat Geronte für Anschläge? – Ich zittere, wenn ich nur daran denke – Unmenschlicher Vater! So hinterlistig mit mir umzugehen! Ich bin voller Wuth.

PHILIPP. Nun glaube ich im Ernste, daß er im Schlafe redet. Gnädiger Herr!


Er zieht ihn beym Rocke; Timant springt erschrocken auf und zieht den Degen.


TIMANT. Was willst du, Meuchelmörder? – Bist du es, Philipp?

PHILIPP zitternd. Ach, ach, gnädiger Herr, ich weiß fast selbst nicht, ob ich es bin: so haben Sie mich erschreckt!

TIMANT. Verzeihe mir! – Ich bin von der Gewißheit meines Unglückes, das ich erst recht erfahren habe, so verwirrt, daß ich nicht weiß, was ich thue. Nun weiß ich es, daß ich Recht gethan habe, meinem Vater meine Gedanken nicht zu entdecken. Nun weiß ich, daß ich Recht gehabt habe, wie ich ihn in Climenen verliebt glaubte.

PHILIPP. Ihr gnädiger Herr Vater? In Climenen verliebt? Warum hätte er sie dann Ihnen angetragen?

TIMANT. Warum? Um mich auszuforschen, mich zu bestrafen, mich zu entfernen. – Vielleicht ist es auch aus einer billigen Vorsorge geschehen, um meiner Leidenschaft vorkommen zu können, die jetzo wirklich lasterhaft gegen eine Stiefmutter wäre.

PHILIPP. Gegen eine Stiefmutter! Wer? Wo? Was sagen Sie?[44]

TIMANT. Climene, die treulose Climene ist es nun. Es ist sicher, daß sie mit meinem Vater vermählet ist.

PHILIPP. Mit Ihrem Vater, der erst seit einigen Stunden hier ist? Um des Himmels willen, gnädiger Herr, wer setzet Ihnen solche Possen in den Kopf?

TIMANT. Du glaubest es wiederum nicht. Ja, ich würde es auch nicht glauben, wenn ich nicht mit meinen eigenen Augen gesehen hätte, daß er sie umarmet hat: wenn ich nicht selbst gehöret hätte, daß er ihr die zärtlichsten Sachen von der Welt vorsagte; daß er mich bey ihr zu verkleinern suchte; daß er sagte, ich wäre ihres Herzens nicht werth, und das mit so viel bedeutenden Blicken, mit so einer freudigen Zärtlichkeit, die mich rasend machte.

PHILIPP. Das haben Sie alles gehöret?

TIMANT. Ja, und noch mehr als das. Sie fürchten sich vor meiner Verzweifelung. Geronte hauptsächlich scheint sich zu scheuen – Bey dem Essen wollte er mit mir alles richtig machen – Ich will ihm nichts Böses zutrauen; aber, aber wenn ich mistrauisch wäre, so hätte ich Ursache zu dem entsetzlichsten Verdachte – Hast du mein gewöhnliches Mittagsessen schon vom Speisewirthe geholet?

PHILIPP. Ich komme eben deswegen her, um zu fragen, ob ich es holen soll? Aber es wird ganz gewiß nicht nöthig seyn. Sie speisen ja oben bey dem Herrn Geronte. Aber sagen Sie mir doch noch, was für ein Unglück Sie so außer sich selbst bringt. Ich bin recht erschrocken! Es kann unmöglich etwas Wahres an dem seyn, was Sie mir da vorsagen. Ich glaube, Sie scherzen. Es kann Ihr Ernst nicht seyn.

TIMANT geht auf und ab. Ach, wenn ich es nur nicht zu gewiß wüßte! – Ganz gewiß hat Damon. Wissenschaft davon – Wenn mir nun das Geheimniß entdeckt wird; wie soll ich mich dabey aufführen? Gelassen – Ja, das wird das Beste seyn. Aber werden sie meine Gelassenheit nicht für verstellt halten? Wer wird es wohl über sich nehmen, mir die Nachricht zu geben, die sie sich mir zu geben fürchten? Gerontens letzte Worte kann ich nicht aus dem Gedächtnis bringen: Bey Tische soll alles richtig werden! Was ist das, das richtig werden soll? – Meines Vaters Heurath? Die ist es ja schon. Ich will den Geronte für einen ehrlichen Mann halten: aber gegen mich hat er eben nicht so gehandelt. Mein Vater kann mir durch diese Heurath mein[45] Vermögen nicht entziehen. Sollte Geronte nun der niederträchtigen Absicht, alles seiner Tochter zuzuwenden – Nein, ich will es nicht glauben. Ansehen dazu ist freylich da. Unglücklicher Timant! Was sollst du thun?

PHILIPP der ihm nachläuft und seine Gebärden nachmacht. Er hat ganz gewiß das Fieber; ich sollte wohl zu einem Arzte laufen. Ich habe Ihnen lange zugehöret, gnädiger Herr, ohne Sie zu unterbrechen. Also soll ich das Essen abstellen?

TIMANT. Warte. Ich glaube, ich thue besser, wenn ich nicht hinauf zu Tische gehe! Ich bin nicht ruhig genug, die Entdeckung dieses Geheimnisses auszustehen. Ich möchte zu hitzig werden, und wenn hernach meine andern Muthmaßungen richtig wären – Gerontens bedenkliche Worte kann ich nicht vergessen – Ich muß der Sache erst gewiß zu werden suchen. Wenn ich Beweis in der Hand habe, so kann ich sie alle beschämen.


Zu Philipp.


Erwarte mich hier! Liegt nicht meines Vaters Brieftasche in diesem Zimmer?

PHILIPP. Ja, gnädiger Herr; was wollen Sie denn damit anfangen?

TIMANT. Ach, ich weiß selbst nicht! Die Sache ist richtig, und ich suche nach Beweis! Doch ich muß einmal zu einer Gewißheit kommen, es koste, was es wolle. Die Briefe gehören ja meinem Vater: Ich darf sie ja lesen, ohne einen so großen Fehler zu begehen – Erwarte mich!


Er geht ab.


PHILIPP. Nun, glaube ich, ist er wirklich rasend! Was muß er wohl gehöret haben, und was hat er vor? Sonsten würde er es einem andern sehr übel auslegen, fremde Briefe zu lesen: aber so geht es. Die vornehmen Leute erlauben sich mehr, als den andern; und wenn einmal eine Hauptleidenschaft eingewurzelt ist: so gilt die Vernunft so viel bey ihnen, als die Ermahnungen einer Bethschwester, die sonst eine Buhlschwester gewesen ist, bey ihrer jungen achtzehnjährigen Tochter gelten.


Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 43-46.
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